Doping:Wochenendprogramm für die Venen

Lesezeit: 5 min

Heikles Gut: Blutproben müssen möglichst bald nach der Entnahme im Labor eintreffen - das Zeitfenster ist abhängig vom Grad der Kühlung. (Foto: Pond5/Imago)

Müssen Sportler gegen Ende der Woche weniger Dopingkontrollen befürchten als zu Beginn? Eine Recherche in Spanien schürt Zweifel an einer ausgewogenen Verteilung der Tests - vor allem bei Blutproben.

Von Johannes Aumüller und Johannes Knuth

Als die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) unlängst ihr 25-jähriges Bestehen zelebrierte, waren die Anwesenden in Lausanne schwer in Feierlaune. Klavierklänge und Gesang ertönten, Honoratioren, allen voran Wada-Präsident Witold Banka, erinnerten daran, wie die Agentur im ersten Vierteljahrhundert ihres Bestehens den Spitzensport vor der Zerstörung durch die Geißel des Pharmabetrugs bewahrt habe. Sogar Freunde des Kabaretts kamen auf ihre Kosten, als die Wada einen ihrer frisch erfundenen "Play True Awards" dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) vermachte, Thomas Bach. Unter dessen wachsamen Augen waren russische Athleten noch bei Olympia 2016 in Mannschaftsstärke und mit allen Würden aufmarschiert, als das Staatsdoping des Landes weitgehend enthüllt war.

Vergleicht man die jüngsten Fensterreden mit dem, was zuletzt aus der Praxis vermeldet wurde, fördert auch das Erstaunliches zutage. Zum Beispiel ein neues heikles Thema, das jetzt auf die ohnehin prall gefüllte Agenda an Problemen im Anti-Doping-Kampf wandert.

SZ PlusDoping im Sport
:Kommt einem spanisch vor

Verschleppte Positivtests? Verstöße gegen die Anti-Doping-Richtlinien? Zurückdatierte Ausnahmegenehmigungen? Spaniens so erfolgreicher Sport produziert erneut ein frappierendes Sittengemälde.

Von Johannes Knuth

Der Auslöser ist eine Kunde, die kürzlich aus Spanien eintraf, einer Brutstätte sportlicher Erfolge - wie Skandale. Im Fokus war ein Report der Sportzeitung Marca, die ihre Leserschaft für gewöhnlich über das Befinden bis hin zu Real Madrids dritten Reservetorwart aufklärt. Das Blatt kam in dem Bericht zu dem nicht völlig neuen Schluss, dass die Netze der Anti-Doping-Behörden noch immer massive Löcher bieten, wie sie auch der ehemalige Radprofi Lance Armstrong nutzte, dessen Betrug von keinem Test enthüllt wurde - dafür von Kronzeugen. Eine Feststellung stach dabei heraus: Von Donnerstag bis Sonntag könnten Betrüger noch immer "tun, was sie wollen", sagte eine Quelle, "weil sie in diesem Zeitraum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht kontrolliert werden".

Huch? Hat Spanien etwa unbemerkt die Dreieinhalb-Tageswoche für Kontrolleure eingeführt - in Anlehnung an die "karibische Woche", wie in spanischen Justizkreisen die Drei-Tage-Woche der Richter verspottet wird? Oder ist das Problem gar nicht auf das Land beschränkt?

Marca berief sich dabei auf "Quellen, die sich im Kampf gegen Doping in unserem Land" engagieren, und diese Informanten stellten zumindest recht konkrete Informationen parat. Ein großes Problem seien die Blutproben, die 48 Stunden nach der Entnahme im Kontrolllabor eintreffen müssten. Das sei nahezu "unmöglich" in Südamerika und Afrika, wo zwei, drei Labore einen Kontinent bedienen. Doch selbst in Spanien könnten Kontrolleure "nur bis Donnerstagmittag Blutproben nehmen", denn: Würde die Probe kurz vor dem Wochenende genommen, würde sie nicht rechtzeitig im Labor eintreffen, um dort zeitnah analysiert zu werden. Also: Hoch die Hände (und Venen), Wochenende?

Die spanische Anti-Doping-Agentur räumt ein, dass es theoretisch zu Beeinträchtigungen kommen könnte

Tatsächlich gibt das Regelwerk der Wada, der International Standard for Testing and Investigations (Isti), eine korrespondierende Richtschnur nur für eine Art von Blutproben her: für die, deren Werte in das hämatologische Modul des sogenannten biologischen Athletenpasses eingespeist werden. Die Fahnder wollen mit diesem Werkzeug, grob gesagt, prüfen, ob Blutwerte über einen längeren Zeitraum hinweg schwanken, was auf Manipulationen deuten könnte. Für die Einlieferung dieser Proben gilt aber kein pauschales Zeitfenster - werden sie bei 15 Grad Celsius gekühlt, müssen sie spätestens 27 Stunden nach Entnahme im Labor eintreffen, bei vier Grad genügen 60 Stunden.

Die spanische Anti-Doping-Agentur (Celad) räumt auf SZ-Anfrage jedenfalls ein, dass für diese Art von Proben das Zeitfenster tatsächlich "beeinträchtigt" sein könne, und zwar für den Zeitraum "in der Nacht von Freitag auf Samstag". In diesen Fällen sei es aber "üblich", das Labor zu informieren, damit das Personal, wie das Wochenende über, Proben entgegennimmt: "Es handelt sich hierbei um ein komplexeres Protokoll, das eine Koordinierung zwischen den Kontrollbeamten und dem Laborpersonal erfordert", schreibt die Celad, "das aber bei Bedarf regelmäßig angewendet wird."

