DFB-Testspiel in Polen:Ein paar Geschenke zu viel

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Deutschland offenbart in Danzig erhebliche Abwehrprobleme, die Polen kommen zu vielen Kontermöglichkeiten und gehen zweimal in Führung. Doch der eingewechselte Thomas Müller hat zwei entscheidende Szenen und bereitet auch den Ausgleich in letzter Sekunde durch Cacau vor. Bundestrainer Joachim Löw ist "dankbar, dass wir nicht jedes Spiel gewinnen".

Ganz in der Nähe der neuen Fußballarena von Danzig, im Fünf-Sterne-Hotel "Dwor Oliwski", wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im kommenden Sommer ihr EM-Quartier beziehen. Die Polen, das hat Danzigs stellvertretender Bürgermeister gerade mitgeteilt, werden bis dahin noch ein paar Zufahrtsstraßen ausbessern, auf eigene Kosten. Die Deutschen sollen sich schließlich wohlfühlen in Danzig.

Doch besonders ausgelassene Erinnerungen an die Ostsee-Stadt werden Joachim Löw und seine Spieler kaum mitbringen, wenn sie in rund zehn Monaten hier ihr EM-Abenteuer beginnen. Während die jüngsten Auftritte gegen Brasilien (3:2) und Österreich (6:2) bei Teilen des Publikums den Eindruck erweckt hatten, der erste Gewinn des Kontinentaltitels seit 1996 sei im Grunde nur noch Formsache, wurde die Nationalelf am Dienstag auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Im Test gegen den EM-Gastgeber kamen die Deutschen nach einer mühsamen Vorstellung nur zu einem glücklichen 2:2. Dortmunds Robert Lewandowski hatte Polen in Führung gebracht (55. Minute), Toni Kroos per Elfmeter den Ausgleich erzielt (68.). In der 90. Minute traf in Jakub Blaszczykowski dann ein zweiter Spieler vom deutschen Meister zum vermeintlichen Siegtor - ebenfalls per Strafstoß. Doch mit dem Schlusspfiff glich der eingewechselte Stuttgarter Cacau noch zum 2:2 aus.

Der Bundestrainer hätte vermutlich auch einen lockeren Kantersieg gerne mitgenommen - konnte allerdings auch diesem Ergebnis Positives abgewinnen. Löw erklärte das Remis zum Anti-Größenwahn-Resultat. Regelrecht "dankbar" sei er, "dass wir nicht jedes Spiel gewinnen". Und außerdem, fand Löw, könne es gerade den jungen Spielern nur gut tun, "wenn sie auch mal Schwierigkeiten annehmen müssen und daraus lernen".

Die Konzentration hochhalten, keinen Spannungsabfall zulassen nach der vorzeitig gelungenen EM-Qualifikation vergangenen Freitag gegen Österreich - das waren Löws Erwartungen an den Abend in Danzig gewesen. Aber bei einem Gebilde, das auf sieben von elf Positionen verändert wird, ist das Spannunghalten leichter gesagt als getan.

Tim Wiese stand für Manuel Neuer im Tor. Jerome Boateng und Per Mertesacker bildeten zum ersten Mal gemeinsam die Innenverteidigung - gegen Österreich hatten noch Mats Hummels und Holger Badstuber die Zentrale blockiert. Rechtsaußen ersetzte Christian Träsch Benedikt Höwedes. Und so weiter: Simon Rolfes statt Bastian Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld, Mario Götze statt Mesut Özil als Offensiv-Lenker, Andre Schürrle statt Thomas Müller auf dem rechten Flügel. Dass da nicht alles zusammenlaufen könne, "liegt auch in meiner Verantwortung", sagte Joachim Löw.

EM-Qualifikation
:Aus für Austria

Zwar hält Torwart Pascal Grünwald in letzter Minute einen Elfmeter, dennoch sind die Österreicher in der EM-Qualifikation ausgeschieden. Trainer Didi Constantini muss sich wohl einen neuen Job suchen. Der Fehlschuss von Arda Turan und das 0:0 tut aber auch den Türken sehr weh.

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Nun hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in der Vergangenheit schon manchen Gastgeber brüskiert, indem plötzlich eine deutsche B-Elf auf dem Platz stand, für die niemand freiwillig Eintritt bezahlen würde. Aber erstens sind die Zuschauer in Danzig durchaus wegen ihrer eigenen Nationalelf gekommen (um deren EM-Tauglichkeit es zuletzt nicht gerade gut bestellt zu sein schien). Und zweitens soll es ja gerade ein neues Qualitätsmerkmal dieses jungen deutschen Hochbegabten-Ensembles sein, dass es seinen dominanten Spielstil auch unabhängig vom Personal durchhält.

Bundesligisten unter sich: Jerome Boateng (FC Bayern, links) im Luftkampf mit Dortmunds späterem Torschützen Robert Lewandowski. (Foto: AFP)

Das schien zunächst auch zu gelingen, wenn auch mühsamer als zuletzt. Miroslav Klose, neben Lukas Podolski der zweite gebürtige Pole im DFB-Trikot, scheiterte in der 5. Minute am glänzenden polnischen Torwart Wojciech Szczesny vom FC Arsenal. Es folgten gute Gelegenheiten durch Philipp Lahm (9.), erneut Klose (20.) und Schürrle. Kurz vor der Pause parierte Szczesny innerhalb weniger Sekunden gegen Podolski und Klose (die dem Bundestrainer beide etwas nervöser vorkamen als sonst).

Auch in der zweiten Halbzeit produzierten Löws Offensiv-Arbeiter Sehenswertes - Schürrle etwa einen Pfostenschuss von der Strafraumgrenze. Da hatte man aber längst begonnen, sich mehr für das Abwehrspiel der Deutschen zu interessieren, als für ihre unvollendeten Angriffsbemühungen.

Seit sechs Spielen hatte Löws Elf nicht mehr zu null gespielt, aber zuletzt wurden Gegentore eher als lässliche Begleiterscheinung eines aufs Toreerzielen geeichten Offensivkollektivs betrachtet. Die Polen allerdings legten nun ein paar Schwächen offen, das erste Mal in der elften Minute, als Murawski den Neu-Kölner Peszko bediente - Wiese machte sich per Fußabwehr verdient. Dann traf Peszko das Außennetz, und kurz vor der Pause musste Wiese den Stürmer samt Ball aus dem Weg räumen.

In der ersten Szene hatte sich Mertesacker übertölpeln lassen, in den folgenden lief Träsch hinterher - und man konnte nun zwei Erklärungsansätze für diese Probleme bemühen. Jenen, wonach rechts hinten, nach Lahms Umzug nach links, noch etwas Ordungsbedarf besteht. Oder einen grundsätzlicheren: dass Löws neues 4-1-4-1-System - mit vier offensiven Mittelfeldspielern - vor allem bei Kontern die Rückwärtsbewegung erschwert. Daran werde man noch arbeiten müssen, sagte Löw. Das sei ihm aber auch vor der Partie schon klar gewesen.

Dem eingewechselten Thomas Müller war es später zu verdanken, dass auch das 18. Spiel gegen Polen nicht verloren wurde. Den Strafstoß, den Kroos zu seinem ersten Länderspieltor nutzte, hatte Müller herausgeholt. Auch Cacaus Last-Minute-Tor bereitete er vor. Joachim Löw musste lachen, als er dieses späte Ausgleichstor sah. Es war kein ausgelassenes Lachen. Aber es lag auch keinerlei Bitterkeit auf seinem Gesicht.

© SZ vom 07.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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