Doping in Österreich:Spuren nach Tirol und Wien

Nordische Ski-WM Seefeld

Die Polizei in Österreich hat gut zu tun: Es geht um flächendeckendes Doping.

(Foto: Matthias Schrader/dpa)
  • In der Blutdoping-Affäre im österreichischen Sport werden zwei weitere Athleten entlarvt: Zwei Radprofis gestehen Betrug.
  • Ski-Präsident Schröcksnadel erstaunt derweil mit kruden Theorien in der Sache - er spricht von einer "getürkten Aktion".

Von Thomas Kistner

Die Affäre um ein aus Erfurt operierendes Doping-Netzwerk schwankt, fünf Tage nach diversen Razzien und Festnahmen in Thüringen und Tirol, weiter zwischen Drama und Kabarett. Am Freitag flog nach SZ-Informationen der österreichische Radprofi Stefan Denifl als Kunde des Blutpfuscher-Rings um den Erfurter Sportarzt Mark Schmidt auf. Und an diesem Montag folgt der nächste: Georg Preidler, ebenso Radfahrer, hat sich im Blutdopingskandal bei der Staatsanwaltschaft selbst angezeigt.

Das sagte der 28-Jährige in Interviews der österreichischen Kronen Zeitung und der Kleinen Zeitung. Preidler ist der bereits vierte österreichische Spitzensportler, der im Zusammenhang mit den Ermittlungen um das Netzwerk eine Verwicklung zugegeben hat. "Ich hab' ein Doping-Geständnis abgelegt. Ich hab' mir Blut abnehmen lassen, es aber nie rückgeführt. Aber alleine der Gedanke und die betrügerische Absicht sind schon ein Delikt", sagte Preidler. Sein Interview entlarvt eine bedenkliche Systematik: Ein Gemisch aus Angst um den Job, Ehrgeiz und Realitätsverlust.

Zugleich attackierte ein ÖSV-Sponsor die Hassfigur Nummer eins des nationalen Ski-Verbandes, Johannes Dürr. Der Langläufer, 2014 selbst als Doper überführt, hatte mit Aussagen zur Erfurter Bande die Ermittlungen ausgelöst; nun berichtete das eng mit dem ÖSV verbandelte Boulevardblatt Kronen Zeitung, die ÖSV-Läufer Max Hauke und Dominik Baldauf hätten Dürr in Verhören stark belastet: Als ihren "Vermittler" nach Erfurt.

Mit Radprofi Stefan Denifl wird ein weiterer Vorzeigeathlet aus Österreich in die Affäre verwickelt

Die Aufregung legte sich flott, dank amtlicher Klarstellung. Doch eine Regie der ÖSV-Spitze ist derzeit gut spürbar: hinter der Stimmungsmache gegen jeden, der neben dem taumelnden Verband in die Affäre verwickelt ist. Seit Tagen attackiert Peter Schröcksnadel, 77, ÖSV-Dauerpräsident, den deutschen Sport. Die Betrugszentrale in dieser Affäre liege ja jenseits der Grenze - "aber auf die Österreicher wird jetzt hingehaut!" Sogar von deutschen Athleten, die in den Skandal involviert seien, raunte der mächtigste Sportführer des Landes, mit Verweis auf angebliche Quellen im Ermittlerbereich.

Am Sonntag bezeichnete Schröcksnadel die Razzien im ORF als "getürkte Aktion" und sprach von einer Gruppe, "die uns schaden will". Details nannte er nicht. Dann zog der Wintersport-Unternehmer ein schon genehmigtes ARD-Interview zurück, wie deren Dopingredaktion mitteilte. Befragt nach dem Grund habe ein ÖSV-Sprecher erklärt, wenn der Herr Präsident das so entscheide, sei das halt so.

Die Nerven liegen blank. Zumal immer mehr Betrugsmentalität im Alpenland evident wird. In Radprofi Denifl (der auf Anfragen nicht reagierte) ist nun ein weiterer österreichischer Vorzeigeathlet in die Affäre verwickelt, was zugleich ein vertrautes Bild abrundet: Schon die Großaffäre um die Wiener Blutbank "Humanplasma" ab Ende der Nullerjahre hatte viele Hinweise auf Langlauf- und Velo-Helden erbracht, auch einheimische. In Ermangelung eines Anti-Doping-Gesetzes und eines erkennbaren Aufklärungswillens der Politik war die Sache 2013 erledigt; überzeugend aufgeklärt wurde sie nie.

Das rächt sich nun: Die Erfurt-Affäre weist klare Spuren zurück in die Humanplasma-Ära auf. Schon am Mittwoch hegten Ermittler den Verdacht, dass die in Erfurt konfiszierte Blut-Zentrifuge Stefan Matschiner zuzuordnen sei, einem damals im Zentrum des Humanplasma-Skandals angesiedelten und als Betrüger zu einer Haftstrafe verurteilten Sportmanager. Am Sonntag bestätigt Matschiner den Verdacht in der ARD; er habe damals seine einschlägigen Geräte und Kunden auf Wunsch weitergegeben: an Schmidt.

