Deutsche Nationalelf im Vergleich:Besser als Ruuudi und Guuuuuido

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Die Nationalelf von 1972 wurde verherrlicht, die Weltmeister von 1990 kannten sich zufällig bestens in Italien aus, von der WM-Elf 1994 blieb nur ein Stinkefinger. Angesichts der überzeugenden Erfolge der Mannschaft von Joachim Löw stellt sich die Frage: War die DFB-Auswahl jemals besser?

Philipp Selldorf

Die deutsche Nationalmannschaft ist unter Verdacht geraten. Mit jedem Spiel wächst die Zahl der Menschen, die Joachim Löws Elf für das beste Team in der Geschichte des DFB halten. Gern hätten wir zu dieser Frage das zuständige Bundesamt für historische Vergleichsstudien im deutschen Spitzenfußball (BVdS) befragt, doch das existiert leider nicht. Deshalb hat sich die SZ selbst mit einer Untersuchung beauftragt. Als Vergleichsgrößen wurden die Europameister von 1972 und die Weltmeister von 1990 sowie die auf Jahre hinaus unschlagbare Einheits-Nationalmannschaft von 1994 herangezogen. Weitere Kandidaten konnten wegen überirdischer Einflussnahme (z.B. "Wunder von Bern") leider nicht berücksichtigt werden.

Stilprägend und verherrlicht: die Elf von 1972 mit Günter Netzer. (Foto: imago)

1972 - Idole eines Zeitalters

Diese Mannschaft gilt bisher als der Idealfall der deutschen Fußballgeschichte. Sie ist nicht nur wegen ihres schönen Spiels, sondern auch wegen ihrer Aura verherrlicht worden. Das Feuilleton hat sie geliebt und ihr politische Motive nachgesagt, man hat sie zu Botschaftern der Ära Willy Brandt ernannt und den Idealismus einer Generation im Aufbruch auf sie projiziert. Günter Netzer war der Spielmacher aus der Tiefe des Raumes und wegen seiner langen Haare und seiner unversteckten Lebenslust angeblich ein Rebell.

Auch Franz Beckenbauer, die andere prägende Figur der 72er, galt als Individualist, der sich nicht scheut, die Autoritäten herauszufordern. Fußballerisch befand er sich auf der Höhe seiner Herrlichkeit. Er überblickte eine Ansammlung von Fußballern, die durch ihre Unterschiede zusammenpassten. Traditionelle deutsche Fußballarbeiter wie "Katsche" Schwarzenbeck, "Eisenfuß" Höttges, Berti Vogts und "Hacki" Wimmer ergänzten sich mit schnellen Offensivspielern, die heutigen Kriterien entsprechen könnten: Uli Hoeneß, Jupp Heynckes, Erwin Kremers. Dazu kam der bodenständige Stürmer Gerd Müller.

Der Jahrgang 2011 steht nicht für politischen und gesellschaftlichen Aufbruch; die Mannschaft kommt nicht zur Politik, sondern die Politik kommt zu ihr in die Kabine (in Gestalt von Angela Merkel). Joachim Löw hat auch keine speziellen Persönlichkeiten wie Netzer oder Beckenbauer im Aufgebot, aber er hat als unumstrittene Größen seine Kapitäne Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm. Auch sonst ergeben sich erstaunlich viele Parallelen.

Per Mertesacker übt mit zunehmendem Alter immer mehr eine etwas modernere Version der Schwarzenbeck-Rolle aus. Sami Khedira variiert Wimmer inzwischen auf eine so elegante und doch mannschaftsdienliche Art, dass man bald Hacki Khedira zu ihm sagen darf. Mario Gomez folgt in seiner Eigenschaft als "Tormaschine" (Löw) den Spuren von "Bomber" Müller. Und der bayerische Ur-Mensch Paul Breitner findet seinen Nachfahren im bayrischen Ur-Menschen Thomas Müller.

Fußballerisch haben die 72er-Elf, die im EM-Finale gegen Russland 3:0 gewann, und die heutige Generation vieles gemeinsam. Jener Zynismus, der für viele deutsche Teams so charakteristisch gewesen ist, war bzw. ist ihnen fremd. Bundestrainer Helmut Schön erhob ähnliche ästhetische Ansprüche wie Löw, allerdings wählte er statt einer Frisur stets eine Kopfbedeckung.

