DFB-Sieg gegen Armenien:Schock kurz vor dem Abflug

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WM in Gefahr für Marco Reus. (Foto: Bongarts/Getty Images)

In einem harmlosen Zweikampf vertritt sich Marco Reus gegen Armenien den Fuß und muss ins Krankenhaus. Die WM in Brasilien ist für den Kreativspieler in Gefahr - das lockere 6:1 im letzten Testspiel gerät zur Nebensache.

Von Ulrich Hartmann, Mainz

Als Marco Reus vom Platz humpelte, gestützt von zwei DFB-Betreuern, hielten 27.000 Zuschauer im ausverkauften Mainzer Stadion den Atem an. Für einen Moment war es still, beängstigend still. 24 Stunden vor dem Abflug des deutschen Fußball-Nationalteams zur WM nach Brasilien erhielten die von ohnehin allerhand medizinischen Ungewissheiten gebeutelten deutschen WM-Hoffnungen am Freitagabend um 21.29 Uhr einen weiteren Dämpfer.

In einem harmlosen Zweikampf vertrat sich der Dortmunder Kreativspieler zwei Minuten vor der Pause des letzten Testspiels gegen Armenien den linken Fuß in einer Manier, dass nicht nur der Bundestrainer Joachim Löw entsetzt aufsprang. Reus rieb sich schmerzerfüllt Knöchel und Schienbein. Er wurde zur Kernspintomographie ins Krankenhaus gefahren. Das 6:1 (0:0) gegen Armenien entpuppte sich irgendwie als nebensächlich.

Die praktische Forschung ist mit diesem Spiel beendet. Die klinische noch längst nicht. Ab sofort zählt das Prinzip Hoffnung. Wenn die deutsche Mannschaft das nächste Mal den Anpfiff eines Schiedsrichters vernimmt, wird sie am 16. Juni um 13 Uhr Ortszeit bei statistisch zu erwartenden 28,9 Grad im Stadion 'Fonte Nova' im brasilianischen Salvador de Bahia stehen und die Portugiesen auf sich zustürzen sehen. 8380 Kilometer legen die Spieler zu diesem Zwecke am Samstagabend per Flugzeug zurück, nachdem sie am Abend zuvor in Mainz das letzte Testspiel vor der Weltmeisterschaft beendet haben.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Kräftig wie ein Rinderherz

Lukas Podolski rettet die Stimmung in der Mainzer Arena. Benedikt Höwedes bewirbt sich als WG-Kumpane in Campo Bahia. Und Thomas Müller stolpert wie verhext über die eigenen Beine. Die DFB-Elf beim 6:1 gegen Armenien in der Einzelkritik.

Von Saskia Aleythe, Mainz

Aber war "Test" überhaupt der richtige Begriff für eine Generalprobe gegen das unauffällige Armenien? Man sollte den deutschen 6:1-Sieg eher eine feierliche Verabschiedung der Fußballhelden in ein südamerikanisches Abenteuer nennen, dessen Ausgang auch nach dem deutlichen Erfolg ziemlich offen erscheint.

Gegen den 38. der tags zuvor frisch aktualisierten Weltrangliste bot Löw als Bundestrainer des Ranglistenzweiten nicht die erwartete Elf und zunächst auch nicht in der vermuteten taktischen 4-4-2-Formation auf. Er brachte nach dem Kamerunspiel fünf Tage zuvor drei neue Startspieler: Benedikt Höwedes ersetzte Erik Durm als Linksverteidiger, André Schürrle spielte zunächst rechts offensiv, wofür der vormalige Rechtsaußen Thomas Müller als "falsche Neun" in die Spitze rückte. Später tauschte Schürrle mit Linksaußen Reus die Seite.

Philipp Lahm schließlich spielte einen zentral-defensiven Mittelfeldchef hinter den Halbpositionen Sami Khedira und Toni Kroos. Mesut Özil und Mario Götze mussten bei dieser Versuchsanordnung namens 4-3-3 zunächst auf die unerwartete Außenposition rücken: nach ganz weit außen: auf die Bank.

Bei einer Temperatur, die der für Salvador vermuteten überraschend nahe kam und Mainz als klimatisch perfekten Ort für die Generalprobe entpuppte, zeigten die Deutschen recht zügig eine Spielfreude, die mit ein wenig Überschwang durchaus als südamerikanisch bezeichnet werden darf. Das erwartungsfrohe Mainzer Publikum goutierte nur allzu gern die erkennbare Mühe, sich von Löws Schützlingen das angekündigte "Lächeln ins Gesicht" zaubern zu lassen. Doch während die derart Bejubelten durch Reus und Jerome Boateng ihre Chancen spektakulär vergaben, war der hinter dem Tor laufende Ergänzungsspieler Lukas Podolski der erste, der vom Publikum erwärmende Rufe erhielt.

Bei den Armeniern erfreut sich nur der für Dortmund spielende Henrikh Mkhitaryan hierzulande einer größeren Bekanntheit, aber auch er vermochte seinen Klubkameraden, den deutschen Torwart Roman Weidenfeller (für den weiter an der Schulter lädierten Manuel Neuer) zunächst nicht in Verlegenheit zu bringen. Schockähnliche Stille erfasste das Stadion, als Reus, der dritte von vier Dortmundern auf dem Platz (der vierte: Mats Hummels), den Rasen verlassen musste. Podolski ersetzte Reus, einen der herausragenden Offensivspieler der vergangenen Bundesligasaison, der eindeutig zu Löws idaler WM-Elf zu zählen wäre.

DFB-Stürmer
:Klose löst Gerd Müller als Rekordschützen ab

Kurz vor der Fußball-WM in Brasilien feiert Miroslav Klose einen persönlichen Erfolg: Mit seinem 69. Länderspieltor löst er den bisherigen DFB-Rekordtorschützen Gerd Müller ab. Sein erstes Tor für Deutschland erzielte er vor mehr als 13 Jahren.

Nach der Pause kam Özil für Lahm. Die Mannschaft spielte jetzt wieder im herkömmlichen 4-4-2 und kam sieben Minuten nach dem Wiederanpfiff auch endlich zum verdienten 1:0. Podolski brachte den Ball in die Mitte, wo ihn Schürrle mit der Hacke ins Tor lenkte (52.). Nun jagte das Publikum sogar eine Welle durchs Stadion und bejubelte in der 59. Minute die Einwechslung von Bastian Schweinsteiger für Khedira.

Die Einsätze der Hoffnung bringenden Lahm und Schweinsteiger spendeten gewissermaßen Trost an diesem unheilvollen Abend, an dem die Armenier in der 69. Minute auch noch durch einen Foulelfmeter zum 1:1-Ausgleich kamen. Mkhitaryan verwandelte ihn, nachdem der kurz zuvor eingewechselte Kevin Großkreuz den Armenier Gevorg Ghazaryan ungeschickt gefoult hatte.

Dieser zweite Schreck des Abends dauerte nur zwei Minuten. Dann stellte Podolski auf Vorarbeit von Özil die Führung wieder her. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Höwedes erhöhte eine Minute später auf 3:1, Klose in der 78. Minute auf 4:1 - sein 69. Länderspieltreffer, womit er nun endlich alleiniger deutscher Rekordtorschütze vor Gerd Müller ist. Mario Götze erzielte in der 82. Minute das 5:1 und in der 89. das 6:1. Die Zuschauer sangen. Trotzdem gingen Mannschaft und Fans nicht mit einem befreiten Lächeln im Gesicht auseinander.

Zu jenem Zeitpunkt stand die Diagnose bei Marco Reus nämlich aus.

© SZ vom 07.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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