Gedopte Leichtathleten aus Kenia und anderen Läuferländern, das hatte sich in den vergangenen Jahren zu einer Art Grundrauschen im Nachrichtengetöse entwickelt. Name, Substanz, Länge der Sperre, das alles wurde fast so routiniert vermerkt wie die Nachricht, dass Uwe Seeler sich um seinen Hamburger Sport-Verein sorgte. Das wirkte zum einen immer auch zynisch, weil hinter jedem Positivfall eine Athletenexistenz zu zerbrechen drohte - viele der erwischten Sportler können sich den teuren Marathon durch die juristischen Instanzen nicht leisten. Zum anderen spiegelte sich in all dem auch die Hilflosigkeit eines Hochleistungsgewerbes, das sein Betrugsproblem nicht nachhaltig einzudämmen weiß. Bis heute.
Seit ein paar Wochen vermelden die Dopingjäger wieder verstärkt Delikte in Kenia, quer durch alle Preisklassen. Lawrence Cherono gewann 2019 die großen Stadtmarathons in Chicago und Boston, Diana Kipyokei fiel 2021 bei ihrem Sieg in Boston auf, Philemon Kacheran, Bestzeit 2:05:19 Stunden, galt als ein wichtiger Trainingspartner von Marathon-Großmeister Eliud Kipchoge. Die Athletics Integrity Unit (AIU), die sich als unabhängiger Arm des Leichtathletik-Weltverbands versteht, bemerkte gar einen "neuen Trend". Von 23 in diesem Jahr erwischten Leichtathleten aus Kenia flogen zehn mit der Substanz Triamcinolonacetonid auf, mehr als sonst irgendwo in der Welt-Leichtathletik. Wobei die Ausdauerszene die Vorzüge des starken Entzündungshemmers seit Langem schätzt: Er soll das Gewicht reduzieren, zugleich Muskelkraft und Ausdauer stärken. Schon Lance Armstrong führte das Mittel in seiner Reiseapotheke. Die schweren Nebenwirkungen? Egal.
Sportverbände können soziale Probleme nicht allein lösen. Sie könnten aber noch mehr tun
Dabei haben diverse Institutionen in den vergangenen Jahren durchaus einiges unternommen. Der Leichtathletik-Weltverband, die großen Lauf-Veranstalter und die Welt-Anti-Doping-Agentur haben ihre Kontrollnetze enger geknüpft. Der nationale Leichtathletik-Verband und die Anti-Doping-Agentur Kenias halten Seminare ab, in denen sie vor Konsequenzen warnen. Der Athletenmanager Gianni Demadonna, der unter anderem die nun positiv getestete Kipyokei betreute, sagte jetzt dem Portal letsrun.com, er verfolge seit einer Weile eine strikte Politik: Seine Athleten hätten ihm jede Medikation zu melden, bevor sie diese einnehmen (was Kipyokei offenbar nicht tat). Kenia stellte Doping vor sechs Jahren sogar unter Strafe. Allzu viele Fälle hat die Justiz in den vergangenen Jahren aber offenbar nicht aufgegriffen.
Das beantwortet schon einen Teil jener Frage, weshalb der Strom an Fällen nicht abreißt. Ein weiterer Teil geht wohl, grob gesagt, so: Die Netze sind noch immer nicht eng genug, der Betrug lohnt sich noch immer massiv. Athleten können sich schon mit Geldbörsen bei kleineren Rennen, wo die Kontrolleure nicht so genau hinschauen, aus der Armut heben. Die Pandemie, die bis zuletzt viele Rennen und damit Verdienstmöglichkeiten vernichtete, hat den Druck noch mal verschärft. Viele Athleten aus Ostafrika, sagt der Manager Demadonna, verfolgten nach wie vor nur ein Ziel: "Ihr Leben zu ändern." Für die richtig Guten reicht da oft ein Sieg bei einem großen Stadtmarathon, die sechsstellige Prämien ausloben.
Man kann von Sportverbänden nicht erwarten, dass sie nun sämtliche sozioökonomischen Probleme eines Landes lösen, damit die laufenden Glücksritter ihr Heil nicht allein in einem zehrenden Körpergewerbe verorten. Sie könnten indes noch viel mehr tun. Preisgelder gerechter verteilen. Auf Nationalverbände und Olympia-Komitees einwirken, die wiederum auf ihre Politiker zugehen müssten. Die afrikanische Laufprominenz dabei noch besser einbinden. Solange vor allem an den Symptomen gedoktert wird, wird sich jedenfalls wenig ändern. Bis auf den Schnellmacher der Wahl vielleicht.