DFB-Elf in der Einzelkritik:Can verabschiedet sich historisch früh

Der Innenverteidiger sieht Rot, Kimmich verstärkt Süles Einserkette und Gündogan erhält Likes von den Mitspielern: Die DFB-Elf beim 3:0 gegen Estland in der Einzelkritik.

Von Jonas Beckenkamp, Tallinn

Manuel Neuer

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(Foto: AP)

Hat im DFB-Tor schon manches Ungemach überstanden, zuletzt ja den Ansturm des Hochseetiefs Marc-André, das sich aber wieder gelegt hat. Erlebte nun einen Auftritt bei Vollmond in der "A.Le Coq"-Arena nahe eines Stadtsees namens "Ülemiste Järv". Konnte das schöne Ambiente aber zunächst kaum genießen, denn es wackelte ja gehörig vor ihm. Musste sogar einige mittelgefährliche Versuche der Esten drüber kucken, so sehr wackelte es. Begrub einige - wenn auch harmlose - Schüsse unter sich und schaffte so das Unmögliche: Ihm blieben in der Tallinner Saukälte Erfrierungen erspart.

Lukas Klostermann

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Überrannte zuletzt geradezu kipchogemäßig Argentiniens versammelte Champions-League-Haudegen. War damit gesetzt für jede Art von Wellengang zwischen dem Ülemiste Järv und dem Anleger zur Hochprozent-Fähre nach Helsinki. Musste gegen die Herren Pikk und Vassiljev einige Marathonläufe absolvieren, das hemmte seinen Angriffsdrang. Im Sprint immerhin kaum zu bezwingen, aber sollte so ein Fußballspiel gegen Estland nicht mehr sein als nur rennen? (Archivbild)

Niklas Süle

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(Foto: REUTERS)

Könnte mit seinen Riesenschritten den Ülemiste Järv in weit weniger als 1:59,40 umrunden. Beantwortet seit längerem jegliches Gerede um eine Hummels-Rückkehr gleich: mit überraschend hoher Endgeschwindigkeit bei nicht ganz so eleganter Spieleröffnung. Führte den Belagerungszustand der estnischen Hälfte von hinten an, ehe er ein viel zu lasch getimtes Zuspiel zu Can entsandte und den Platzverweis einleitete. Spielte danach zur Strafe eine Art Einser-Kette in der Abwehr, stand aber oft zu weit weg vom Brennpunkt. Insgesamt ein Vortrag, der das Gerede um Hummels nicht verstummen lässt.

Emre Can

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(Foto: dpa)

Erstaunlichste Abwehrkarriere seit den trüben Tagen von Frank Fahrenhorst, genannt "Gefahrenhorst". Wobei der - im Gegensatz zu Can immerhin gelernter Innenverteidiger - schon nach Länderspiel Nummer zwei wieder raus war. Nunja, Can war dann auch bald raus, weil ihn Kollege Süle mit einem Querpass in ein verzwicktes Bodenduell gegen einen Menschen namens Liivak zwang. Sah eine vertretbare Rote Karte - die erste deutsche in einem Pflichtspiel seit Bastian Schweinsteiger 2008 gegen Kroatien, die früheste in der deutschen Länderspielhistorie (er löste Robert Huth ab, der 2005 gegen Nordirland nach 15 Minuten flog). Sein Weg in die Kabine führte ihn im Getöse über den ganzen Platz. Zeit genug, um über seinen - inzwischen zurückgenommenen - Like für den Militärjubel der Türken im Netz auf Instagram nachzudenken.

Marcel Halstenberg

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(Foto: REUTERS)

Linksverteidiger kann man sich nicht schnitzen, hat Löw mal gesagt, als er wieder mal mit einem gewissen Schmelzer haderte. Wobei die gefühlt 800 Holzhandwerker in der Tallinner Altstadt es sicher versuchen würden. Ist selten in einer Elf ohne Klostermann anzutreffen. Klostermann/Halstenberg, mehr Bromance war seit Havertz/Brandt nicht mehr. Versuchte einiges nach vorne, wenn auch nicht immer präzise. Machte sich ordentlich, auch wenn er am Ende eine Ecke so flach hereindrosch, dass man Flugscham beim Spielball befürchten musste.

Joshua Kimmich

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(Foto: dpa)

Hatte zuletzt eine Bromance mit der Kapitänsbinde, die er voller Stolz trug. Im Grunde steht sie ihm aber ohnehin zu, wenn Manuel Neuer seine Karriere 2031 beendet. Gab mit Gündogan eine Doppelsechs, musste aber auch öfter Süles Einserkette in der Abwehr verstärken. Ja, so gefährlich wurde es teilweise. Aber man weiß ja seit den Tagen von Pep Guardiola in München: Kimmich kann auch Innenverteidiger.

