Serie: Tradition in der 3. Liga:Pele in der Hüpfburg

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Bei Energie Cottbus weckt Trainer Claus-Dieter Wollitz Hoffnung auf ruhmreiche Zeiten wie einst unter Eduard Geyer. Die Fans lieben ihren "Pele".

Von Jan Schwenkenbecher

An diesem Freitag startet die Saison in der dritten Liga - mit fünf neuen Klubs, die alle einst in der Bundesliga gespielt haben und nun entweder aus der zweiten Liga abgestiegen oder aus der Regionalliga aufgestiegen sind. Mit dem KFC Uerdingen begann in der Dienstag-Ausgabe eine SZ-Serie über diese fünf neuen Drittklässler. Nach Energie Cottbus folgen Texte über 1860 München, Eintracht Braunschweig und Kaiserslautern.

Das Testspiel von Energie Cottbus gegen den FC Oberlausitz Neugersdorf steckt tief in der ersten Halbzeit, da kommt plötzlich Stimmung auf. Nach einer misslungenen Seitenverlagerung rollt der Ball in Richtung der Auswechselbank von Cottbus - und "Pele" springt auf. Er lupft den Ball kurz an, hält ihn zwei-, dreimal hoch, fängt ihn und lässt ihn noch einmal um seinen Rücken kreisen, bevor er ihn seinem Spieler zum Einwurf zuwirft. Die Fans jubeln, sie lieben ihren Trainer Claus-Dieter "Pele" Wollitz.

Seit April 2016 ist Wollitz, der einst als Profi in der ersten Liga seinen Spitznamen aus Jugendtagen rechtfertigte, zurück in Cottbus; er hatte den Verein von 2009 an schon mal für zweieinhalb Jahre trainiert. Obwohl er den Abstieg in die Regionalliga nicht verhindern konnte, verehren ihn die Fans. Als Spieler und Trainer ins Stadion einlaufen und der Stadionsprecher schließlich "unseren Trainer Pele Wollitz" ankündigt, steigert sich das monotone Klatschen zu einem Jubel, der so frenetisch ausfällt, wie es 1027 Fans in einem einstigen Erstliga-Stadion eben hinbekommen.

Unter Wollitz' Anleitung spielt Energie Cottbus guten, modernen Fußball, die Außenverteidiger stehen hin und wieder höher als die Stürmer. In der vergangenen Saison dominierte Cottbus so die Regionalliga Nordost: 28 von 34 Spielen gewonnen, 89 Punkte, plus 65 Tore. Es wurde der erste Aufstieg, seit Cottbus 2009 aus der Bundesliga abstieg - als für viele Jahre letzter Fußball-Klub aus dem Osten Deutschlands.

Wollitz, so scheint es, steht in Cottbus für den so oft ausgerufenen Neuanfang. Und Erfolg macht ja sympathisch. Cottbus wird das Testspiel 6:1 gewinnen, aber das ist egal. Die Sonne scheint, es gibt Bockwurst, Bier und eine Hüpfburg, und viel wichtiger ist, sich gemeinsam darauf zu freuen, dass man nach zwei Jahren Regionalliga endlich wieder Profifußball spielt.

Es wird wieder gejubelt in Cottbus, wie hier beim Aufstiegsspiel zur dritten Liga im Mai – mittendrin mit Kappe: „Pele“ Wollitz. (Foto: Matthias Kern/Getty)

Nach dem Abpfiff kommen die Spieler zum "Meet & Greet" hinters Stadion. Diese Verbundenheit lobt Wollitz gern. Die Fans kennen die Spieler, und die Spieler kennen einander. Von den 20 Drittliga-Mannschaften hat Cottbus die wenigsten Zugänge verpflichtet: zwei. Spötter würden das auf die seit Jahren schwierige finanzielle Lage des Vereins schieben. Aber man kann das auch so sehen wie Wollitz, der von "Kontinuität" spricht. Motiviert sei man ohnehin: "Alle Spieler kriegen mehr Geld, der Trainer kriegt mehr Geld, weil wir in der dritten Liga sind", sagt Wollitz. Er versuche ja, den Spielern ein logisches Verhalten nahezubringen: "Also müssen wir", sagt er und setzt neu an, "also wollen wir mehr arbeiten." Und das Saisonziel? "Die Liga halten! Das wird schwer genug."

