DFB-Pokal: Stuttgart - Bayern:Wadenkrampf auf der Tribüne

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Nach dem 6:3 der Bayern im Pokal-Achtelfinale gegen Stuttgart outet sich Louis van Gaal als Fan beider Mannschaften. In der Hitze des Stuttgarter Abends gab es aber auch einen besinnlichen Moment.

Thomas Hummel, Stuttgart

Uli Hoeneß schritt als einer der ersten Münchner aus dem Stadionbauch, er hatte immer noch seinen Bayern-Schal um den Schultern. Er grinste wie ein Lausbub, der seinen Zuhörern gleich eine ganz irre Geschichte erzählen wird. "Das waren zwei verrückte Spiele", erklärte der Präsident. Aus dem Grinsen wurde fast ein offenes Lachen.

"Wir waren heute die Glücklicheren": Louis van Gaal hat vorweihnachtliches Lob für den Kollegen Labbadia übrig. (Foto: Bongarts/Getty Images)

6:3 (in Worten: sechs zu drei) hatte sein FC Bayern soeben den VfB Stuttgart besiegt, im Achtelfinale des DFB-Pokals. Drei Tage, nachdem sein FC Bayern den VfB Stuttgart in der Bundesliga mit 5:3 (fünf zu drei) besiegt hatte. Das ergibt ein Gesamtergebnis von 11:6 (elf zu sechs), jedes Eishockey-Duell würde sich über so viele Tore freuen. Der Zufall, dass im DFB-Pokal nur eine halbe Woche nach dem Bundesliga-Termin die gleiche Begegnung im Stuttgarter Stadion stattfand, hat dem deutschen Fußball zwei fulminante Fußballabende geschenkt.

Sogar Louis van Gaals Augen glänzten angesichts der Ereignisse. Noch eine Stunde nach dem Abpfiff outete sich der sonst so strenge Fußball-Lehrmeister als Fan beider Mannschaften. "Ich denke, dass das ein Super-Spiel war", sagte der Trainer des FC Bayern, "Stuttgart hat alles gegeben und wir auch. Das ist das Schöne im Fußball, das ist Leidenschaft, das ist Begeisterung."

Er schwärmte vom zweiten Tor des Russen Pawel Pogrebnjak, er bedankte sich bei den VfB-Fans, die noch am Sonntag lautstark die eigenen Spieler beschimpft hatten, nun "umgedreht sind" und trotz vieler Rückschläge ihre Mannschaft fast pausenlos angefeuert hatten. Auch entschuldigte er sich fast dafür, ein zweites Mal dieses Spektakel gewonnen zu haben: "Wir waren heute die Glücklicheren."

Van Gaal beschrieb damit sachgerecht die Ereignisse der 94 Minuten zuvor. Dabei hatte es nach acht Minuten danach ausgesehen, dass die Münchner ihren Gegner diesmal überrollen würden. Andreas Ottl und Mario Gomez hatten mit einer Leichtigkeit zwei Tore geschossen, die jedem Stuttgarter Angst machen musste. Eine Angst, die zuerst das erstaunliche Publikum mit unverdrossenen Anfeuerungsrufen bekämpfte, dann die Mannschaft mit einer Mischung aus Härte, Einsatz und zunehmender Spielfreude.

Anstatt selbst überrollt zu werden, entwickelte der VfB eine Wucht, der die Bayern fast hilflos ausgesetzt waren. Zur Halbzeit stand es schon 2:2 (zwei Tore Pogrebnjak), nach der Pause stoppte selbst das 3:2 durch Miroslav Klose (nach schlimmem Fehlverhalten des Stuttgarters Matthieu Delpierre) und eine gelb-rote Karte für Khalid Boulahrouz die Stuttgarter nicht.

Zwischen der 46. und 80. Minute zielten die Gastgeber sechsmal gefährlich auf das Bayern-Tor, unter anderem traf Martin Harnik die Latte und Christian Gentner scheiterte per Elfmeter an Torwart Jörg Butt. Trotz Unterzahl gelang durch Delpierre das 3:3, im Stadion vergaßen die eher zurückhaltenden Schwaben ihre Zurückhaltung und gerieten in Ekstase. Auf der Haupttribüne spielte ein Herr mit Schnauzbart derart aktiv mit, dass er wegen eines Wadenkrampfes aufstehen musste und seinen Hintermann verärgerte.

