WM-Qualifikation:Gemütlich eingerichtet im 1:0

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Leroy Sané: Probleme beim Einnetzen gegen Rumänien. (Foto: AFP)

Beim Sieg gegen Rumänien macht sich die deutsche Mannschaft das Leben mit schwacher Chancenverwertung selbst schwer - und bekommt es mit einem Phänomen zu tun, das Joshua Kimmich entwaffnet.

Von Christof Kneer

Normalerweise mögen Trainer es nicht so besonders, wenn sie sich auf ein wichtiges Spiel vorbereiten und gleichzeitig Nachfolgerdebatten aushalten müssen. Noch weniger mögen sie es, wenn mögliche Nachfolger von sich aus den Finger strecken, und als besonders verwerflich gilt, wenn potenzielle Rivalen sich aus der eigenen Firma melden. "Ich glaube, dass der DFB gesagt hat, dass er niemanden kontaktieren will, der bei einem anderen Verein einen Vertrag hat. Die Schlussfolgerung könnt ihr jetzt ziehen ...", hat gerade Stefan Kuntz gesagt, der Trainer der deutschen U21-Auswahl. Die Schlussfolgerung, die er listig in den Raum stellte: Er selbst, Kuntz, steht bei keinem anderen Verein unter Vertrag. Er wäre frei. Und wenn man ihn fragen würde ...

Bundestrainer Löw
:Melancholie des Abschieds

Joachim Löw stimmt auf einer Presskonferenz einen Soul-Klassiker von Barry White an. Eingebung oder Inszenierung? Den Ton für seine letzten Monate als Bundestrainer hat er damit jedenfalls gesetzt.

Von Klaus Hoeltzenbein

Sofern er nicht gerade ein Liedlein brummte, hat Joachim Löw diesen Satz sicherlich gehört oder gelesen, ausgerechnet an dem Tag, an dem er seine Mannschaft für ein WM-Qualifikationsspiel beim mutmaßlich stärksten Gruppengegner Rumänien präparierte. Aber man darf davon ausgehen, dass Löw den Satz des Untergebenen Kuntz ziemlich gelassen zur Kenntnis genommen hat. Jedenfalls wird er kaum beleidigt gewesen sein, denn er, Löw, weiß ja sehr genau, dass er selbst daran schuld ist. Durch seine Rücktrittsankündigung hat er die Menschheit zum Spekulieren eingeladen, und das macht die Menschheit jetzt halt auch.

Bei Spielern sagt man manchmal, sie könnten befreit aufspielen, wenn zum Beispiel ein Vereinswechsel bekanntgegeben wurde oder sonst irgendeine Art von Druck abgefallen ist. Gilt das auch für Trainer? Kann Löw nun, da er mit der großen Nachricht rausgerückt ist, befreit aufcoachen?

Niemand weiß, welchen Eindruck der scheidende Bundestrainer bei seinem letzten Turnier im Sommer hinterlassen wird, niemand weiß, bei welcher Körperspannung man ihn erwischen wird. Wer aber die Aufstellung beim Spiel in Rumänien betrachtete, bekam immerhin eine Ahnung davon vermittelt, dass es Löw ernst ist mit seinem letzten großen Ziel. Bei jener Elf, die in Bukarest verdient, aber knapp mit 1:0 siegte, handelte es sich um dieselbe Elf, die am Donnerstagabend bereits die Isländer mit 3:0 bezwungen hatte. Löw experimentiert nicht, er will niemanden ausbilden für eine Zeit, in der er nicht mehr Bundestrainer sein wird - er möchte eine Elf einspielen für die paar Monate, die ihm noch bleiben. Die leicht angeschlagenen Leroy Sané und Leon Goretzka hatten sich rechtzeitig gesund gemeldet, so dass Löw denselben Leuten wie drei Abende zuvor vertrauen konnte - inklusive Kai Havertz, der wieder den Vorzug vor Timo Werner erhielt.

