Doping-Enthüllungen:Protagonisten einer verseuchten Ära

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Ein weiterer Armstrong-Helfer räumt Doping ein - der Fall zeigt, wie schwer dem Sport eine Erneuerung fallen wird. Auch weil den aktuellen Tour-Sieger Bradley Wiggins ebenfalls eine dunkle Vergangenheit umgibt.

Andreas Burkert

Ein weiterer gedopter Radsportler: Der Australier Matthew White liefert Geständnis Nummer 27. (Foto: Getty Images)

Während einer der Anwälte von Lance Armstrong am Sonntag in der BBC über eine neue Verteidigungsstrategie für seinen Mandanten raunte - einem Lügendetektortest ("vielleicht machen wir das, man weiß ja nie") -, hat der Radsport das unmissverständliche Verdikt zum einstigen Regenten längst akzeptiert. Auch Tour-de-France-Chef Christian Prud- homme will die bald vakanten Titel des Texaners (1999-2005) nicht neu vergeben, als Mahnmal eines "verlorenen Jahrzehnts", betonte der Franzose. Zu überzeugend ist die detaillierte Urteilsbegründung der US-Anti-Doping-Behörde (Usada) zur lebenslangen Sperre des gefallenen Denkmals, zudem ist sie ein Sittengemälde. Das belegte am Samstag ein weiterer einstiger Kollege Armstrongs, der sich in die Liste der geständigen Doper einreihte: Der Australier Matthew White, 38, von 2001 bis 2003 für das systematisch gedopte US-Postal-Team und zwei Jahre für den Nachfolge-Rennstall Discovery Channel aktiv, offenbarte sich in einem Statement: "Ich bin traurig, sagen zu müssen, dass ich zu einem Team gehörte, in dem Doping Teil der Strategie war", teilte er mit.

Whites Name taucht nicht in den im Internet veröffentlichen gut 1000 Akten- seiten der Usada auf. Mit White bezeugen nun 27 Personen die Existenz des Dopingsystems, das Armstrong und sein langjähriger Teammanager Johan Bruyneel mithilfe von Betreuern und Ärzten wie Michele Ferrari und Luiz Garcia del Moral kontrollierten. Und White ist der zwölfte Geständige, der Teamkollege von Armstrong war.

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White wirkte bisher als Sportchef des australischen Tour-Teilnehmers GreenEdge und zugleich als Mitarbeiter des australischen Radsportverbands; unter dem Druck drohender Enthüllungen legte er beide Ämter nun nieder. Sein Geständnis zeigt, dass sich das Betrugssystem keineswegs nur auf das Tour-Team um Armstrong beschränkte: White zählte nicht wirklich zum Kern, nur 2005, bei Armstrongs letztem Gesamtsieg, war er dabei. White stand schon länger im Fokus von Debatten. So hatte Floyd Landis, der als Doper enttarnte Toursieger von 2006, im Rahmen seiner Enthüllungen zu Armstrong und Vertuschungsaktionen des Weltverbandes UCI vor zwei Jahren auch den Namen White genannt. Im Januar 2011 feuerte dann sein damaliges Team Garmin White, weil er einen Fahrer ohne Rücksprache zum inzwischen ebenfalls lebenslang gesperrten Dopingarzt del Moral (Valencia) brachte, wegen "medizinischer Tests".

Ein Fahrer, zu dem White zu dieser Zeit ein besonders enges Verhältnis unterhielt, war übrigens der aktuelle Tour-Champion Bradley Wiggins, der dann später zum Team Sky wechselte. Gerüchte, Wiggins habe zumindest damals ebenfalls Kontakte zu del Moral gehabt, kommentierten zuletzt auf SZ-Anfrage weder White noch Team Sky. Trotzdem tangiert die Aufdeckung von Armstrongs Lebenslüge naturgemäß auch das aktuelle Peloton. Nicht nur, weil neben den Geständigen weitere noch aktive Fahrer wie Jaroslaw Popowitsch (RadioShack) mutmaßlich gedopt an Armstrongs Seite fuhren. So ist eben auch Englands neuer Sportheld Wiggins, 32, sehr konkret von dunkler Vergangenheit umgeben. Denn der starke Mann im Mannschaftswagen von Sky, des dominierenden Tour-Teams von 2012, war im Juli erneut sein Landsmann Sean Yates.

Der 52-Jährige fuhr bis 1996 mit Armstrong bei Motorola, wo ebenfalls gedopt wurde. Und ab 2005 assistierte er als Teamchef dem nun schwer belasteten Belgier Bruyneel, wie auch 2008 bei der verdächtigen Astana-Equipe. Gerade in den leitenden Positionen kann schon seit Jahrzehnten nicht von Erneuerung des Radsports die Rede sein. Und das wird so bleiben: Wjatscheslaw Jekimow, der künftig die russische Katjuscha-Flotte führt, zählte von 1997 bis 2005 zu Armstrongs Edelhelfern. Und bei den Kasachen von Astana ist neuerdings der einschlägige Blutdoper Alexander Winokurow als Manager im Amt. Auch von ihm finden sich jetzt in den Usada-Dokumenten Überweisungen an Dr. Ferrari - in Höhe von 50 000 Euro für nur wenige Monate des Frühjahrs 2006.

Wie sich so der Radsport reinigen will, das ist jetzt die Frage. Zumal der Dachverband, die UCI, endgültig desavouiert ist wegen des durch die Usada-Schrift erheblich verstärkten Eindrucks, sie habe Armstrong und dessen Betrugsorganisation bewusst geschützt. Garmin-Profi David Millar forderte nun offensiv die Absetzung des langjährigen UCI-Chefs Hein Verbruggen (1991-2005) als Ehrenpräsident. "Er war der Kopf der Organisation mit dem größten Doping-Problem in der Geschichte des Sports", klagte der einst überführte Doper, der heute als Anti-Doping-Aktivist auftritt. "Es ist nicht glaubwürdig, dass sie von all dem nichts wussten", ergänzte der frühere Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur, Richard Pound, bei AFP: "Wenn anderen Teams ein ähnliches Verhalten wie US Postal nachgewiesen wird und die UCI damit nie fertig wurde, können sie doch nicht so blind gewesen sein!"

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Dass US Postal kein Einzelfall war, ist freilich längst belegt angesichts des enttarnten Dopingsystems bei der Bonner Telekom/T-Mobile-Equipe und bei der spanischen Liberty-Mannschaft, die der Madrider Dopingarzt Eufemiano Fuentes flottmachte - wie angeblich auch die CSC-Mannschaft um den umstrittenen Dänen Bjarne Riis (der den Verdacht zurückweist). Protagonisten einer verseuchten Ära - und zwar bisher nicht geständige - finden sich überall, wie Armstrongs langjährigen Masseur Freddy Viaene, jetzt Chefpfleger bei Tour-Sieger Cadel Evans (BMC). Und fuhr nicht auch der aktuelle Giro-Sieger Ryder Hesjedal 2004 und 2005 zwei Jahre für Armstrongs Sportgruppe?

© SZ vom 15.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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