Drittliga-Relegation:Tausend Tattoos

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Die große weite Welt war nie weit entfernt, doch die großen Erfolge feierte Daniel Adlung (links, im Hinspiel gegen Havelse) nur auf dem Papier. (Foto: Heiko Becker/HMB-Media/imago)

Nürnberg, Fürth, 1860 und Australien: Daniel Adlung, 33, hat als Fußballer viel erlebt. Nun soll er Schweinfurt helfen, einen Schlag in die Magengrube zu verkraften - und im Rückspiel schnörkellos, aber schwer berechenbar zu sein.

Von Christoph Leischwitz, Schweinfurt

Ausgerechnet, als Daniel Adlung in der zweiten Liga bei 1860 München spielte und mithin ein Löwe war, wurde er Veganer. Als Jugendspieler war er zwischen den Fußball-Erbfeinden SpVgg Greuther Fürth und 1. FC Nürnberg hin- und hergewechselt. Und im Alter von 33 Jahren, eigentlich nur noch als spielender Co-Trainer des Fürther Nachwuchses in der vierten Liga aktiv, sagte er sich plötzlich: Jetzt greife ich das Thema Profifußball noch einmal an - "weil ich viel zu viel Bock auf Fußball habe, um zu sagen: Das war's jetzt".

Adlungs Werdegang war, anders als seine Spielweise auf dem Platz, selten geradlinig und schnörkellos. Dadurch hat der offensive Mittelfeldspieler jede Menge erlebt, er kennt das Gefühl des Triumphes genauso wie das der Niederlage, die wie ein Schlag in die Magengrube daherkommt. "Genau deshalb", sagt er selbst, "haben sie mich nach Schweinfurt geholt."

Und ganz aktuell ist die Rolle, die Adlung ausfüllt, ganz besonders gefragt: Am vergangenen Samstag, im ersten Aufstiegsspiel der Schnüdel gegen den TSV Havelse, erlebte man einen kollektiven Schlag in den Magen, als der Ball in der 94. Minute aus den Händen von Torwart Luis Zwick ins Tor rutschte zum 0:1. Und die Ausgangslage vor dem Rückspiel der Relegation zur dritten Fußball-Liga schlagartig eine ganz andere war. Sich von diesem Schlag zu erholen und danach zu triumphieren, genau darum geht es jetzt. Am Samstag um 13 Uhr ist Anpfiff in Niedersachsen. Aufholjagd bei angekündigter Bullenhitze - genau sein Ding. Er verspüre eine "Jetzt-erst-recht-Mentalität", sagt der Routinier. Und er weiß ganz genau, dass es an ihm ist, diese Mentalität nun auch vorzuleben. Dass die Jüngeren auch neben dem Platz sehr genau darauf schauen, wie er mit solchen Situationen umgeht.

Ja, sagt er, Druck sei da, enormer Druck sogar, man solle "auch gar nicht versuchen, ihn wegzuhalten"

Er geht ganz offen damit um: Ja, sagt er, Druck sei da, enormer Druck sogar, man solle "auch gar nicht versuchen, ihn wegzuhalten". Im ersten Aufstiegsspiel habe es viele Gründe dafür gegeben: deutschlandweite TV-Übertragung, erstmals wieder laute Zuschauer im Stadion, die enorme Sehnsucht des Vereins nach der dritten Liga. Jetzt müsse man da eben durch. Adlung kennt diese Drucksituation gut - und hat trotzdem noch Tatendrang. Als 2017 zum Beispiel der TSV 1860 München den ultimativen Magenschwinger verpasst bekam, den Abstieg aus der zweiten Liga, durfte er unter Vitor Pereira gar nicht mitspielen. Später kritisierte Torjäger Sascha Mölders den portugiesischen Trainer heftig: Adlung sei doch das beste Beispiel gewesen, dass damals nicht mehr nach Trainingsleistung aufgestellt worden sei.

Adlung flog erst einmal weit weg und spielte ein Jahr in Australien, für Adelaide United. Dann ging es zurück in die Heimat, nach Fürth. Als Co-Trainer - die zweite Karriere schien schon vorgezeichnet. So kam die Nachricht durchaus überraschend im vergangenen Januar: Adlung nach Schweinfurt, auf Leihbasis bis Sommer. Doch die Verpflichtung war von Anfang an gar nicht so kurzfristig angelegt, Schweinfurt hat eine Kaufoption. "Selbst wenn wir nicht aufsteigen, wovon ich aber ausgehe, kann ich mir durchaus vorstellen, dem Verein treu zu bleiben", sagt Adlung. Auch wenn Schweinfurt jetzt vielleicht nicht gerade die Stadt sei, an der an jeder Straßenecke ein veganes Restaurant wartet, so fühlt sich der Weitgereiste hier trotzdem sehr wohl. Er steht auch selbst gerne am Herd und geht gerne auf den Markt.

Die große weite Welt war nie weit entfernt, doch die großen Erfolge feierte er nur auf dem Papier: Adlung ist Deutscher Meister mit dem VfL Wolfsburg sowie U21-Europameister 2009, mit Spielern wie Manuel Neuer oder Mats Hummels. Doch er stand in diesen Wettbewerben lediglich im Kader, nicht auf dem Platz.

Adlung ist elf Tage älter als Schweinfurts Trainer Tobias Strobl - und sein kongenialer Partner

In den Playoffs gegen Bayreuth und Aschaffenburg hat er gleich gezeigt, wie sehr er der Schweinfurter Mannschaft weiterhilft: mit seiner Ruhe am Ball, dadurch, dass er einfach unwahrscheinlich wenig Fehler macht, und durch seine Flexibilität: Adlung ist auf keine Position festgelegt, stößt in Lücken, darf kreativ sein. "Wir sollen den Gegner vor Aufgaben stellen, schwer berechenbar sein", sagt er. Er ist ein bisschen wie der kongeniale Partner von Trainer Tobias Strobl, der seine aktive Karriere früh beendete. Ihre offensichtlichste Gemeinsamkeit springt sofort ins Auge: die vielen Tattoos. Im Personalausweis gibt es auch eine: Adlung ist elf Tage älter als Strobl.

Ganz offensichtlich hat Adlung, der in einige fußballerische Abgründe geblickt hat, auch seinen Humor behalten. Als er für eine Schweinfurter Lokalzeitung einen Steckbrief ausfüllen sollte, gab der Veganer "Presssack mit Brot" als Lieblingsessen an, und als Haustier einen Graumull. Kleiner Scherz, sagt er auf schriftliche Nachfrage, und schickt lachende Emojis mit, er habe mit einem anderen Spieler die Rollen getauscht, jeder schrieb für den anderen den Text. Es ist ja auch für das Spiel in Havelse ein guter Ansatz, schnörkellos und trotzdem schwer ausrechenbar zu sein.

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