Wie genau dieser Bedarf regelmäßig zur Anwendung kommt? Diese Nachfrage lässt die Celad unbeantwortet.

Schaut man nach Mitteleuropa, zeichnet sich ein Muster ab. Die deutsche Anti-Doping-Agentur (Nada) teilt mit, dass sämtliche von der Wada akkreditierten Labore, mit denen man kooperiere, die Proben auch am Wochenende annehmen. Die Nada plane diese Art von Einsätzen "umfangreich"; man habe Blutproben für das hämatologische Blutpass-Modul etwa schon im Ausland genommen, unter anderem in Afrika. Dort, in Südafrika, bereiten sich gerade wieder viele deutsche Leichtathleten auf die Saison vor - und boten manche Läden zumindest eine Weile lang nicht nur homöopathische Stoffe freizügig an, wie unter anderem die einstige Mittelstreckenläuferin Corinna Harrer einmal erzählt hat. Diese Proben aus dem Ausland, versichert die Nada jedenfalls, seien "in der vorgegebenen Zeit in einem Wada-akkreditierten Labor angekommen".

Leichtathletik-WM
:"Ich habe das Gefühl, dass Doping nicht weniger geworden ist, im Gegenteil"

Corinna Harrer wurde 2012 bei den Spielen in London von gedopten Gegnerinnen betrogen. Fünf Jahre später sagt sie: Olympia kann dich kaputtmachen.

Interview von Johannes Knuth

Auch die Schweizer Anti-Doping-Agentur berichtet von Vereinbarungen, "wonach wir Proben auch am Wochenende abliefern können". Man führe "sehr regelmäßig Dopingkontrollen außerhalb des Wettkampfes auch am Wochenende durch". Die Kollegen aus Österreich bestätigen, dass ihre Labore "entsprechende Dienste" eingerichtet haben, um Proben am Wochenende anzunehmen. Die Analyse könne man bei Bedarf sogar aufschieben - das Isti-Regelwerk erlaubt bis zu drei Tage, nachdem die Probe im Labor eingetroffen ist -, wenn man die Probe "fachgerecht" kühle.

In der Theorie ist also alles so angelegt, dass kein Loch in die Kette der unangekündigten Kontrollen reißt. Und in der Praxis? Fragt man die Agenturen, wie oft genau sie am Wochenende testen, erlahmt die Auskunftsfreude.

Die deutsche Nada listet in ihren Jahresberichten zwar die Gesamtzahl der Blutproben für den Athletenpass auf, bittet aber "um Verständnis, dass wir diese Zahl nicht weiter aufschlüsseln". Die Nada in Österreich schreibt, dass man die Teststatistik "nicht nach Wochentagen" führe, was aber nichts ausmache, da man ja ausgewogen teste. Die Schweizer Kollegen teilen immerhin mit, dass die Agentur im vergangenen Jahr "einen zweistelligen Prozentsatz" ihrer Kontrollen für den Blutpass an Wochenenden ausgeführt habe. Wobei es sich dabei auch um elf Prozent handeln könnte - der mathematische Mittelwert für den Anteil fürs Wochenende liegt bei etwas mehr als 28 Prozent. Auch Spaniens Celad versichert bloß allgemein, dass man "Proben an jedem Wochentag zu jeder Zeit" nehme.

Spaniens Kontrolleure sollen einen ihrer Top-Leichtathleten ein halbes Jahr lang nicht einmal getestet haben

Wie das bisweilen in die Realität hineinwirkt, deutet der Fall des Mittelstreckenläufers Mohamed Katir an. Der 26-Jährige schoss in den vergangenen Jahren in die Weltspitze, gewann 2023 WM-Silber über 5000 Meter - ehe ihn die Integritätseinheit des Leichtathletik-Weltverbands für zwei Jahre sperrte. Kontrolleure hatten Katir binnen zwölf Monaten dreimal nicht an den Adressen angetroffen, die der Spanier im System der Wada hinterlegt hatte. Ein Systemfehler, beteuerte Katir, er habe sich entweder nicht einloggen können oder seinen Aufenthaltsort kurzfristig angepasst. Die Ermittler wiesen aber nach, dass das System zu den fraglichen Zeiten einwandfrei lief, Katir seine Daten einmal tatsächlich kurzfristig aktualisierte - nachdem ihn ein Kontrolleur nicht erreicht hatte.

Entscheidend in diesem Kontext: Es war offenbar der Leichtathletik-Weltverband, der die meisten Fahnder auf Katir ansetzte. Die spanische Anti-Doping-Agentur? Hatte einen der wenigen Topathleten aus der Leichtathletik phasenweise für sechs Monate nicht einmal getestet, berichtet das Portal "Relevo" zuletzt. Die Celad beantwortete eine Frage dazu nicht.

Auch hübsch: Katir hatte kurz zuvor noch mit 77 anderen spanischen Athleten einen Brief unterzeichnet, der die Celad dafür rügte, mutmaßliche Dopingfällen in Spanien nicht entschieden sanktioniert zu haben. Ob das wohl noch für einen der nächsten "Play True Awards" der Wada reicht?

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusInterview mit Ex-Radprofi Bassons
:"Noch immer leben alle in einer großen Lüge"

Der Franzose Christophe Bassons entschied sich zur Zeit der großen Tour-Skandale gegen Doping. Ein Gespräch über Verwünschungen von Lance Armstrong, die Opferrolle von Jan Ullrich - und darüber, was ihm Angst macht, wenn er heute die Tour de France sieht.

Interview von Jean-Marie Magro

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: