Deutsche Basketball-Nationalmannschaft:Start mit Frust

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Da war die Basketball-Welt noch in Ordnung: Robin Benzing (Zweiter von rechts) freut sich mit den Kollegen über die Olympia-Qualifikation. Nun ist der Routinier einer von nur zwei Akteuren, die gegen Estland im Kader stehen. (Foto: Tilo Wiedensohler /Imago)

Der neue Basketball-Bundestrainer Gordon Herbert muss in seinem ersten Pflichtspiel auf seine besten Spieler verzichten. Die spielen in der NBA oder in der Euroleague - und werden von ihren Klubs für die WM-Qualifikation nicht freigestellt.

Von Ralf Tögel, München

Nur mal so ein Gedanke: Es ist WM-Qualifikation, und Fußball-Bundestrainer Hansi Flick müsste mit einem Team der Zweitbesten antreten, weil die besten Spieler von ihren Arbeitgebern keine Freigabe erhalten. Oder weil die Champions League zum selben Termin einen Spieltag angesetzt hat. Absurd, klar. Man würde aber schon gern erleben, ob der eloquente Herr Flick dann nicht doch einmal die Contenance verlieren würde. Das nämlich ist Ingo Weiss passiert. Der Präsident des Deutschen Basketball Bundes (DBB) muss mit exakt diesen Schwierigkeiten fertigwerden, weshalb er kürzlich wissen ließ: "Das kotzt mich an."

Die deutsche Basketball-Nationalmannschaft steigt am Donnerstag in Nürnberg gegen Estland (19 Uhr, Magentasport) und am Sonntag in Lublin gegen Polen in die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2023 in Indonesien, Japan und den Philippinen ein. Und der neue Trainer, Gordon Herbert, muss gleich im ersten Pflichtspiel für den DBB ohne seine besten Kräfte auskommen. Von der Olympia-Auswahl, die in Japan auch ohne die NBA-Profis so überzeugend gespielt und erstmals seit 1992 ein Viertelfinale erreicht hat, kann der 62-Jährige mit Lukas Wank und Robin Benzing nur auf zwei Spieler zurückgreifen. Denn wie die nordamerikanische Eliteliga NBA nimmt auch die Euroleague keine Rücksicht auf die Zeitfenster des Weltverbandes Fiba. Am Donnerstag steht zeitgleich mit der WM-Qualifikation ein Spieltag im höchsten europäischen Wettbewerb an.

Daher stellt kein Euroleague-Klub seine Spieler für die deutsche Auswahl ab. Das betrifft neben den Nationalspielern des FC Bayern München (Andreas Obst) und Alba Berlin (Maodo Lo, Johannes Thiemann) auch Johannes Voigtmann (ZSKA Moskau), Niels Giffey (Zalgiris Kaunas), Ismet Akpinar (Fenerbahce Istanbul) und Tibor Pleiß (Anadolu Istanbul ); von NBA-Profis wie Dennis Schröder (Boston), Maximilian Kleber (Dallas), Moritz und Franz Wagner (Orlando), Daniel Theis (Houston) und Isaac Bonga (Toronto) ganz zu schweigen. Während DBB-Präsident Weiss seine Kritik in klare Worte verpackt und vornehmlich an die Euroleague richtet, äußert sich Bundestrainer Herbert diplomatischer: "Wir haben eine tolle Gruppe von Spielern aus der BBL und von Beginn an Robin von außerhalb dabei", sagt der Kanadier, er freue sich einfach, "mit den Spielern zu arbeiten und loszulegen".

Drei von vier Teams aus der Gruppe kommen weiter, dann warten Gegner wie Europameister Slowenien - und die gleichen Probleme

Kapitän Benzing hat 161 Länderspiele absolviert und ist diesmal der einzige Akteur, der nicht in der Bundesliga sein Geld verdient; der Routinier spielt für Fortitudo Bologna in der italienischen Lega A, das in dieser Saison international nicht vertreten ist. Nationalcoach Herbert zeigt für die Vereine, die auf die Nationalauswahl keine Rücksicht nehmen, sogar Verständnis, obwohl er auch für die Partie in Polen keine Unterstützung erwarten kann. Die Belastung sei enorm für diese Akteure, die in BBL und Euroleague jeweils mindestens 34 Spiele zu absolvieren haben. Da sei jeder Tag Pause hilfreich. Dritter Vertreter in der deutschen Qualifikationsgruppe D ist Israel, gegen das es im nächsten Qualifikationsfenster Ende Februar geht - mit den gleichen Problemen. Drei der vier Teams ziehen in die nächste Qualifikationsrunde ein, das sollte machbar sein, so oder so. Dann warten Gegner wie Europameister Slowenien.

Gegen die international zweitklassigen Esten sei ein Sieg unabdingbar, sagt DBB-Vizepräsident Armin Andres; von der polnischen Auswahl drei Tage später erwartet er schon mehr Gegenwehr. Zumal nur wenige polnische Nationalspieler in der Euroleague spielen: "Das wird eine viel besser eingespielte Mannschaft sein als wir", ahnt Andres. Was erst recht für das Team der Esten gelte, allerdings weiß Andres trotz aller Absagen mehr Qualität im deutschen Kader als bei den Gästen vom Baltikum. Herbert hat unter anderem die Routiniers Bastian Doreth (Bayreuth, 90 Länderspiele) und Patrick Heckmann (Bamberg, 32) zurückgeholt; weitaus weniger erfahren sind die übrigen Kollegen, die zum Einsatz kommen, der Ulmer Karim Jallow hat mit elf Einsätzen noch die meisten. Natürlich sind alle Akteure Stammkräfte in der Bundesliga, international aber kaum erprobt; der Bonner Michael Kessens wird sich zum ersten Mal das Trikot mit dem Bundesadler überstreifen.

Vizepräsident Andres will dennoch nicht von einem B-Team sprechen, gleichwohl empfindet er die Situation als "frustrierend". Der Basketball lebe von der Nationalmannschaft, "es sollten immer die besten Spieler dabei sein". Er vermisse die letzte Entschlossenheit der Klubs, die Nationalmannschaft zu unterstützen: "Es müssen ja nicht alle kommen, aber zwei, drei Spieler würden sehr helfen." Zu allem Überfluss musste in Kenneth Ogbe ein weiterer Nominierter absagen: Der Bamberger ist mit dem Coronavirus infiziert. Mit diesem Absagegrund ist auch Hansi Flick schon leidlich vertraut.

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