Bundestrainer Löw:Melancholie des Abschieds

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Joachim Löw beim Abschlusstraining in Bukarest (Foto: Getty Images)

Joachim Löw stimmt auf einer Presskonferenz einen Soul-Klassiker von Barry White an. Eingebung oder Inszenierung? Den Ton für seine letzten Monate als Bundestrainer hat er damit jedenfalls gesetzt.

Von Klaus Hoeltzenbein

Joachim Löw besitzt großes Talent, sich eine Aura des Rätselhaften zu erhalten. 15 Jahre ist er nun schon Bundestrainer, die Zeit geht zur Neige, was aber weiß man schon wirklich von ihm nach dieser halben Ewigkeit? Wie ist dieser Löw, wenn er mal nicht nur Pressekonferenzler und Spielerauswechsler ist, sondern einfach mal privat? Dass er zur Entspannung ab und an den Oldtimer, ein Mercedes-Cabrio, aus der Garage holt und sonnenbebrillt über die Schwarzwaldhochstraße juckelt, hat er in einer schwachen Stunde mal erzählt. Brosamen für die interessierte Öffentlichkeit. Aber sonst?

Hinter die Sonnenbrille hat er sich nahezu nie schauen lassen. Selbst die Paparazzi, so schien es, hatten den Mann längst aufgegeben. Zumal Löw, 61, auch modisch immer okay war, kein Wunder, in seiner Zeit wurde die Nationalmannschaft von Strenesse und später Hugo Boss eingekleidet, da spannte vielleicht mal im Regen das T-Shirt, aber generell kann der reifere Mann damit nahezu nichts falsch machen. Selbst dann nicht, wenn ihm die Modeberater der Ausrüster die Klamotten für den Tag mal nicht bereit legen. Einmal hatte Löw noch was über Musik erzählt, nämlich dass er ganz was anderes höre als seine Spieler: "Die spielen heute Musik in der Kabine, da muss ich vor die Tür. Ich höre lieber deutsche Schlager."

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An dieser Stelle gibt es für die Geschichtsschreibung zu Löw (Wie-war-er-denn-so?) jetzt vielleicht einen neuen Ansatz. Aus einem dünnen Buch könnte ein etwas dickeres werden. Denn bevor am Samstag die digitale Pressekonferenz zum Sonntagsländerspiel in Rumänien offiziell eröffnet worden war, summte Löw nicht etwa Schlager von Helene Fischer oder Andrea Berg, sondern einen Soul-Klassiker von Barry White. Ins Mikrofon hauchte er: "You're the first ..., the last..., my everything." Erst nach Abklingen der Ouvertüre fragte Pressesprecher Jens Grittner, ob man denn vom Podium in Bukarest schon zu hören sei.

Ja, war man. Und nun also rätseln die Löw-Interpreten: Eingebung oder Inszenierung? Spontan oder geplant? Sphinxartiges hat Löw ja schon so einiges hinterlassen. Erinnert sei nur an jenes weltweit gedruckte Foto von der Strandpromenade in Sotschi, das neben dem Vorrunden-Knockout gegen die Fußball-Mächte Mexiko (0:1), Schweden (2:1) und Südkorea (0:2) auf ewig von dieser verkorksten 2018er-WM in Russland in Erinnerung bleiben wird. Löw hatte seine Joggingrunde unterbrochen, er lehnte lässig an einer schwarz lackierten Laterne, das Meer diente als Kulisse. Bestaunt wurde das Foto wie ein Gemälde im Museum, in das jeder halt reininterpretiert, was er zu erkennen glaubt. Im Falle Löw zum Beispiel: Mir persönlich gefällt es hier, mir geht es hier gut, aber ... - das Foto konnte damals als Distanzierung vom WM-Quartier in Watutinki begriffen werden.

1974! - ist womöglich die Jahreszahl von Bedeutung, in der das Lied erschien?

Was also will Löw, der all die Jahre nie gesungen, sondern allenfalls mal gepfiffen hat, jetzt mit Hilfe des 2003 verstorbenen Barry White erzählen? Ein Fall für Kryptologen: Ist womöglich die Jahreszahl von Bedeutung, in der das Lied erschien? 1974 war's, es war ein Cabrio-Sommer, in dem die Deutschen zum zweiten Mal nach 1954 Weltmeister wurden. Versteckt sich somit im beiläufig Dahingeträllerten in Wahrheit ein messerscharfer Auftrag an die jüngere Generation? Hey Jungs!, Zeit wär's mal wieder ... -.

Im Sommer 2021 ist allerdings nur Europameisterschaft. Und deshalb geht es am Ende vielleicht doch eher um ihn, um Löw. Um die Melancholie des Abschieds. Für die hält Barry White im Zentrum von "You're the First, the Last ..." einige schlager-schmachtend-schnulzige Zeilen bereit: "Du bist, du bist alles, wofür ich lebe / Deine Liebe bewahre ich für ewig auf / Du bist die Erste, meine Letzte, mein Alles."

Für all das, was da noch an Nachrufen auf ihn und seine Beziehung zu einer Fußball-Nationalmannschaft folgen wird, hat Joachim Löw jetzt schon mal einen Ton gesetzt.

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