Saarbrücken im DFB-Pokal:Schlachtplan statt Matchplan

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Torwart Daniel Batz ist schon jetzt das Gesicht der Saarbrücker Sensationslust. (Foto: Bongarts/Getty Images)

94 Tage hat der Regionalligist Saarbrücken keine Partie mehr bestritten - jetzt steht plötzlich im Pokal-Halbfinale gegen Leverkusen "das größte Spiel des Lebens" bevor. Eine Herkulesaufgabe in allen Bereichen.

Von Frank Hellmann

Lukas Kwasniok hat im Vorlauf lange genug Zeit gehabt, um sich für dieses "Jahrhundertspiel" die richtige Herangehensweise zu überlegen. Und so ist der Trainer des 1. FC Saarbrücken auch überzeugt, dass er für das Halbfinale im DFB-Pokal gegen Bayer 04 Leverkusen an diesem Dienstag eher "einen Schlachtplan als einen Matchplan" benötigt.

"Wir gehen so rein, als würden wir 1:0 führen. Wir müssen in die Köpfe des Gegners. Wir müssen das Spiel so gestalten, dass die Leverkusener vom Platz gehen und sagen: Das war der widerlichste Gegner der Saison", erklärte der breitschultrige Coach des Viertligisten am Montag bei einer Video-Pressekonferenz im Quarantäne-Hotel. Das gehört praktischerweise zur Unternehmensgruppe von Hauptsponsor und Präsident Hartmut Ostermann, der dem Traditionsverein Saarbrücken auch in schlechten Zeiten immer beistand.

Diese vierte Halbfinalteilnahme im Pokal stellt für das einstige Gründungsmitglied der Bundesliga ein ruhmreiches Kapitel in einer bewegten Klubgeschichte dar. So nah wie die Saarländer kam in der Historie des Wettbewerbs noch nie ein Viertligist dem Finale. Zugleich erscheint das nun für den 4. Juli terminierte Endspiel in Berlin durch die Corona-Krise noch viel weiter weg als vorher. Kapitän Manuel Zeitz und seine Kollegen haben wegen des Saisonabbruchs in ihrer Regionalliga seit 94 Tagen kein einziges Spiels mehr bestritten - und jetzt kommt gleich "das größte Spiel des Lebens", wie Zeitz sagt. Seit fast sechs Wochen bereitet sich Saarbrücken exklusiv auf diesen einen Höhepunkt vor.

Eine Herkulesaufgabe für alle Bereiche

Der Trainer Kwasniok möchte gegen den hohen Favoriten Leverkusen nicht weniger als "Sportgeschichte schreiben" und "den 9. Juni zum Feiertag für das Saarland machen". Das Problem sei nur: "Wir werden uns in den ersten 15, 20 Minuten an das Gefühl gewöhnen müssen, überhaupt wieder ein Spiel zu haben." Zudem werde die Siegchance auch nicht viel größer, weil Leverkusen seinen Leistungsträger Kai Havertz nicht einsetzen kann: "Alle Spieler bei denen sind besser als unsere Jungs", räumt Kwasniok ein.

Das hört sich nach einer Herkulesaufgabe an, und das gilt für alle Bereiche. Die Umsetzung des Hygienekonzepts, erklärte Geschäftsführer David Fischer, sei "eine riesige Herausforderung" gewesen für einen Klub, auf dessen Geschäftsstelle sonst nur noch der Sportliche Leiter Marcus Mann und vier Mitarbeiterinnen hauptamtlich beschäftigt sind.

Zum Glück kannte man sich mit der Installation der aus England georderten mobilen Flutlichtanlage aus den vorherigen Pokalrunden schon aus. Dennoch wird an dem inzwischen bereits gewohnten Ausweichspielort in Völklingen - der altehrwürdige Ludwigspark in Saarbrücken wird seit 2016 umgebaut, ist aber immer noch nicht fertig - diesmal vieles anders sein.

"Wir haben unseren zwölften Mann verloren", sagt Kwasniok. Dennoch könne die Dorfsportplatz-Atmosphäre, die sich durch ein Geisterspiel verstärkt, auch ein Vorteil sein: "Schon wenn die Leverkusener über die rote Asche einlaufen, schwillt dem ein oder anderen der Kamm", glaubt Kwasniok. Die Ersatzspieler würden quasi ins nahe Schwimmbad schauen. Und vielleicht, so die leise Hoffnung des FCS-Trainers, "wird der eine oder andere nicht an seine Leistungsgrenze stoßen können".

Sollte im provinziellen Ambiente die nächste Überraschung ausbleiben, wird sich bei Saarbrücken niemand grämen. Zu groß ist der wirtschaftliche Nutzen. Mit garantierten 2,8 Millionen Euro TV-Geld fürs Halbfinale summiert sich der Geldregen aus der Pokalsaison auf fast 5,4 Millionen Euro. Auch sportlich haben die seit 2014 in der Regionalliga Südwest gefangenen Blau-Schwarzen ihr Saisonziel schon erreicht: Nach dem Abbruch wurde Saarbrücken zum Meister der Südwest-Regionalliga und zum Direktaufsteiger in die 3. Liga ernannt. Es sei gewiss nicht der Wunsch gewesen, diesen Plan am grünen Tisch zu vollenden, sagt Fischer: "Aber wir müssen uns dafür auch nicht schämen."

Dem Geschäftsführer geht es darum, das positive Image nicht durch eine böse Klatsche gegen Bayer 04 zu gefährden. "Wir wollen allen Zuschauern zeigen, dass wir nicht umsonst in diesem Halbfinale stehen", sagt der 35-Jährige. Wenn schon niemand vor Ort sein darf - in diesen Genuss kommen auch die Inhaber von 2500 Geisterspieltickets nicht - will der Außenseiter wenigstens beim Millionenpublikum am Fernseher Eindruck schinden.

Sollte sich Saarbrücken sogar doch wieder irgendwie über eine Verlängerung ins Elfmeterschießen retten, wären die Erfolgsaussichten schlagartig erhöht: Denn bereits im Achtelfinale gegen den Karlsruher SC und im Viertelfinale gegen Fortuna Düsseldorf machte sich Torwart Daniel Batz bei den gegnerischen Schützen reihenweise unbeliebt. Der 29 Jahre alte Elfmeterspezialist ist schon jetzt das Gesicht der Saarbrücker Sensationslust. "Batzi", so sein Spitzname, nahm übrigens in der Corona-Pause, wie auch einige Teamkollegen, am Online-Unterricht für die Trainer-B-Lizenz teil. Zusätzliches Wissen aus allen Fachbereichen kann nicht schaden vor dem größten Spiel der Karriere.

© SZ vom 09.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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