Dortmund nach dem Reus-Transfer:Die coolste Elf der Liga

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Nach dem Millionen-Transfer von Marco Reus stellen sie in Dortmund genüsslich fest, dass der Vorsprung des FC Bayern schmilzt. Plötzlich kann sich der einst fast insolvente Klub wieder große Transfersummen leisten - wird das Bayern-Monopol vielleicht sogar dauerhaft zu einem Duopol?

Freddie Röckenhaus, Dortmund

Knapp 17,1 Millionen Euro: ausgeschrieben eine Summe mit einer Serie von Nullen. Eine Zahl, die man in diesem Land sonst nur von den Transfers von Bayern München kennt. Eine Ablöse, die Borussia Dortmund für den derzeit begehrtesten deutschen Spieler, Marco Reus, 22, im Sommer nach Mönchengladbach überweist. Und weil Geld offenbar die Welt regiert, hat sich mit dem Tag der Nachricht über die Rückkehr von Reus zu seinem Heimatklub Dortmund scheinbar die Statik der Liga verändert.

Großer Jubel in Dortmund, Kevin Großkreutz oben auf. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Der Mann, der die vielen Nullen ins Rollen gebracht hat, sitzt da in sportlicher Trainingsjacke und Jeans in seinem Lieblingscafé im Dortmunder Westfalenpark, fünf Minuten vom Stadion und fünf Minuten von der Innenstadt. Und Hans-Joachim Watzke strahlt, als hätte er im Trainingslager des BVB persönlich am Konditionsprogramm der Profis teilgenommen.

Die Signalwirkung, welche die Nachricht von der Heimholung des gebürtigen Dortmunders Reus auslöste, hat sich beim Trainingslager in Andalusien auch im Mannschaftskreis niedergeschlagen. "Das haben auch unsere Jungs natürlich sehr genau zur Kenntnis genommen", erzählt der BVB-Vorstandsboss und nippt an seinem Grundnahrungsmittel Cappuccino, "dass Borussia Dortmund sich entwickelt hat und wir auch mal in der Lage sind, einen Spieler wie Marco Reus zurück zu holen".

Verblüfft fragt sich die deutsche Fußball-Öffentlichkeit, was da beim eben noch als dauerpleite eingestuften BVB eigentlich los ist. Zumal Dortmunds aktuell größter Schatz, der von europäischen Topklubs umworbene Mario Götze, auf die Reus-Nachricht spontan so reagierte: Er könne sich gut vorstellen, seinen Vertrag zu verlängern, denn: "Das Paket Borussia Dortmund mit Mannschaft und Trainer ist einfach überragend." Er könne es kaum erwarten, mit Reus in einer Mannschaft zu spielen. Ein halbes Jahr muss Götze sich noch gedulden.

Die bisherige Mechanik, wonach ein 19-Jähriger wie Götze, der eben erst zu Europas begabtestem Nachwuchsprofi gewählt wurde, automatisch Abwanderungsgelüste formuliert, scheint erst einmal ausgehebelt zu sein. Vor dem Rückhol-Coup mit Reus schien alle Welt davon auszugehen, dass der Abschied von Götze nur eine Frage der Zeit sei.

Sein Kontrakt läuft bis 2014, deshalb war die Interpretation seiner Vertragssituation stets die, dass der Offensivspieler spätestens im Sommer 2013 gehen werde, um für Dortmund wenigstens eine hohe Ablöse einzubringen. Englands Presse reagierte verstört, als bekannt wurde, dass Götze den Verlockungen von Premier-League-Klubs wie Arsenal oder Manchester United zu widerstehen scheint.

Derweil stellt man sich in der Heimat die Frage: Wird das Bayern-Monopol unerwartet und vielleicht sogar dauerhaft zu einem Duopol? Meister 2011 ist Borussia ja schon, warum aber kann sich der Klub, der 2005 vor der Insolvenz stand, plötzlich wieder solche Transfersummen leisten? Warum schlagen gerade junge Spieler die lukrativen Avancen des großen FC Bayern aus? Und warum kann Dortmunds Trainer Jürgen Klopp behaupten: "Viele junge Spieler zieht es zu uns. Sie erkennen, was bei uns entsteht und wollen ein Teil davon sein." Ist Dortmund schon jetzt: ein großer Klub?

