Neues Maradona-Museum:Maradonas erster Palast

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In der Küche, in der Pérez nun sitzt, hatte Diego Maradona als 18-Jähriger sein Schlafzimmer. (Foto: Herrmann/oh)
  • Alle Geschichten über Diego Maradona scheinen erzählt zu sein. Doch jetzt eröffnet ein Museum in Buenos Aires neue Einblicke in dessen Leben.
  • Alberto Perez, Präsident von Maradonas Jugendverein, investierte 100 000 US-Dollar in den Umbau des Hauses.
  • Die Kuriositäten reichen von einer Heimorgel über Plattensammlungen bis hin zu italienischen Besuchern.

Von Boris Herrmann, Buenos Aires

Dies ist die Geschichte von einem Traumhaus. Das Haus, von dem Alberto Pérez zwei Jahrzehnte lang träumte, steht in der Calle Lascano im Arbeiterviertel Paternal, Buenos Aires. Von außen sieht es eher unscheinbar aus, um nicht zu sagen: irre hässlich. Eine Fassade aus grauen und braunen Betonplatten auf einem Sockel, der irgendwann mal rot oder rosa gewesen sein muss. Die beiden Fenster zur Straße sind vergittert. Und die schmale Haustür wirft die Frage auf: Würde der späte Maradona da überhaupt noch durchpassen? Der frühe, der etwas schlankere Maradona hat hier zwei Jahre lang gewohnt.

Alberto Pérez, 76, hat 100 000 US-Dollar ausgegeben für dieses Häuschen. Eigentlich viel zu viel, sieht er selbst ein. Trotzdem ist er der festen Überzeugung, das Geschäft seines Lebens gemacht zu haben. Die alte Dame, die es ihm verkaufte, dachte wahrscheinlich dasselbe. Pérez hat ihr natürlich nichts erzählt vom ideellen Wert dieses Gebäudes, in dem sich zuletzt eine Lederwaren-Manufaktur befand. 20 Jahre lang wurden hier Handtaschen und Aktenköfferchen gefertigt. Für Perez war es die Geduldsprobe seines Lebens. Er wartete auf den Tag, bis der Laden endlich pleiteging. Dann schlug er zu. "Die Besitzerin war heilfroh, als sie diese Bruchbude los war", sagt er mit seligem Lächeln.

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Maradona dribbelte bereits bei den Argentinos Juniors allen davon

Man muss hier wohl von Insiderhandel sprechen. Es kennt sich ja kaum einer so gut aus mit dem ersten Kapitel der Karriere von Diego Armando Maradona wie Alberto Pérez. Er war 1977, noch mitten in der argentinischen Militärdiktatur, Vizepräsident von Argentinos Juniors, als der beste Fußballer der Geschichte (Pérez: "Wer das anzweifelt, hat keine Ahnung") bei dem Klub seinen ersten Profivertrag unterschrieb. Auf dem Dokument, ein vergilbter DIN-A5-Zettel, befinden sich zwei Unterschriften: Maradona und Pérez. Bald soll in der Calle Lascano 2257 das authentischste aller Diego-Museen eröffnen. Der Vertrag liegt schon in der Vitrine.

Maradona dribbelte bereits in den Nachwuchsteams von Argentinos allen davon. Die sogenannten Cebollitas ("Zwiebelchen") blieben unter seiner Mitwirkung 136 Spiele lang ungeschlagen. Als der Kinderstar mit 15 Jahren in der Erstligaelf debütierte, lebte er aber immer noch mit seinen Eltern und seinen sieben Geschwistern in einer Baracke im Armenviertel Villa Fiorito, wo er zur Welt gekommen war. Zum 18. Geburtstag schenkte ihm sein Verein, schenkte ihm also Pérez sein erstes Eigenheim. Die Großfamilie kam mit.

Das Museum soll "La Casa de D10S" heißen, ausgesprochen "La Casa de Dios", das Haus Gottes. Der einstige Rechtsanwalt Alberto Pérez sitzt in der Küche und richtet es ein. (Foto: Herrmann/oh)

Es ist jetzt 37 Jahre her, als Maradona aus diesem bescheidenen Haus auszog, um nie wieder zurückzukehren. Aber inzwischen sieht es hinter der Eingangstür wieder aus, als sei er eben noch da gewesen. "Die Fliesen in der Küche und im Bad sind original", sagt Pérez im Tonfall eines Archäologen. Das nimmt man ihm gerne ab, die Küche besticht durch ein lachsfarbenes Kachel-Arrangement, das Badezimmer ist in Schweinchenrosa gehalten.