Aber so gehorsam ist der Fußball nun doch wieder nicht, als dass er sich einfach reproduzieren ließe: Es ist Löw und seinen Leuten dann doch nicht gelungen, dasselbe Spiel nochmal zu spielen. "Ich denke, dass wir uns das Spiel einfacher hätten machen können", sagte Joshua Kimmich später, "wir müssen es einfach früher entscheiden, dann haben wir auch einen ruhigeren Abend." Torwart Manuel Neuer war fast wortgleich derselben Meinung: "Ich denke, dass wir früher den Deckel draufmachen müssen, dann kommen wir nicht in Gefahr. Da müssen wir das zweite oder dritte Tor machen, um Ruhe zu haben."

Zwar beeilte sich die DFB-Elf auch in Bukarest, aber ganz so schnell wie am Donnerstag in Duisburg war sie nicht. Gegen Island lagen die Deutschen nach sieben Minuten 2:0 vorne, diesmal dauerte es 16 Minuten bis zur Führung. War das eine zufällige Szene, oder coacht Löw tatsächlich befreit auf? Es war nämlich ein wirklich sehr langer Ball, der das deutsche Führungstor einleitete, und solche Bälle hat Löw viele Jahre von Herzen abgelehnt. Antonio Rüdiger überwand mit einem hohen Flugball die rumänische Abwehrkette, Kai Havertz schnappte sich den Ball und legte ihn hübsch quer ins Zentrum, wo Serge Gnabry vollendete.

Geübte Bundesliga-Zuschauer haben in dieser Szene vermutlich auf eine Überprüfung durch den Videoreferee gewartet, Havertz war haarscharf im oder eben nicht im Abseits gestartet, aber ausgerechnet in der Qualifikation fürs größte Fußballereignis der Welt wird ohne technische Hilfsmittel gespielt. Immerhin durfte Gnabry umgehend jubeln, ohne dreieinhalb Minuten auf die Anlegung geheimnisvoller kalibrierter Linien warten zu müssen.

Die Deutschen spielten gefällig, aber nicht scharf genug

Die Mannschaft müsse "lernen, dieses Level 90 Minuten zu gehen", hatte Löw vor dem Anpfiff verfügt, als er auf die gute erste Halbzeit gegen Island angesprochen wurde. Um es mal freundlich zu formulieren: Lernen ist ein Prozess, und so gesehen hat die Mannschaft noch ein bisschen Zeit. An diesem Abend aber war sie noch nicht in der Lage, die Vorgabe des Sportlehrers umzusetzen. Die frühe Führung gab der Elf zwar Sicherheit, aber die Elf richtete es sich viel zu gemütlich darin ein. Die Deutschen spielten gefällig, aber nicht scharf genug, um die Rumänien wirklich unter Stress zu setzen; außerdem konnte die DFB-Elf an diesem Abend schon mal mit einem Phänomen Bekanntschaft machen, das ihr noch häufiger begegnen dürfte. Weil niemand übersehen konnte, wie herausragend Joshua Kimmich am vorigen Donnerstag das Spiel gestaltet hatte, stellten die Rumänen dem defensivsten deutschen Mittelfeldspieler einen eigenen Defensivspieler auf die Füße. Ein rumänischer Sechser spielte Manndeckung gegen den deutschen Sechser: Zur Pause kam Kimmich auf 35 Pässe - gegen die Isländer waren es 90 gewesen.

In der zweiten Hälfte machte ein weiteres Muster auf sich aufmerksam, das den Deutschen in Zukunft noch zu schaffen machen könnte: Goretzka (50.), Gnabry (58.), Gündogan (60.) und Sané (63.) kamen zu guten bis sehr guten Chancen, aber sie nutzten keine davon. Ob das nur an Rumäniens Keeper Nita lag oder auch an mangelnder deutscher Entschlossenheit, an der Abwesenheit eines echten Neuners, eines Mittelstürmers also, der sich mit Wucht und Willen den Strafraum untertan macht? Das Problem ist nicht neu und weiterhin nicht gelöst. Es blieb somit bei aller Überlegenheit ein enges Spiel, am Ende mussten die Deutschen sogar nochmal kräftig zittern.

Unterm Strich standen dann aber zwei erfreuliche Ergebnisse: Die DFB-Elf ist mit zwei Siegen in die Qualifikation gestartet - und die Spieler haben erneut Haltung gezeigt. Die Mannschaft präsentierte sich beim Gruppenfoto mit den Rückennummern nach vorne - ein Hinweis auf die 30 Artikel in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.

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:Gnabry wirkt wie Baldrian

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