Ilkay Gündogan

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

War auch schon mal aushilfsweise Bindenträger, wobei man gerade von einem Kapitän vielleicht erwarten könnte, seine "Likes" auf Instagram mit mehr Gespür zu verteilen. Nach der Erdogan-Affäre per Gefälltmir mit dem nächsten fragwürdigen Schlenker in Richtung Türkei - auch wenn auch er das Instagram-Herz anschließend fix zurücknahm. Zeigte aber auch sportliche Schlenker, saugte viele Bälle an und verteilte sie wie die Glühweinverkäufer ihre Ware in Tallinn. Warf schließlich sein ganzes technisches Können in einen Dropkick der feinsten Sorte zum 1:0. Erhielt dafür viele, viele Likes von den Mitspielern. Ließ natürlich noch das 2:0 folgen - es war halt einfach SEIN Spiel. Man muss es wohl so sagen: Ausgerechnet er, ausgerechnet jetzt.

Kai Havertz

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Wird auch mal Kapitän der Nationalelf werden, 2037 dann, umgeben von zehn Freiburgern. Hält sich auf Instagram an die Regeln: zeigt dort höchstens Urlaubsbilder mit Brandt. Zeigte auf dem Feld dann viele Umständlichkeiten und verlor sich im estnischen Abwehrwald. Wusste phasenweise gar nicht, wohin mit sich, dabei hätte einfach und schnell gegen die Esten schon ausgereicht (siehe seine Mitarbeit beim 1:0). Taktisch etwas unreif an einem Abend, der für ihn sehr lehrreich war. Braucht mehr Klarheit, mehr Gespür für den Raum. Vermutlich gehören solche Länderspiele bei einem 20-Jährigen aber einfach noch dazu.

Julian Brandt

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Zeigt auf Insta allerhöchstens Urlaubsbilder mit Havertz. Gebürtiger Bremer und somit in der alten Hansestadt Tallinn quasi ebenso zuhause. Wäre als Wahl-Dortmunder mal froh, wenn er nicht immer 2:2 spielen würde und versuchte nach einiger Zurückhaltung zu Beginn in dieses Nussknackerspiel hinein zu schmecken. Doch alles schmeckte zäh und fad. Einer seiner Torschüsse landete um ein Haar im Ülemiste Järv. Urlaubsbilder aus dem Tallinner Stadtsee im Oktoberfrost - ob Instagram das verkraften würde?

Marco Reus

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Hat auch ein paar 2:2-Unentschieden zu viel intus, weshalb er sich mit einigem Esprit in den Tallinner Sonntagabendverkehr stürzte. Doch der verflachte bald, weil er sich mit Havertz und Brandt vorne auf den Füßen stand. Nahm sich stattdessen beim Freistoß den Ball und schickte ihn mit freundlichen Grüßen an den Pfosten. Wenig zu sehen und doch effektiv: Seine Ferse lenkte Gündogans Schuss zum 1:0 entscheidend ab, seine Hacke bereitet das 2:0 vor. Spielte ausnahmsweise mal nicht 2:2 und war froh darüber.

Luca Waldschmidt

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Gelocktester Spieler auf dem Feld, auch für sowas muss mal Zeit sein. In Abwesenheit von Gnabry (kurzfristig verletzt) und Werner (kurzfristig nicht gut genug in Form) zauberte Löw dann doch noch einen Freiburger aus dem Hut. Von ihm stammte dann vor der Pause auch der einzige Torabschluss aus dem Spiel. Spielte im Sturmzentrum oft alleine gegen drei Esten, da war es eng wie beim jährlichen Chor-Sängerfest "Laulupidu" im Kalev-Stadion Tallinns. Dort kommen gerne mal 100.000 Esten, Waldschmidt waren die drei an diesem Abend schon genug, er ging verfrüht für Werner vom Feld.

Einwechselspieler

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Timo Werner: Kam in ein Spiel mit zunehmend müden Esten, da musste er natürlich seine Chancen kriegen. Eine davon nutzte er prompt zum 3:0, als er einen hübschen Haken schlug und vollstreckte. Seine Schnelligkeit ist weiterhin bemerkenswert, vielleicht wird es sein Abschluss ja auch noch eines Tages. Suat Serdar: Durfte noch ein wenig mitfrieren im rechten Mittelfeld, wobei läuferisch einiges tat, um warm zu werden. Nadiem Amiri: Bekam noch ein paar Minuten, als alle Likes bereits verteilt waren.

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