Alles, was nicht mehr original war, hat der neue Hausherr auf Basis von alten Fotos minutiös rekonstruiert. In langen Ebay-Kleinanzeigen-Nächten und auf Flohmarkt-Weltreisen kaufte er exakt jene Möbel, Gardinen, Stühle, Schüsseln, Töpfe und Tassen nach, welche die Maradonas Anfang der Achtziger besessen hatten: Den Siam-Kühlschrank, den Küchentisch, den dazugehörigen Aschenbecher, die beige Thermoskanne, das Zanella-Moped (Baujahr '79), Diegos weißen Schlafanzug sowie seine komplette Plattensammlung.

Naheliegende Frage: Hat der Mann denn sonst nichts zu tun? Pérez sagt: "Ich bin 76, ich war 40 Jahre lang Anwalt und jetzt mache ich eben das, was mir Spaß macht." Es ist ein Spaß, den er mit heiligem Ernst betreibt. Sein Museum soll "La Casa de D10S" heißen, ausgesprochen "La Casa de Dios", das Haus Gottes. Ein Verrückter mehr, denkt man im ersten Moment. Und Verrückte gibt es im Universum der Maradona-Verklärung ja wahrlich genug. Auch 20 Jahre nach seinem Karriereende wird dieser Fußballer noch wie der Heiland verehrt, ungeachtet der Tatsache, dass er im wahren Leben allzu oft auf die Schnauze fiel. Im Grunde sind alle Lieder über Maradona gesungen, alle Bücher geschrieben, alle Filme gedreht, alle Messen gelesen und alle Museen eingerichtet. Andererseits bietet die fast schon manisch originaltreu bestückte Wohnung in der Calle Lascano einen einzigartigen Einblick in das Leben einer der interessantesten Figuren des 20. Jahrhunderts. Und ja, es macht tatsächlich Spaß, sich in diesem begehbaren Geschichtsbuch zurück in die frühen Achtziger beamen zu lassen.

Diego Maradona schlief auch in seinem dritten Profijahr noch in einer winzigen Rumpelkammer. Um aufs Klo zu kommen, musste er durchs Fenster klettern. "Für eine Familie, die aus Villa Fiorito kam, war das damals ein Palast", sagt Pérez. Und dass Diego der Hauptverdiener der Sippe war, erkennt man schon daran, dass er überhaupt ein eigenes Zimmer abbekam, die fünf Schwestern mussten sich zwei Räume teilen. "Zwischenzeitlich wohnten hier 15 bis 20 Leute, inklusive Onkels, Tanten, Cousins und Cousinen."

Im Wohnzimmer steht eine Heimorgel der Marke "Fun Machine". Direkt darüber an der Blümchen-Tapete hängt ein bezauberndes Bild: Diego orgelt. Und wenn er dabei keinen Trainingsanzug tragen würde, könnte man ihn glatt für einen braven Musikschüler halten. "Diese Orgel hat er von seiner Mutter zu Weihnachten geschenkt bekommen", so Pérez, "aus Höflichkeit hat er sich auch einmal für ein Foto hingesetzt. Spielen konnte er darauf aber nicht."

Das Spiel, das er beherrschte wie kein anderer, führte ihn bald zu größeren Vereinen als den Kiezklub Argentinos Juniors. Die Maradonas verließen das Haus, das nur ein paar Schritte hinter dem heutigen Maradona-Stadion liegt, kurz bevor Diego 1981 zum Stadtrivalen Boca Juniors wechselte. Laut Pérez, der an dem Deal beteiligt war, wurde die damals unfassbare Ablösesumme von acht Millionen US-Dollar vereinbart, die Boca allerdings jahrelang säumig blieb.

Wenn heute von der Vereinskarriere Maradonas die Rede ist, dann fallen jedem Fußballfan der FC Barcelona und vor allem der SSC Neapel ein, viele wissen auch, dass er in der Bombonera, dem Stadion von Boca, eine Ehrenloge besitzt. Über die vier Profijahre bei Argentinos, wo alles begann, redet dagegen kaum jemand. Alberto Pérez geht es mit seinem Museum auch darum, gegen diese historische Ungerechtigkeit anzukämpfen. Er sagt: "Für Boca hat er 45 Tore geschossen, für Napoli 115." Kunstpause. "Und für uns 116."

Alberto Pérez feilt noch an letzten Details, irgendwann im Lauf dieses Jahres soll das Diego-Heimatmuseum offiziell eröffnet werden. Schon jetzt bietet er aber private Führungen an, meist auf Anfrage von Fans aus Buenos Aires oder Neapel, die es nicht mehr erwarten können. Einmal kam ein Mann mit seinen fünfjährigen Zwillingstöchtern vorbei. Sie hießen Mara und Dona.

Weil Pérez ein Profi ist, verpasste er nicht die Gelegenheit, die Pässe der beiden Mädchen zu kopieren. Auch die können bald von einem breiten Publikum bestaunt werden.

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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