Breitensport:Überrannt im Ehrenamt

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Könnte auch gut als Werbeplakat fürs Kino durchgehen: Markus Dietrich, halb im Karateanzug, halb in Feuerwehr-Montur. (Foto: Udo Schabenberger/oh)

Markus Dietrich vom Karateverein Dragon Dojo Großmehring bietet Feuerwehrleuten, Polizisten und anderen Einsatzkräften Selbstverteidigungskurse an - komplett kostenlos. Die traurigen Nachrichten der vergangenen Wochen bestätigen ihn in seiner Arbeit. Nun ist Dietrich mit seinem Projekt "Wir helfen Helfern" für den Großen Stern des Sports nominiert.

Von Mona Marko

Augsburg im Juni 2021: 1400 Menschen treffen sich an der Maximilianstraße in der Innenstadt. Es fließt viel Alkohol, die Stimmung kippt, die Polizei versucht, die Ansammlung aufzulösen. Feierwütige bespucken und beleidigen die Beamten, werfen Gegenstände auf sie, zahlreiche Einsatzkräfte werden verletzt. In den darauffolgenden Tagen bestimmt die "Augsburger Krawall-Nacht" die regionalen Medien.

Auch Markus Dietrich sieht die Bilder. Die Ereignisse in Augsburg seien "der Tropfen" gewesen, "der das Fass zum Überlaufen gebracht" habe, sagt er später. Der Auslöser dafür, dass er wenig später eine E-Mail an Rettungskräfte der Region Ingolstadt schickte. In dem Rundschreiben bot er allen Einsatzkräften im Gebiet Selbstverteidigungskurse an - komplett kostenlos. Und damit wurde "Wir helfen Helfern" geboren. Wobei der Plural hier irreführend ist. Das "Wir", das ist am Anfang nur Dietrich.

Er selbst gibt die Kurse, und vermutlich gibt es auch kaum jemanden, der sich dafür besser eignet. Würde es die eine Ideal-Biografie für einen Selbstverteidigungstrainer geben, dann würde Dietrichs Lebenslauf dieser ganz schön nahe kommen: Viele Jahre war er Türsteher bei großen Nachtclubs in Ingolstadt, war als Rettungssanitäter und bei der Feuerwehr im Einsatz und hat obendrein den Schwarzen Gürtel in Karate. Seit einigen Jahren ist er Trainer und Vorsitzender des Karatevereins Dragon Dojo Großmehring. Ein Mann, der das, was er anderen beibringt, auch wirklich erlebt hat. Der die Techniken, die er lehrt, selbst anwendet. Der die Gefahren, denen seine Kursteilnehmer tagtäglich ausgesetzt sind, auch aus der Praxis kennt.

Dass Dietrich rund eineinhalb Jahre später mit dieser Idee für den Großen Stern des Sports nominiert werden würde, für einen Wettbewerb, bei dem Sportvereine mit besonderem ehrenamtlichen Engagement geehrt werden, damit hat Dietrich nicht gerechnet. "Am Anfang habe ich gehofft, dass sich ein bis zwei Leute zum Kurs anmelden", sagt Dietrich. "Und dann bin ich völlig überrannt worden." 20 Kurse in den ersten paar Monaten. 30 bis heute. Insgesamt sind es rund 450 Rettungskräfte, die bereits durch Dietrichs Selbstverteidigungsschule gegangen sind.

Als der Deutsche Olympische Sportbund die Nominierungen für den Großen Stern des Sports bekanntgibt, ist das Engagement von "Wir helfen Helfern" aus traurigem Anlass aktueller denn je. Zu Silvester hat die eskalierende Gewalt gegen Einsatzkräfte in Berlin Schlagzeilen gemacht. 41 Feuerwehrleute und Polizisten wurden verletzt - unter anderem durch Böller und Raketen. "Überrascht hat mich das leider nicht. Ich merke schon länger, dass der Ton gegenüber Einsatzkräften rauer wird, dass die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung zunimmt, dass die Leute dünnhäutiger sind", sagt Dietrich.

"Ich habe mit vielen Einsatzkräften gesprochen, habe mir Angriffe auf sie schildern lassen und gehe in meinem Kurs dann gezielt darauf ein."

Der Bedarf nach Selbstverteidigungskursen ist so groß, dass der 44-Jährige ihn nicht mehr alleine abdecken kann. Zwei Karate-Trainer des Dragon Dojos Großmehring lassen sich deshalb gerade zu Selbsthilfetrainern ausbilden.

Rettungssanitäter und Feuerwehrleute können sich direkt bei Dietrich anmelden. Der kommt dann zu den Einsatzstellen. "Mir ist wichtig, dass ich zu ihnen komme. Ich möchte nämlich, dass wir mit dem Material üben, mit dem die Leute dann auch arbeiten." In eineinhalb bis zwei Stunden erklärt Dietrich dann, wie sich Einsatzkräfte im Ernstfall verhalten sollen, wie sie sich aus einer brenzligen Lage befreien können. Dabei lässt Dietrich Karate-Handgriffe einfließen, aber auch sein Türsteher-Wissen. "Ich habe mit vielen Einsatzkräften gesprochen, habe mir Angriffe auf sie schildern lassen und gehe in meinem Kurs dann gezielt darauf ein", sagt Dietrich. Da war zum Beispiel der Rettungssanitäter, den ein Betrunkener mit der Faust ins Gesicht schlug, als er ihm helfen wollte. "Deshalb gehe ich auch stark darauf ein, wie wir bei solchen Angriffen unseren Kopf schützen können", sagt Dietrich. Hauptziel aber sei es vor allem, Situationen zu vermeiden, in denen es überhaupt so weit kommen könne. Deeskalation, Prävention, Ruhe bewahren und im Zweifel warten, bis die Polizei kommt.

Taktiken wie diese möchte Dietrich nun auch Einsatzkräften in ganz Bayern nahebringen. Das Projekt "Wir helfen Helfern" soll in ganz Bayern Fuß fassen. Dietrich ist deshalb offen dafür, anderen Selbsthilfetrainern zu zeigen, wie sie ähnliche Kurse anbieten können. Geld verdienen möchte er mit dem Ganzen nicht. "Das Ehrenamt darf an einem Ehrenamt kein Geld verdienen", so lautet Dietrichs oberstes Gebot. "Bis jetzt war das ein Draufzahlgeschäft, ich habe alles selber gezahlt." In diesem Jahr möchte er erreichen, dass den Trainern zumindest die Anreise zu den Kursen durch Spenden gezahlt werden kann.

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