Deutsche Segler bei Kieler Woche:Guru an Land gezogen

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Die olympische Bootsklasse der 49er ging bei der Kieler Woche an den Start. (Foto: dpa)
  • Der neue Chef-Trainer der deutschen Segel-Nationalmannschaft, David Howlett, gibt seine Premiere auf der Kieler Woche.
  • Der Brite findet beim Deutschen Segler-Verband eine neue Herausforderung. Zuvor trainierte er den vierfachen Olympiasieger Ben Ainslie.

Von Thomas Hahn, Kiel

David Howlett will jetzt nicht den Segeltrainer-Guru raushängen lassen. Aber dass diese Kieler Woche mit den Regatten auf der Förde vor dem Olympiazentrum Schilksee für ihn eine Premiere sei, ist aus seiner Sicht ein Witz. "1970 war ich zum ersten Mal bei der Kieler Woche. Bevor das alles hier gebaut wurde von türkischen Gastarbeitern." Er lacht. Howlett ist derart freundlich und unkompliziert, dass man tatsächlich vergessen könnte, wie viel er schon erlebt und gewonnen hat auf den Weltmeeren des Wettbewerbssegelns. Andererseits stimmt es doch, dass die diesjährige Kieler Woche, die am Samstag begonnen hat, eine Art Premiere ist für ihn. Denn es ist seine erste als Cheftrainer der deutschen Segler-Nationalmannschaft.

David Howlett, 63, tut lieber nicht so, als sei sein Kieler Einsatz dieser Tage etwas Besonderes für ihn. Wahrscheinlich weil er befürchtet, die Leute könnten ihm ein solches Bekenntnis als reine Rhetorik auslegen. Zumindest die Fachkundigen wissen schließlich, wie viel Olympia-Gold und sonstige Meriten er in den vergangenen Jahrzehnten als Trainer für Großbritannien gesammelt hat. Ben Ainslie aus Macclesfield ist zum Beispiel sein Schüler gewesen, der 2012 zum vierten Mal in Serie Olympiasieger wurde und seit 2013 Ritter des Königreichs ist, weshalb Ainslies voller Name Sir Charles Benedict Ainslie lautet.

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Ein Mensch mit Referenzen darf sich nicht zu groß machen, aber auch nicht zu klein. Und Howlett kriegt das ganz gut hin, in seinem neuen Job einerseits wie ein erfahrener Fachmann zu wirken, andererseits wie ein normaler Arbeiter des Deutschen Segler-Verbandes (DSV). Die Wahrheit ist aber wohl, dass Howlett einen Arbeitgeber wie den DSV nicht bräuchte. Deutschland ist nicht das, was man eine Segelhochburg nennt. In den vergangenen Jahren gab es für den DSV allenfalls Achtungserfolge, kein Vergleich zu Howletts Heimatverband. Und als Howlett Ende des vergangenen Jahres seinen neuen Posten einnahm, stand in manchen Medien prompt, die Verpflichtung des Briten sei eine Reaktion auf die durchwachsenen WM-Ergebnisse 2014 gewesen.

DSV-Sportdirektorin Nadine Stegenwalner dagegen sagt: "Das lag nicht daran." Vielmehr habe die Grundsatzfrage im Raum gestanden, wie man den Nationalseglern eineinhalb Jahre vor Olympia in Rio einen neuen Impuls geben könne. Antwort: mit einem Mann wie Howlett in der Position des Cheftrainers, die es bis dahin so nicht gab im DSV. Präsident Andreas Lochbrunner, selbst erst seit Ende 2013 im Amt, kennt Howlett aus früheren, aktiven Zeiten.

Der Zeitpunkt war günstig, ihn anzusprechen, denn Goldsegler Ainslie hatte die olympischen Gründe verlassen für die High-Tech-Segelei um den America's Cup. Howlett war sozusagen frei. Außerdem spricht er perfekt deutsch, weil er nach dem Abitur neun Monate lang eine Segelmacher-Lehre am Wolfgangsee absolvierte. "Der Präsident hat mich überzeugt", sagt Howlett. Und Lochbrunner sagt in einer Bildsprache, die für einen Wassersport-Funktionär angemessen ist: "Wir haben einen Trumpf an Land gezogen."

Mit britischem Handauflegen allein werden die zwei Olympia-Medaillen nicht zu kriegen sein, die der DSV in Rio nach der ehrgeizigen Zielvereinbarung mit dem Deutschen Olympischen Sportbund gewinnen soll. Howlett sagt selbst, dass die Wettbewerbsnachteile des DSV mit gesellschaftlichen Prozessen zu tun haben, die man nicht so leicht umschmeißen kann. "Wenn ich sehe, was die Deutschen haben, ist das wahnsinnig, dass sie nicht mehr Erfolg haben", sagt Howlett.

Geschichte, Stützpunkte, Material, Sponsoren - alles da. Ein Ereignis wie die Kieler Woche bietet der nationalen Elite zudem eine Plattform, die Medien und Publikum anzieht; auch wenn die Woche dieses Jahr so ungünstig zwischen Welt- und Europameisterschaften in den verschiedenen Klassen liegt, dass die Teilnehmerzahl eher gering ist.

Segeln nur als Zwischenspiel

Es könnte schlechtere Voraussetzungen geben für die deutschen Segler. Aber selbst für die Begabtesten ist der Sport nur eine Zwischenspiel, bevor sie eine sicherere berufliche Karriere anstreben. "Manche haben zu früh aufgehört", sagt Howlett. Er denkt an die Olympia-Fünfte Moana Delle (26, Windsurfen) und an den Olympia-Sechsten Simon Grotelüschen (28, Laser), die beide nach den Spielen 2012 aufhörten, um Ingenieurin bzw. Arzt zu werden. Wo hätten diese beiden nicht noch hinsegeln können, wenn sie den langen Atem eines Ainslie gehabt hätten, will Howlett damit sagen; wobei Ainslie auch schon als Achtjähriger mit dem Segeln begann und einen Segler als Vater hatte.

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Gegen die Vernunft der jungen Leute kann man nichts machen, gegen die soll man auch nichts machen. Der Sport ist nun mal für viele ein unwägbares Abenteuer. Chancen sieht Howlett natürlich trotzdem. Der Sonthofener Laser-Segler Philipp Buhl hat neulich seinen zweiten Weltcup-Sieg errungen. Bei der Kieler Woche, die Buhl wegen der bevorstehenden WM in Kanada auslässt, gab es auch schon gute deutsche Eindrücke, ehe am Dienstag die Flaute den Wettkampfbetrieb störte. Da geht was. Geht da was? "Man kann versuchen, die Leute in allen möglichen Themen ein bisschen zu verbessern", sagt David Howlett. Das klingt tatsächlich ein bisschen nach britischem Handauflegen. Aber versprechen tut der erfahrene Olympia-Seemann klugerweise nichts.

© SZ vom 24.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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