Deutschland verliert EM-Auftakt:Fehlerhaft, verkrampft, frustriert

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Bis auf ein Mal haben die DHB-Männer noch bei jeder EM ihr erstes Spiel vergeigt - doch diesmal wiegt die 24:27-Niederlage zum Auftakt gegen Außenseiter Tschechien schwerer: Weil Tschechien ein direkter Konkurrent um die Olympia-Plätze ist. Doch das Turnier ist nicht vorbei.

Joachim Mölter, Niš

Man hat das Unheil ahnen können, nach zwei Minuten schon. Da schritt der Mannheimer Uwe Gensheimer zum Siebenmeter, der Linksaußen ist in der deutschen Handball-Nationalmannschaft das, was man einen hundertprozentigen Schützen nennt. Es ist jedenfalls lange her, dass er mal verworfen hat, man kann sich kaum noch daran erinnern. Gensheimer trat also an, doch er traf nur das Bein des tschechischen Torhüters Petr Stochel. Und so ging es weiter im Auftaktspiel der deutschen Handballer bei der Europameisterschaft in Serbien.

Stets im Griff: Mittelmann Michael Haaß wird attackiert. (Foto: dpa)

Wann immer sich Chancen boten - die Auswahlspieler des DHB vergaben sie. Mal warfen sie den Ball weit drüber oder gleich in gegnerische Hände, mal trafen sie Pfosten oder Latte, oft auch Stochls Gliedmaßen, der dadurch wirkte wie ein Weltklassetorwart. "Wir haben die Tschechen selbst stark gemacht und aufgebaut", bilanzierte Rückraumspieler Lars Kaufmann, der Stochl noch am häufigsten überlistete (fünfmal).

Am Ende unterlag die deutsche Mannschaft 24:27 (9:14), und Bundestrainer Martin Heuberger fand: "Der Sieg der Tschechen geht in Ordnung. Wir hatten in der zweiten Halbzeit so viele Chancen auszugleichen und haben jedes Mal Fehler gemacht."

Die Niederlage an sich wäre gar nicht so besorgniserregend: Bis auf einmal haben die DHB-Männer noch bei jeder EM ihr erstes Spiel vergeigt, selbst 2004, als sie später den Titel gewannen. "Das Turnier besteht nicht nur aus einem Spiel", betonte dann auch der deutsche Spielmacher Michael Haaß. Aber die Partie gegen Tschechien war zum Schicksalsspiel erklärt worden: Nach zwei enttäuschenden Turnieren (10. bei der EM 2010 und 11. bei der WM 2011) ist nicht nur Renommee verloren gegangen, sondern nun ist auch die Olympia-Teilnahme in Gefahr.

In Serbien werden noch zwei Plätze für Qualifikationsturniere vergeben, und um die kämpfen neun Teams. Da wäre ein Sieg gegen Tschechien doppelt wichtig gewesen: Zum einen, weil das ein direkter Konkurrent ist, zum anderen, weil ein Erfolg in der Regel beflügelt.

Am Sonntag aber schlichen die deutschen Akteure niedergeschlagen aus dem Sportski Centar Cair der südserbischen Stadt Niš. "Das tut weh", gab Haaß zu, Torhüter Silvio Heinevetter sagte: "Ich bin jetzt erst mal frustriert." Abwehrchef Oliver Roggisch fasste das Geschehen so zusammen: "Das Spiel wird angepfiffen - und wir verkrampfen."

Das scheint mittlerweile tatsächlich ebenso Brauch bei den deutschen Handballern zu sein, wie der Umstand, dass sie bei internationalen Turnieren das Kontingent von 16 Spielern erst einmal nicht ausschöpfen, sondern einen Platz freilassen, um im Fall einer Verletzung kurzfristig nachnominieren zu können. Der neue Trainer Heuberger setzte diese Tradition fort und ließ Martin Strobel draußen.

Deutsche Handball-Nationalmannschaft
:Schüchterne Weltklasse-Außenseiter

Silvio Heinevetter kämpft um seinen Status als Stammtorwart, Abwehrchef Oliver Roggisch hat neun Kilo abgespeckt - und Pascal Hens ist endlich ein richtiger Kapitän. Mit diesen 16 Spielern will Bundestrainer Martin Heuberger bei der Handball-EM in Serbien überraschen. Die Nationalspieler in Kurzporträts.

Carsten Eberts

Das überraschte, denn Strobel war seit Heubergers Amtsantritt im vorigen Sommer stets Spielgestalter Nummer zwei gewesen - hinter Haaß. Im vorletzten Testspiel gegen Ungarn testete Heuberger zwar auch Sven-Sören Christophersen auf der zentralen Rückraum-Position, aber mit nur mäßigem Erfolg. So richtig überzeugt von seinen Spielmacher-Qualitäten war man nicht.

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Silvio Heinevetter kämpft um seinen Status als Stammtorwart, Abwehrchef Oliver Roggisch hat neun Kilo abgespeckt - und Pascal Hens ist endlich ein richtiger Kapitän. Mit diesen 16 Spielern will Bundestrainer Martin Heuberger bei der Handball-EM in Serbien überraschen. Die Nationalspieler in Kurzporträts.

Carsten Eberts

Als Christophersen am Sonntagabend nach 22 Minuten aufs Feld geschickt wurde, konnte er nicht mehr viel falsch machen - es war schon vorher so gut wie alles schief gelaufen für die deutsche Mannschaft. Die von Heuberger eingeführte, offensive 5-1-Abwehr gegen den Welthandballer Filip Jicha hatte nur insofern funktioniert, als dass diesem tatsächlich kein Tor gelang. Aber er riss Lücken für seine Nebenleute.

"Die 5-1-Abwehr war keine so gute Idee", merkte Torwart Heinevetter an, der sich häufiger als ihm lieb war einem freien Tschechen gegenüber sah. Nach elf Minuten und einem 3:8-Rückstand nahm Heuberger eine Auszeit und stellte die Abwehr wieder auf das gewohnte 6-0 zurück.

Dem Rückstand lief seine Mannschaft bis in die zweite Halbzeit hinterher, dank einer kämpferischen Leistung kam sie zwei Mal bis auf ein Tor heran: auf 16:17 (38.) und auf 19:20 (44.). Aber trotz zweimaliger Überzahl in dieser Phase schaffte sie es nicht, das Spiel zu wenden. "Immer, wenn wir die Chance zum Ausgleich hatten, haben wir den Ball weggeworfen. Da muss man einfach cleverer sein", sagte Haaß.

Das Turnier ist, wie gesagt, nicht vorbei. "Wir können immer noch zwei Siege holen und mit Punkten in die Hauptrunde gehen", rechnete Kaufmann vor. Das nächste Spiel der Vorrundengruppe B ist an diesem Dienstag gegen Mazedonien (18.15/ ARD) - ein vermeintlicher Außenseiter.

Doch wegen der geographischen Nähe ist die Halle in Niš fest im Griff der mazedonischen Fans. Und die machten sich bereits im Auftaktspiel der Deutschen bemerkbar. "Da hat man ansatzweise schon gesehen, was los sein wird in der Halle", sagte Michael Haaß. Er ahnt: "Das wird schwierig."

© SZ vom 16.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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