Rein finanziell betrachtet, sagt Vorstandsmann Watzke, "ist der Abstand zu den Bayern natürlich uneinholbar", um dann mit sichtlicher Genugtuung hinterher zu schieben: "Aber wir haben ihn verkürzen können." Vor zwei Jahren machte die Bayern München AG 200 Millionen Euro mehr Umsatz im Jahr als Dortmund, in der laufenden Saison rechnen die Experten noch mit 100 Millionen Abstand.

Während die Münchner auf ihrem hohen Niveau stagnieren, holt Borussia, was die Imagewerte bei jüngeren Fußball-Anhängern betrifft, bundesweit rasant auf. Spielertypen wie Hummels, Subotic, Großkreutz, Kagawa, Schmelzer und vor allem Götze und Reus sind wie geschaffen für die Posterwände von Jugendzimmern. Dortmund gilt als coolste Bundesliga-Mannschaft. "Die Merchandising-Einnahmen", registriert Watzke, "die gehen bei uns durch die Decke."

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Allein durch die konstant hohen Tabellenplatzierungen hat Dortmund vergangene Saison sechs Millionen Euro mehr eingenommen als zuvor. Die - allerdings nach unangenehm lehrreicher Vorrunde beendete - Champions-League-Teilnahme hat 33 unerwartete Millionen in die Bilanz gebracht.

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Doch der Etat für die Spielergehälter hat sich kaum verändert. Er lag im vergangenen Jahr - unter anderem wegen der Meisterprämien - am Ende bei rund 40 Millionen und wird in dieser Saison, selbst im Falle einer Titelverteidigung, maximal um zehn Prozent steigen. Zum Vergleich: Der Gehaltsetat des FC Bayern etwa wird in einer aktuellen Studie des amerikanischen Sportsenders ESPN rund dreimal so hoch taxiert.

Einholen allerdings wird Dortmund die Münchner in Sachen Geld nie. "Das Wirtschaftsumfeld in Bayern ist einmalig. Und der FC Bayern ist in der Region ohne Konkurrenz, während bei uns Schalke, Gladbach oder Köln um dieselben Sponsoren werben." Watzke hält es für "nicht vorstellbar", dass beispielsweise ein Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen 70 Millionen Euro in die Hand nehmen könnte, wie es Audi vor ein paar Jahren bei seinem Erwerb von AG-Anteilen des FC Bayern getan hat. Aber: In Zeiten neuer Sensibilität am Finanzmarkt würde es heute auch den Münchnern schwer fallen, auf diesem Wege frisches Geld für große Transfers heran zu schaffen.

Warum aber wird Dortmund als langfristiger Gegenspieler für die Münchner gehandelt? Wirtschaftlich ohnmächtig ist der Klub nicht mehr. Die im November veröffentlichte Bilanz weist noch einen Schuldenstand von 26,8 Millionen aus. Die selbsternannte Spielerbörse Transfermarkt.de bescheinigt aber allein dem aktuellen Kader des BVB im Gegenzug einen Gesamtwert von 170 Millionen Euro - Reus noch nicht eingerechnet. Zum Schuldenstand kommt die Hypothek auf das vereinseigene Dortmunder Stadion, an der der BVB noch bis voraussichtlich 2022 abzahlen wird. Allerdings: Auch Bayern München tilgt noch bis etwa 2018 an der Allianz-Arena.

Die Ablösesumme für Marco Reus konnte Dortmund aus den normalen Geschäftsüberschüssen der vergangenen und den absehbaren Gewinnen der laufenden Saison bestreiten. "Wir haben zwischen 2006 und 2009 sehr sparsam gelebt", sagt Watzke, "und wir haben offenbar ganz gut gearbeitet."

In Spielerkreisen hört man viel Begeisterung über das Klima beim Klub und in der fußballverrückten Stadt im Ruhrgebiet, deren Image sich wandelt, und in der es inzwischen so gut wie gar keine Schwerindustrien mehr gibt. Als jüngst Leo Bittencourt, ein Talent von Energie Cottbus, beim BVB unterschrieb, hatten viele namhafte Klubs mitgeboten.

Als es darauf ankam, erschienen BVB-Manager Michael Zorc, Trainer Klopp, Vorstand Watzke und Nachwuchs-Koordinator Lars Ricken, um dem 17-Jährigen die Wertschätzung zu signalisieren. Der Deutsch-Brasilianer unterschrieb. So fahndet der BVB nach Talenten, von denen er glaubt, sie hätten das Zeug zum nächsten Reus.

© SZ vom 14.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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