DFB-Team siegt 3:0:Ausgerechnet Gündogan

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Auf den Adler klopfen: Ilkay Gündogan feiert das erste Tor gegen Estland. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Die DFB-Elf gewinnt das EM-Qualifikationsspiel gegen Estland 3:0 (0:0).
  • Emre Can sieht früh Rot, doch in der zweiten Hälfte treffen Ilkay Gündogan zweimal und Timo Werner einmal.
  • Zu den Ergebnissen der EM-Qualifikation geht es hier.

Von Christof Kneer, Tallinn

Der Fußball ist bekannt dafür, dass er kuriose Geschichten schreiben kann, und für diesen Abend in Tallinn hatte sich der Fußball offenbar wieder etwas vorgenommen. Es begann mit der ersten Torchance der deutschen Nationalmannschaft beim EM-Qualifikationsspiel in Estland, nach vier Minuten flankte Ilkay Gündogan, Emre Can verpasste knapp. Neun Minuten später fand sich Gündogan in aussichtsreicher Schussposition wieder, aber er schoss übers Tor. Ausgerechnet Gündogan und Can, die der DFB-Delegation vor dem Spiel massive Turbulenzen beschert hatten, weil sie ein umstrittenes Foto des türkischen Nationalspielers Tosun mit einem "Like" versehen hatten - ausgerechnet diese beiden Spieler hätten die deutsche Elf standesgemäß früh in Führung bringen können. Aber das war noch nicht alles, was der Fußball sich für diesen Abend hatte einfallen lassen.

Eine weitere Minute später versuchte sich die DFB-Elf standesgemäß hübsch aus einer engen Situation in der eigenen Hälfte heraus zu kombinieren, aber es wurde eng und immer enger, und am Ende sah sich Niklas Süle unter Druck genötigt, vor dem eigenen Strafraum einen schlampigen Querpass zu Can hinüber zu spielen- so schlampig geriet der Pass, dass Can ihm nur noch verzweifelt hinterher grätschen konnte und dabei den Esten Liivak von den Beinen holte. Ausgerechnet Can: Schiedsrichter Kabakov erkannte auf Notbremse und stellte den DFB-Verteidiger vom Platz.

EM-Qualifikation
:Gündogan und Can liken umstrittenes Foto

Den beiden deutschen Nationalspielern gefällt ein Instagram-Bild, auf dem türkische Nationalspieler zu Ehren des Militärs salutieren. Kurze Zeit später machen sie die Aktion rückgängig.

Deutschland, der turmhohe Favorit, der das Hinspiel 8:0 gewonnen hatte, war nun plötzlich in Unterzahl. Und das veränderte das Spiel komplett. Die DFB-Elf musste sich lange quälen, bis ihr am Ende doch noch ein seriöser 3:0-Sieg gelang.

"Es war ein schweres Stück Arbeit, wir mussten uns erst mal fangen", sagte Bundestrainer Joachim Löw später und klang erleichtert, als er sein Fazit fortsetzte: "Das Entscheidende war, dass wir in der zweiten Halbzeit das Tempo angezogen haben und nicht nervös geworden sind. Am Ende war es zufriedenstellend." Mit 15 Punkten bleibt die DFB-Elf in ihrer Qualifikationsgruppe gemeinsam mit den Niederländern an der Spitze - wobei der für den Gruppensieg möglicherweise relevante direkte Vergleich für die Niederlande spricht.

Die Geschichte dieser jungen, neuen Nationalelf hat nun also ein weiteres Kapitel hinzu gefügt bekommen, aber es ist definitiv keines, das Klarheit schafft. Niemand inklusive des Bundestrainers Jogi Löw weiß derzeit ja so genau, was diese Elf schon kann, auch stilistisch befindet sich die Elf noch in einer Versuch-und-Irrtum-Phase. Löw hat taktisch zuletzt experimentiert, er hat seine Elf je nach Gegner mal agieren, mal reagieren lassen, für Tallinn hatte er wieder den aktiven Ansatz gewählt. In Erwartung eines defensiven Gegners hatte er die zuletzt praktizierte Fünfer-Abwehrkette in der Garage gelassen und dafür einen Mittelfeldspieler mehr ins Rennen geschickt, neben und vor Joshua Kimmich stellte er Gündogan und Kai Havertz in der Zentrale. Aber nach 14 Minuten musste Löw etwas Neues und völlig Ungeplantes üben lassen: Es entwickelte sich ein kurioses Unterzahl-System mit Kimmich in der Abwehr (auf der Can-Position) und - ja, wirklich - mit Marco Reus in einer Kimmich-artigen Rolle im zentralen, mitunter tatsächlich defensiven Mittelfeld.

In Unterzahl machte sich nun erst recht bemerkbar, dass Löw sich kurzfristig entschieden hatte, den muskulär angeschlagenen Serge Gnabry pausieren zu lassen. Gnabrys Einfälle, sein Tempo und sein Zug zum Tor sind ja immer nützlich, in dieser Versuchsanordnung hätte die DFB-Elf ihn nun erst recht gebraucht - so wirkte das DFB-Spiel völlig befreit von Witz und Esprit, Deutschland war im Grunde doppelt in Unterzahl: Einer war vom Platz gestellt worden, und der Beste war verletzt draußen. Auch defensiv musste sich die DFB-Elf erst mal sortieren, was Estland zu ein paar kessen Vorstößen nützten. Marco Reus traf immerhin die Latte (40.), was an der Ideenlosigkeit des DFB-Aufbauspiels aber nichts änderte. Es war ein Freistoß.

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:Can verabschiedet sich historisch früh

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Nullnull zur Halbzeit, eine rote Karte für Can und Reus im mitunter defensiven Mittelfeld: Ja, das war schon viel, aber nein, es war noch nicht alles, was der Fußball sich an Geschichten hatte einfallen lassen.

Im Zentrum aller Geschichten stand diesmal Ilkay Gündogan, nicht nur, weil er vor dem Spiel einen Gefällt-mir-Button gedrückt hatte, was er wenig später wieder rückgängig machte. Er hatte sich zuletzt ja auch mittellaut darüber mokiert, dass er jene zentrale Rolle, die er bei Pep Guardiolas Manchester City einnimmt, in der Nationalelf nicht einnehmen darf - und tatsächlich flankierte er seine Worte in Tallinn mit Taten. Am Ende war es Gündogan zu verdanken, dass die Deutschen dieses umständehalber unerwartet schwere Spiel gut nach Hause brachten. Tore schießt Gündogan selten, zwei davon hatte er sich für diesen Abend aufgespart. Erst traf er aus 17 Metern mit dem Außenrist, leicht abgefälscht von Reus, zur Führung (51.); kurz darauf traf er nach Reus' Hackenablage, selbstverständlich wieder abgefälscht, zum 2:0 (57.).

Damit war das Spiel dann doch entschieden - als Zugabe folgte das 3:0 von Timo Werner (71.), der mit einem Traumpass auf und davon gesaust war. Der Traumpass kam übrigens von Ilkay Gündogan. "Das war ein klares Statement von Ilkay für Deutschland", sagte Joachim Löw später zur Leistung seines Mittelfeldspielers. Das war's dann an Geschichten, oder? Fast. Ein Rekord fiel an diesem Abend auch noch ab: Cans Platzverweis in der 14. Minute war der früheste in der DFB-Länderspielgeschichte. Bisheriger Rekordhalter war Robert Huth, der im Juni 2005 bei einem 4:1 in Nordirland in der 15. Minute vom Platz geflogen war.

© SZ vom 14.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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