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Thomas Hummel, Düsseldorf

1990 - Die Italiener

Kannte sich gut in Italien aus: die Elf von 1990. (Foto: dpa/DPA)

Die Mannschaft, die 1990 in Rom Weltmeister wurde, bestand aus erfahrenen Profis, die sich in Italien zufälligerweise bestens auskannten. Andreas Brehme, Jürgen Klinsmann und Lothar Matthäus bildeten ein deutsches Dreieck bei Inter Mailand; Thomas Berthold und Rudi Völler waren beim AS Rom beschäftigt, später folgten ihnen Andreas Möller, Thomas Häßler und Jürgen Kohler in die Serie A, die damals der Mittelpunkt des Fußball-Universums war.

Diese Spieler waren nicht mehr jung, formbar und entwicklungsfähig, anders als die Profis in der heutigen Nationalelf. Erfahrung, Kraft und eine robuste Mentalität zeichneten das Team aus. Franz Beckenbauer, der als Teamchef inzwischen zu seiner Linie gefunden hatte, gebot über einen Kader mit gewichtigen fußballerischen Grundlagen. Es gab stattliche Haudraufs wie Jürgen Kohler oder Klaus Augenthaler und schöpferisch veranlagte Mittelfeldspieler wie Häßler, Andreas Möller, Uwe Bein, Olaf Thon. Dazu die Dribbelkönige Pierre Littbarski und Diego Buchwald.

Beim zweiten Hinsehen sind die Ähnlichkeiten mit Löws Auswahl aber gar nicht mehr so groß. Der stürmische Alleskönner Rudi Völler lässt sich wunderbar mit dem stürmischen Alleskönner Miroslav Klose vergleichen, der brave Kaderauffüller Günter Hermann findet seine Entsprechung im braven Kaderauffüller Dennis Aogo, aber sonst? Ein Lothar Matthäus ist bekanntlich unvergleichlich. Jürgen Klinsmann geriet im Training beim Fünf gegen Zwei in technische Nöte. Und Bodo Illgner mit Manuel Neuer zu vergleichen, wäre wie. . . ach, egal.

Auch hatte das Spiel der 90er-Weltmeister grundsätzlich eine andere Orientierung als das beschleunigte, auf Turbokonter angelegte Direkt- und Vorwärtsspiel ihrer zeitgenössischen Nachfahren.

Nicht zu vergessen die Namen. Hier Bodo, Klaus, Jürgen, Lothar, Ruuudi und Guuuuuido. Dort Mesut, Sami, Jérôme und Ron-Robert.

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In Bildern

1994 - Generation Stinkefinger

Von jener Mannschaft, die Deutschland zur WM 1994 geschickt hat, berichten Eingeweihte und Teammitglieder mit großer Ehrfurcht. Ihrer Konkurrenz waren sie angeblich hoch überlegen, dennoch blieb ihnen der Erfolg versagt. Die Mannschaft von 1994 bot die meisten der Spieler auf, denen vier Jahre zuvor in Rom die Krone aufgesetzt wurde. Matthäus war dabei, zudem kamen die dominanten Mittelfeldleute Matthias Sammer und Stefan Effenberg hinzu. Und Mario Basler.

Die typische Geste dieser Mannschaft ist Effenbergs ausgestreckter Mittelfinger. Eklats, mieser Teamgeist und schlechte Laune begleiteten die Mission durch die USA, im Viertelfinale gegen Bulgarien fehlten sowohl der heimgeschickte Effenberg wie auch der verletzte Sammer.

Eine Elf, die sich versteht, hätte es nie zugelassen, dass vor dem entscheidenden Tor der arme Thomas Häßler (1,66m, Anm. d. Red.) ins Kopfballduell mit Yordan Letschkow geschickt wird. Nicht nur das komplett unterschiedliche Sozialleben in Joachim Löws unschuldigem Ensemble verhindert einen Vergleich mit diesem launischen Vorgängermodell. Bei einem Familienfest hätte man sich nicht so viel zu sagen.

Sehr vorläufiges Fazit

Es besteht der dringende Verdacht, dass aus der 2011er-Elf mehr wird als ein uneingelöstes Versprechen. Der nächste Verwandte, sozusagen die Lieblingstante, in der großen DFB-Familie bleibt die Elf von 1972.

© SZ vom 13.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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