DFB-Team:Überstunden für Nationalspieler sind vertretbar

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Klingt längst wieder wie ein Fußballprofi statt wie ein Prediger: Bundestrainer Joachim Löw. (Foto: dpa)

Acht Länderspiele werden bis November in den Terminplan gepfercht. Das sorgt für ein gehetztes Programm - doch es gibt vernünftige Gründe dafür.

Kommentar von Philipp Selldorf

Als sich Joachim Löw im Rahmen einer DFB-Veranstaltung zu Beginn der Corona-Krise an sein Publikum wandte, schien er die Rolle des Bundestrainers gegen die eines Predigers getauscht zu haben. Unter anderem äußerte er den Verdacht, "die Welt und vielleicht auch die Erde" wollten sich zur Wehr setzen "gegen die Menschen und deren Tun". Er rügte die Vorherrschaft von "Macht, Gier, Profit, noch besseren Resultaten und Rekorden", und er beklagte "das Tempo der letzten Jahre" - denn dieses sei "nicht mehr zu toppen". Nach dieser Rede zog sich Löw in eine Ruhepause zurück, die, hinsichtlich seiner eigenen beruflichen Beanspruchung, an Langsamkeit ebenfalls kaum zu übertreffen war. Was kein Vorwurf sein kann: Ohne Länderspiele ist auch der fleißigste südbadische Bundestrainer der Welt zur Tatenlosigkeit verurteilt.

Nun kehrt die Nationalmannschaft zurück in den Fußballbetrieb, und Löw wird in den Mahnungen auf eine Weise bestätigt, die sein Weltbild erneut auf die Probe stellt. Im September, Oktober und November stehen der Nationalelf acht Länderspiele bevor, im Akkord wird nachgeholt, was in der ersten Jahreshälfte aus dem Kalender gestrichen werden musste. Neben den sechs Partien in der Uefa-Nations-League gibt es noch Tests gegen Tschechien und die Türkei. Diese Aufgaben sind in einen Terminplan gepfercht, der in schneller Folge die Pflichten in Bundesliga, Pokal und Europacup abarbeitet. Die deutsche Winterpause dauert in diesem Jahr zehn Tage, gleich nach Neujahr geht's weiter.

Wegen der Corona-Risiken hat Europas Fußball-Verband Uefa sogar die Möglichkeit von Losverfahren und Entscheidungen am grünen Tisch in die Wettbewerbsordnung aufgenommen - es bleibt keine Zeit für Nachholspiele. Dieses gehetzte Programm sei "schon grenzwertig", kommentierte Löw, aber damit klingt er längst wieder wie ein Fußballprofi statt wie ein Prediger. Sind also abermals die von ihm verfemten Geißeln Gier & Profit am Werk? Ach, wenn es so einfach wäre.

Die Nationalelf trägt wesentlich zum Budget des Verbandes bei

Der DFB-Manager Oliver Bierhoff rechtfertigt die Fließbandarbeit der Fußballer mit den "wirtschaftlichen Notwendigkeiten", denen die Uefa ausgesetzt sei, und er verschweigt auch nicht, dass es bei seinem eigenen Dienstherrn mindestens ähnliche Beweggründe gibt. Die Einnahmeausfälle des ersten Halbjahres seien "schon heftig" gewesen. Zwar hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) dank einer Ausfallversicherung vorgesorgt und konnte damit den Schaden durch die ausgefallenen Spiele einigermaßen kompensieren. Das ändert aber nichts daran, dass die Nationalelf wesentlich zum Budget des Verbandes beiträgt. Im verkorksten WM-Jahr 2018 zum Beispiel steuerte sie einen Überschuss von fast 55 Millionen Euro bei.

Dem Fußballsport an sich entstünde bestimmt kein Schaden, wenn in diesem Jahr keine Nations League und auch sonst kein Länderspiel stattfänden, und vermutlich würden auch die Fans sich nicht vor Sehnsucht danach verzehren: Wenn jede Woche bis Weihnachten eine englische Woche ist, dann ist das nicht nur für die Spieler, sondern auch für die Zuschauer anstrengend.

Aber die Verbände brauchen nun mal die Einnahmen aus den teuer vermarkteten Länderspielen, um ihre Aufgaben zu erfüllen, und diese Aufgaben bestehen, obwohl das viele glauben mögen, keinesfalls bloß darin, den Funktionären neue Ausgehanzüge zu beschaffen. Über die Länderspiele dient der professionelle Fußball dem sozialen Fußball, daher sind die Überstunden der Nationalspieler moralisch allemal vertretbar.

© SZ vom 02.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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