Editorial:Geistervertreibung

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Da ist wieder wer: Fans in der Münchner Arena beim Spiel gegen Augsburg. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Am letzten Spieltag kehren nach Monaten der leeren Ränge mancherorts wieder Zuschauer in die Stadien zurück - in München nach mehr als einem Jahr ohne Fans. Von euphorischen 250 Besuchern profitieren nicht nur die Fußballer.

Von Sebastian Fischer, München

Es muss schon etwas sehr Außergewöhnliches geschehen, wenn Schiedsrichter in einem Fußballstadion gefeiert werden. Oft werden sie ja leider eher verschmäht. Als Gegenbewegung gründeten vor ein paar Jahren mal ein paar Mitarbeiter des Fußballmagazins 11Freunde die legendäre "Brigade Hartmut Strampe", eine Art kleine, so liebevoll wie ironisch gemeinte Ultravereinigung, benannt nach dem ehemaligen Bundesliga-Referee und Verwaltungsbeamten. Ziel der Gruppe: Unparteiische Unterstützung von der ersten bis zur fünften Liga. "Unsere Qualität, Neutralität!", sangen sie, oder: "Schiri, wir wissen, wo dein Auto stand, ist aufgetankt, ist aufgetankt!"

Markus Schmidt wird hoffentlich die Feststellung verzeihen, dass die ungewöhnlichen Szenen nach dem Schlusspfiff des Spiels zwischen dem FC Bayern und dem FC Augsburg am Samstag nicht unmittelbar mit seiner tadellosen Leitung zu tun hatten. Schmidt, 47, wurde von den Fans im Stadion mit La Ola gefeiert. Es ging dabei um seine Karriereleistung, nach seinem 197. Bundesliga-Spiel scheidet er nun nach Überschreiten der umstrittenen Altersgrenze aus. Es spielte dabei aber sicherlich auch eine Rolle, dass ohnehin Feierlaune herrschte im Stadion, weil der FC Bayern die Meisterschale überreicht bekam und führende Protagonisten wie Trainer Hansi Flick möglichst fröhlich verabschiedet werden sollten. Und es fiel ins Gewicht, dass es sich beim Großteil der 250 Besucher um Menschen handelte, die sich nach jeder Art von Jubel auf der Tribüne gesehnt hatten.

In ein paar Stadien in Deutschland kehrten am 34. Spieltag nach langen Monaten trauriger Geister-Atmosphäre ein paar Fans zurück. Nicht überall waren sie glücklich, in Bremen wohnten 100 Besucher dem Abstieg bei. Und in Köln, wo der Abstieg in der Relegation weiterhin droht, spielten Fans am Samstag vor den Stadiontoren eine unrühmliche Rolle, weil sie sich Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten. Bei Union Berlin sangen 2000 Zuschauer, geimpft, getestet oder genesen - und ausgelost. In München war die Zeit leerer Ränge besonders lang gewesen, selbst zum Saisonstart, als andernorts wenige Fans reindurften, war das in Bayerns Landeshauptstadt nicht möglich. Nun gingen von 250 Tickets 100 an Menschen aus dem Gesundheitswesen, 100 wurden unter Bayern-Mitgliedern verlost. Und auf der Gegentribüne, wo sie auf Abstand im zweiten Rang saßen (weil im ersten Rang selbstverständlich die Transparente der Sponsoren prangten), sangen sie schon vor dem Spiel in unverkennbar euphorischer Stimmung.

Stephan Lehmann, der Münchner Stadionsprecher, hatte seit einem Spiel gegen Augsburg im März 2020 vor 75 000 Zuschauern in die Leere hineinmoderieren müssen. Auch ihm war die Freude anzumerken. "Ich höre euch", rief er, als er erstmals seit mehr als 14 Monaten wieder den Vornamen eines Torschützen durchgesagt und eine Antwort erhalten hatte. Dass der ausgerufene Kingsley Coman beim ersten von fünf Münchner Toren zum 5:2 gar nicht getroffen, sondern Augsburgs Jeffrey Gouweleeuw ihm mit einem Eigentor zuvorgekommen war? Nun ja.

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