Trotzdem hat man das Gefühl, dass die Cottbusser weiter nach oben schielen. Im Stadion ist Platz für 22 528 Fans, von einem der Trucks lächeln ehemalige Vereinsgrößen wie Vasile Miriută. Wollitz, den Neuanfänger, lieben die Fans auch deshalb, weil er ihnen die Hoffnung zurückgebracht hat, Energie zu den großen Zeiten um die Jahrtausendwende zurückzuführen. Binnen zehn Jahren war Cottbus nach der Wiedervereinigung von der Amateur-Oberliga in die Bundesliga aufgestiegen, fast jedes Jahr wurde anschließend entweder ein Klassenverbleib oder Wiederaufstieg gefeiert. Es waren die Zeiten von Vereinslegende Eduard "Ede" Geyer und seiner osteuropäischen Transferpolitik; der Verein prägte mit dieser Note die erste Liga mit. Zum Beispiel als Geyer 2001 zum ersten Mal in der langen Geschichte der Bundesliga eine Startelf aufbot, in der kein einziger Spieler die deutsche Staatszugehörigkeit besaß. Oder als Torwart Tomislav Piplica 2002 das wohl kurioseste Eigentor der Bundesliga-Geschichte erzielte.

Ob sich Wollitz schon auf dem Weg zu Ede-Geyer-Status befindet? "Nee, ich möcht' ja gar nicht. Ich möcht' gar kein Status sein", sagt er. Es ist auch diese Art zu reden, die ihm Sympathien bringt: kurze Sätze, frei raus, Fußballer statt Funktionär.

Wenn Wollitz aufgeregt ist, lässt er oft die zweite Satzhälfte weg, außerdem redet er dann sehr laut. Als Mitte der ersten Halbzeit irgendwer irgendwas falsch macht, gibt der Coach seine Fehleranalyse brüllend zur Auswechselbank weiter, die einige Meter entfernt steht - und dann genau so laut zu seinem Co-Trainer, der neben ihm sitzt. Man hört das auch sehr weit oben auf der Tribüne.

Eduard Geyer führte Cottbus einst in die Erste Liga - und nominierte die erste Startelf der Geschichte, in der kein Deutscher spielte. (Foto: dpa)

Diese freischnauzige Art hat ihm jüngst aber heftige Kritik eingebracht. Als bei der Pressekonferenz nach dem Aufstiegsspiel gegen Weiche-Flensburg die Spieler nach der Sektdusche "Trainer, du Zigeuner" riefen, entgegnete Wollitz: "Spieler, ihr Zigeuner." Für den Antiziganismus - oder "Fauxpas", wie Wollitz es nannte - entschuldigte er sich am nächsten Tag umgehend. Doch gerade in Cottbus stößt so etwas auf, denn seit Jahren hat der Verein Probleme mit Neonazis in seinen extremen Fanreihen. Vorletzte Saison zeigten einige Cottbus-Anhänger beim Spiel gegen Babelsberg den Hitlergruß und riefen Nazi-Parolen, nach der Aufstiegsfeier Ende Mai posierten einige Fans in der Stadt mit Ku-Klux-Klan-ähnlichen Kapuzen.

"Nach dem Babelsberg-Spiel haben wir viele Gespräche geführt", sagt Vereinssprecher Stefan Scharfenberg. Mit Vertretern von Stadt, Land, Fußballverbänden und Faninitiativen fanden runde Tische statt, der Klub engagiert sich in Projekten, ein Maßnahmenplan samt Workshops wurde erarbeitet. "Wir reden nicht mehr übereinander, sondern miteinander", sagt Scharfenberg. Die Kapuzen-Fotos von der Aufstiegsfeier, die danach entstanden, zeigen aber auch, wie viel noch zu tun ist.

Immerhin: Beim Testspiel trägt niemand schwarz oder Kapuze. Der wahre Test, ob der Neuanfang auch in der Fankurve gelingt, findet zum Liga-Start am Sonntag statt. Es geht gegen Hansa Rostock.

© SZ vom 25.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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