FC Bayern: Einzelkritik
:Vogelwilde Rohrspatzen

Ein Mittelfeldkämpfer schimpft, als gäbe es kein Morgen, ein anderer trifft und spielt dann wie eine Fliege nach einem Wodka-Bad und ein Angreifer beamt sich durch die Stuttgarter Nacht. Die Bayern in der Einzelkritik mit Vote.

Thomas Hummel, Stuttgart

Erst der einzigartige Thomas Müller gab den unerschrockenen Stuttgartern mit dem 4:3 den entscheidenden Stoß, die weiteren Tore von Klose und Franck Ribéry blieben Zugabe. Die Auslosung später ergab im Viertelfinale für die Münchner das Auswärtsspiel beim Zweitligisten Alemannia Aachen.

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Ein Mittelfeldkämpfer schimpft, als gäbe es kein Morgen, ein anderer trifft und spielt dann wie eine Fliege nach einem Wodka-Bad und ein Angreifer beamt sich durch die Stuttgarter Nacht. Die Bayern in der Einzelkritik mit Vote.

Thomas Hummel, Stuttgart

"Das war heute was für die Zuschauer. Außer für die Stuttgarter", feixte Hoeneß, der schon nach dem geschenkten 3:2 zusammen mit Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge schelmisch lachend auf der Tribüne gefilmt worden war. "Vielleicht hat da jemand einen Witz erzählt", konterte Hoeneß. Und was sagen Sie zu Ihrer Abwehr? "Wir sind in der Vorweihnachtszeit, da diskutiere ich nicht über Fehler."

Intern wird sich der Präsident aber der Diskussion nicht verschließen können. Denn die Defensive der Münchner zeigte sich fast ebenso schwach wie die der Stuttgarter und bewegte sich damit in Richtung Zweitliga-Niveau. Weder das defensive Mittelfeld mit Ottl und Mark van Bommel, noch die Innenverteidigung mit Breno und Anatolij Timoschtschuk, später Daniel Van Buyten, hatten den Angriffen der Stuttgarter Wirkungsvolles entgegenzusetzen. Auch Danijel Pranjic und Philipp Lahm auf den Flügeln hatten herbe Probleme.

Wie der Stuttgarter Trainer Bruno Labbadia war auch van Gaal leicht verzweifelt ob der Verfehlungen beim Toreverhindern. "Ich kann nicht wechseln, weil immer ein anderer Spieler einen Fehler macht. Würde immer der gleiche einen Fehler machen, wäre es einfacher", erklärte er. Thomas Müller beschrieb es so: "Es passieren gerade hinten bei uns verrückte Dinge."

Da war sie wieder, die Verrücktheit dieser Partie. Für die Stuttgarter war sie noch schwerer zu verkraften, denn nicht zu Unrecht beklagte Boulahrouz, "dass wir heute das Gefühl hatten, die Bayern schlagen zu können". Nicht zuletzt seine Hinausstellung nach einem völlig überflüssigen Einsteigen gegen Bastian Schweinsteiger an der Mittellinie trotz voriger Verwarnung schwächte den VfB entscheidend (68.).

So schwankte auch Labbadia zwischen Ärger über seine Defensive: "Wir müssen einige Dinge abstellen." Andererseits lobte er seine Mannschaft, die gezeigt habe, "welche Kraft in ihr steckt". Mit dieser Kraft soll in der Rückrunde der Abstieg in die zweite Liga verhindert werden. Van Gaal urteilte unter dem Eindruck der leidenschaftlichen Stuttgarter: Der Klassenerhalt für den VfB "dürfte kein Problem sein".

In der Hitze des Dezemberabends gab es indes einen stillen, fast besinnlichen Moment. Labbadia wurde fast pathetisch: "Bayern München hat einen großen Spieler." Er meinte Bastian Schweinsteiger, der sich nach dem fatalen Foul von Boulahrouz beim Schiedsrichter Meyer für seinen Widersacher einsetzte und dessen gelb-rote Karte verhindern wollte. Auf Meyers Rückfrage musste er aber doch gestehen, vom Niederländer getroffen worden zu sein.

Lügen wollte Schweinsteiger so kurz vor Weihnachten dann doch nicht.

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