Supersommer 2024 lautet die Formulierung, an der sich seit Wochen weite Teile der deutschen Sportpolitik berauschen. Zumindest tun sie so. Erst die Fußball-EM im ganzen Land, dann Olympische Spiele in Hamburg oder Berlin: das ultimative Doppel-Fest. Kickende und olympische Welt versichern sich untereinander ihrer Sympathien für so ein Projekt. Eifrig beteuern alle dem Publikum, wie problemlos das möglich sei - und selbst Thomas Bach ließ vom Thron des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) schon mitteilen, dass er da kein Konfliktpotenzial sehe.
Solch ein Sommer wäre sporthistorisch. Noch nie fanden Olympische Spiele sowie Fußball-EM oder -WM innerhalb weniger Wochen in einem Land statt. Und das war aus gutem Grund so. Erstens wirft diese Konstellation bei vielen Beobachtern Fragen nach der Machbarkeit auf. Zweitens muss sie in der globalen Sportwelt gewaltige Irritationen erzeugen. Und drittens: Sie ist nach der bisherigen Interpretation des IOC-Regelwerkes gar nicht möglich.
Der jüngste Präzedenzfall liegt noch gar nicht lange zurück. Vor zwei Jahren hatte sich die Türkei zu einer Doppelkandidatur für 2020 entschlossen. Doch Bachs Vorgänger als IOC-Präsident, Jacques Rogge, erklärte öffentlich, gemäß Reglement dürfe es in einem Land innerhalb eines Jahres nicht zwei derartige Großveranstaltungen wie EM und Olympische Sommerspiele geben. Die Türkei müsse sich entscheiden.
Der Belgier hat diese Haltung nicht weiter ausgeführt. Aber in der Tat heißt es in Paragraf 34 der Olympischen Charta, dass die "Organisation, Ausrichtung und Medienberichterstattung" der Spiele in keiner Weise von einem anderen Ereignis, das in der Ausrichterstadt oder ihrer Umgebung oder an anderen Wettkampfstätten stattfindet, beeinträchtigt werden dürften.
Solche "Beeinträchtigungen" ließen sich kaum vermeiden. Das beginnt schon in der Planungsphase, wenn es um öffentliche Investitionen geht. Oder um die weitreichenden politischen Ausnahmegenehmigungen, die große Sportverbände den Regierenden abtrotzen. Viel Geld für die Modernisierung der Stadien und zugleich viel Geld für die teure Olympia-Infrastruktur wird sich in diesen Zeiten keine Regierung aufhalsen wollen. Von den Milliarden für die nationale Sicherheit nicht zu reden. Auch die Sponsoren dürften sich daran stören: Sie profitieren stets lange vor der Veranstaltung, jetzt müssten sie sich die Aufmerksamkeit teilen - und rivalisierende Firmen ertragen. Kaum vorstellbar, dass sie einfach so mitmachen würden.
Auf die Termine hätte es ebenfalls Auswirkungen. Die Veranstaltungen müssten entzerrt werden, wie selbst die Supersommer-Euphoriker einräumen. Von fünf bis sechs Wochen sprach Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Üblich sind aber nur dreieinhalb Wochen Pause. Überdies verliefe die in der Charta vermerkte "Medienberichterstattung" sicherlich anders.
Insofern fällt an diesem Freitag eine Vorentscheidung, wie der deutsche Sportkalender 2024 aussehen wird. Europas Fußballunion verkündet in Nyon, welche zwölf Städte die über den ganzen Kontinent verteilte EM 2020 austragen und welches Land den Zuschlag für Halbfinals und Endspiel erhält.
Formal hat sich der deutsche Fußballverband dafür zwar beworben, doch in den vergangenen Tagen hat sich der Trend für eine wohl längst getroffene Abmachung verfestigt: Das Finale 2020 geht nach England, Deutschland begnügt sich mit dem Gruppenpaket - und ist dafür als Austragungsland der EM 2024 gesetzt. Denn ein 24er-Turnier können ohnehin nur die paar großen Länder Europas stemmen - und nur Deutschland steht finanziell gut da. Nur: Damit wären die Aussichten auf Olympia im selben Jahr dahin.
Doch selbst wenn der Uefa-Entscheid anders ausfiele, sieht es für Sommerspiele 2024 in Deutschland mau aus. Es gilt als abgemacht, dass eine Stadt aus den USA kandidiert - und nach den Machtgesetzen der Sportwelt dürfen die Amerikaner nicht noch einmal brüskiert werden. Zumal das IOC just mit dem Fernsehsender NBC einen Vertrag über fast acht Milliarden Dollar besiegelt hat. Die Kandidaten Hamburg und Berlin haben zwar jüngst erste Konzepte vorgelegt, doch wie es heißt, überwiegt in der Spitze des deutschen Sports die Einschätzung, dass es sportfachlich noch einiger Korrekturen bedarf. Auch bezweifeln Experten, dass die angegebenen Kosten - jeweils knapp über zwei Milliarden Euro - wirklich ausreichen; sie gehen von deutlich mehr aus.
Das dürfte die skeptische Grundhaltung in der Bevölkerung gegenüber dem IOC befeuern. Die Funktionäre treibt auch die Furcht vor einer neuen Abstimmungspleite um, wie schon bei der Münchner Kandidatur für 2022. Vor allem ein Nein in der Bundeshauptstadt Berlin wäre für die DOSB-Spitze, aber auch für IOC-Präsident Thomas Bach eine Blamage. Vielleicht ist auch deshalb eine Tendenz gen Hamburg zu vernehmen, wo die Chancen auf ein positives Bürgervotum als höher gelten.