Stefan Denifl galt über die vergangenen zehn Jahre als erfolgreichster Radprofi des Landes. 2017 gewann er die Österreich-Rundfahrt, wenig später eine Bergetappe der Spanien-Rundfahrt Vuelta. Entscheidende Hinweise auf Denifl stammen aus den laufenden Ermittlungen; wie die SZ erfuhr, sollen solche auch von dem Erfurter Sportarzt gekommen sein, der seit Mittwoch in der Haftanstalt Stadelheim sitzt.

In Innsbruck bestätigte Staatsanwalt Hansjörg Mayr die Fest- und Einvernahme Denifls, ohne dessen Namen zu nennen. Ein 31-jähriger Tiroler soll geständig und wieder auf freiem Fuß sein. Zugleich stellte Mayr mit Blick auf die Drahtzieher-Vorwürfe gegen Dürr klar, dieser werde derzeit nicht als Beschuldigter geführt. Belastende Hinweise, dass Dürr die Seefeld-Sünder vor zwei Jahren aktiv nach Erfurt vermittelt habe, kann es demnach nicht gegeben haben. Dürr sagte der SZ: "Es war zu erwarten, dass bei mir die Schuld gesucht wird. Geschockt bin ich trotzdem."

Die originelle Krisenarbeit des ÖSV unter Schröcksnadel und dem derzeit völlig stillen Generalsekretär Klaus Leistner, einem der dienstältesten Funktionäre im globalen Wintersport, stößt aber auch zu Hause auf wachsende Gegenwehr. Den vom Verband reflexhaft angedrohten Rauswurf der Langlauf-Sparte aus dem ÖSV kritisierte Sponsorvertreter Alexander Labak als "mehr symbolhaftes, populistisches Agieren denn als nachhaltige Strategie, die einen echten Neustart zum Inhalt" habe. Die jüngeren Affären verdeutlichten, dass der ÖSV ein systemisches Problem in der Dopingprävention habe und kein Opfer von Einzelfällen sei. In einer Mitteilung der Casinos Austria AG und der Lotterien griff Generaldirektor Labak auch Schröcksnadel direkt an: "Die Übernahme von persönlicher Führungsverantwortung im ÖSV für das langjährige systematische Scheitern im Kampf gegen Doping ist geboten."

Rücktritt des mächtigen Verbandschefs Schröcksnadel?

Auch andere Kritiker drängen auf einen Wechsel. Wolfgang Konrad, der mit dem Wien-Marathon das größte nationale Sportereignis veranstaltet, macht Schröcksnadel für den Verlust jeglicher Glaubwürdigkeit verantwortlich; dem Wiener Standard sagte er: "Der hat einen Saustall in seinem Verband." Regelrecht brisant erscheint die Offenlegung von Franz Gattermann. Der frühere Langlauf-Cheftrainer war 2007 zurückgetreten, ein Jahr nach dem Turiner Dopingskandal.

Den Oberösterreichischen Nachrichten sagte er, damals hätten sich Top-Läufer "privat von irgendwelchen Gurus betreuen lassen. Da wusste man nie, wo sie sind. Ich habe gesagt, dass man das abstellen muss, weil ich für diese Leute nicht den Kopf hinhalten will". Die Reaktion des ÖSV habe ihn veranlasst, hinzuwerfen: "Man hat mir gesagt, dass das in den vergangenen zehn Jahren immer so gelaufen ist und es sich bewährt hat."

Das wirft Fragen an den ÖSV auf. Staatsanwalt Kai Gräber, dessen Münchner Sonderstaatsanwaltschaft die Ermittlungen angeschoben hatte, verbrachte das Wochenende überwiegend im Büro. Die "um die 40 Blutbeutel", die in einer als Kühlraum benutzten Erfurter Garage gefunden worden sind, wurden nach München ins Landeskriminalamt gebracht. Angeschlossen ans Kühlsystem, beginnt dort nun die Auswertung: Erst werden die Beweismittel nach Finger- und DNA-Spuren abgesucht, dann folgt die Inhaltsanalyse. Weitere Blutbehälter kommen aus Seefeld hinzu: Ein Beutel steckte am Arm des überrumpelten Dopers Hauke, zwei weitere lagen im Waschbecken, drei andere waren darunter verstaut.

Sämtliche Behälter, so Gräber, trügen nur Decknamen oder Buchstaben. Trotzdem wird die Identifizierung nicht schwerfallen, die riesigen Datenregister der Anti-Doping-Agenturen weltweit stehen ja zum Abgleich zur Verfügung. Zudem hat der inhaftierte Sportarzt Schmidt, dessen Wirken die Ermittler bis tief in die Nullerjahre zurückverfolgen wollen, noch die Gelegenheit, sein Schicksal abzumildern. Das geht nur über eine umfassende Kooperation - die Nennung aller Kundennamen inklusive. Mit Denifl ist ein Anfang gemacht.

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