Deutsche Fahrer bei der Ski-WM:Auf dem Zahnfleisch

Lesezeit: 3 min

Felix Neureuther will in Colorado ganz nach oben. (Foto: Alexis Boichard/Agence Zoom/Getty Images)
  • Bei der WM in Colorado sollen die deutschen Skirennfahrer mindestens eine Medaille gewinnen.
  • Doch Felix Neureuther, den stärksten Mann des DSV, plagen Weltcup-Belastungen.
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Von Johannes Knuth, Vail/Beaver Creek

Am vergangenen Freitag setzte sich der Skirennfahrer Felix Neureuther in ein Auto, kurz darauf stieg er am Münchner Flughafen gesund wieder aus. Zumindest legen das die Beweisfotos nahe, die Neureuther in diversen sozialen Netzwerken verbreitete. Für den Deutschen Skiverband (DSV) war das eine gute Botschaft, mit Neureuther und Anreisen zu Großveranstaltungen war das zuletzt ja so eine Sache gewesen.

Vor einem Jahr, kurz vor den Olympischen Winterspielen, war der damals 29-Jährige erst über eine Eisfläche auf der Autobahn, dann in eine Leitplanke gerauscht. Er war verspätet und mit einem Schleudertrauma nach Sotschi gereist, im Riesenslalom wurde er Achter, im Slalom schied er aus. Am Wochenende traf Neureuther nun also unverletzt am Flughafen ein, und an diesem Montag eröffnen sie in Vail und Beaver Creek die 43. Weltmeisterschaft. "Das sind die Momente", richtete er vor seinem Abflug aus, "die du als Sportler herbeisehnst".

Neureuther ist eine der wertvollsten Marken

Die Weltmeisterschaft im amerikanischen Bundesstaat Colorado kommt zu einem günstigen Zeitpunkt für Neureuther und die Techniksparte des DSV. Der 30-Jährige führt die Disziplinwertung im Weltcup an, wobei sich sein Einfluss im Wintersport längst nicht mehr in Punkten und Siegen messen lässt. Neureuther ist eine der wertvollsten Wintersportmarken im Skizirkus. Er ist erfolgreich, charismatisch, macht sich Gedanken über sein Berufsfeld hinaus, wie auch Marcel Hirscher, das andere dominierende Gesicht der Skibranche.

"Marcel und ich haben fünf bis zehn Mal mehr Medientermine als die anderen Fahrer", klagte Neureuther nach dem Nachtslalom am vergangenen Dienstag in Schladming, dem letzten von drei prestigeträchtigen Slaloms im Januar. Mittlerweile bereitet er sich in Park City in Ruhe auf die WM vor, die Technikwettbewerbe stehen erst in der zweiten WM-Woche auf der Agenda. Ein Segen sei das, erklärte Neureuther den englischsprachigen Journalisten in Schladming, "I'm coming on the Zahnfleisch daher."

Wolfgang Maier ist Alpindirektor im DSV, er wünscht sich in Vail drei Medaillen von seinen Angestellten: eine von den Männern, eine von den Frauen, eine im Mannschaftswettbewerb. Die Siegbefähigung der Männer ist dabei größer, sie haben die Frauen spätestens nach dem Rücktritt von Maria Höfl-Riesch als hauptamtliche Medaillenbeschaffer abgelöst.

Allein Neureuther trug sich in den vergangenen 13 Slaloms, in denen er den Weg ins Klassement fand, stets unter den besten Drei ein. Wenn er nicht das Ziel erreichte, dann übernahm auch mal Fritz Dopfer Neureuthers Schichtdienst auf dem Podium. Sie erreichen allmählich jene Sphären der Techniksparte, in denen Öffentlichkeit und Medien einen vierten Platz als Enttäuschung deuten, und genau das bereitet Wolfgang Maier nun Sorgen.

Die DSV-Männer haben sich in den vergangenen Jahren prächtig entwickelt. Fritz Dopfer hat im laufenden Betrieb noch keinen Wettbewerb jenseits der besten Zehn abgeschlossen. Stefan Luitz drängt von hinten nach, zuletzt hat Linus Strasser in der Weltspitze überrascht. Aber im Grunde, sagt Maier, verhalte es sich in diesem kleinen Kosmos so: "Dieses System ist extrem zerbrechlich. Vieles hängt noch immer von Felix ab."

Das soll die Konstanz von Dopfer nicht abwerten, Maier will da nicht falsch verstanden werden. Er gibt nur zu bedenken, dass Neureuther in den vergangenen Jahren die meisten Podiumsplatzierungen erreichte, und je greller das Licht der Öffentlichkeit auf ihn schien, umso besser fuhr er.

Der Felix, sagt Maier, sei seit Jahren "der Macher", er ziehe die anderen mit, und sobald dieses Bauteil einmal wegfalle, sei es durch eine Verletzung oder einen schlechten Tag, werde das System instabil. Im Dezember durchtrennte sich Stefan Luitz, die dritte Kraft bei den DSV-Technikern, im Training mit dem Ski seinen Oberschenkelmuskel, ob er in Vail starten wird, ist noch immer unklar - schon fehlte einer, der das System von unten stützte. Auch Neureuther, weiß Maier, wird vermutlich irgendwann ein Skirennen nicht unter den besten Drei abschließen. Der erfahrene Maier verfügt über ein paar Referenzwerte, zum Beispiel diese Geschichte von der vorausgegangenen WM in Vail.

Trainer Maier warnt vor der Kehrseite der Medaille

Vor 16 Jahren reisten Martina Ertl und Hilde Gerg mit besten Empfehlungen zu den Titelkämpfen in die USA, sie waren bei Olympia und im Gesamtweltcup zuvor erfolgreich. Und dann? Wurde Hilde Gerg zweimal Vierte, Ertl zweimal Fünfte. Wolfgang Maier stand der Frauenmannschaft damals als Cheftrainer vor, "wir haben zum ersten Mal massiv die Kehrseite der Medaille gespürt", erinnert er sich.

"Das war für mich zu der damaligen Zeit sicherlich die größte Niederlage." Nicht zuletzt deshalb kalkuliert er dieses Mal vorsichtiger, auch im Fall von Viktoria Rebensburg. Die 25-Jährige hat in dieser Saison überraschend Medaillenambitionen im Super-G und in der Abfahrt nachgewiesen, und im Riesenslalom startet sie zumindest als Außenseiterin.

Die Medaillenfrage ist sowieso nur ein Teil der Herausforderung. Alpin-Chef Maier hat neben Josef Ferstl auch zwei Speed-Experten ohne Norm nominiert, von Klaus Brandner und Andreas Sander erhofft er sich eine Platzierung in der Nachbarschaft der besten 15. Das wäre ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg, die Abfahrer wieder in die Weltelite einzugliedern. Für Erste jedenfalls kann den Deutschen, beziehungsweise ihrer größten Medaillenhoffnung nur das Wetter in die Quere kommen. Auf der Autobahn Richtung Vail soll es in den nächsten Tagen etwas glatt werden.

© SZ vom 02.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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