David Raum in der deutschen Nationalmannschaft:Hurra, ein Linksverteidiger

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Hansi Flicks Lösung für link? David Raum von der TSG Hoffenheim (Foto: Alexander Hassenstein/Getty)

David Raum könnte der Spieler sein, der das historische Problem auf der linken Abwehrseite löst. Dem Bundestrainer Flick imponiert vor allem, wie schnell der Hoffenheimer sich an jedes neue Niveaulevel anpasst.

Von Christof Kneer, München

Das absurdeste Fußballspiel, das ein deutscher Linksverteidiger jemals absolviert hat, wurde vor vier Jahren in Moskau ausgetragen. Marvin Plattenhardt stand plötzlich auf einer Bühne, die er bisher nur vom Public viewing kannte. Zum Auftakt der WM 2018 berief ihn Bundestrainer Joachim Löw als Vertretung des erkrankten Jonas Hector in seine Anfangs-Elf, und man kann bis heute nicht sagen, ob Plattenhardt beim 0:1 gegen Mexiko ein gutes oder schlechtes Spiel machte.

Der Wahrheit kommt es am nächsten, wenn man behauptet, dass Plattenhardt gar kein Spiel machte. Er stand besten Willens auf seinem linken Flügel herum, aber er kam dort nicht zum Einsatz. Unvergessen bleibt eine Szene, als Toni Kroos den Ball durchs Mittelfeld führte und den sehr freistehenden Plattenhardt mit beträchtlicher Erhabenheit ignorierte. Kroos drehte ab und spielte den Ball hinüber auf die andere Seite, zu irgendjemandem, der nicht so freistand.

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Vor Millionen Fernsehzuschauern bestätigt zu bekommen, wie wenig ein berühmter Kollege von einem hält, muss hart gewesen sein für Plattenhardt, aber mit etwas Abstand darf er sich darauf etwas einbilden. Er hat ein Bild geliefert, das knapp zwei deutsche Fußballjahrzehnte zusammenfasste. Als erst der grandiose Andreas Brehme und später der etwas flatterhafte Christian Ziege die linke deutsche Abwehrseite räumten, hinterließen sie dort hinten einen breiten Streifen Ödland.

In alten Büchern stößt man auf abenteuerliche Namen: Heiko Gerber, Ronald Maul, Michael Hartmann, Tobias Rau, sie alle durften sich mal als DFB-Linksverteidiger versuchen und wären von Toni Kroos, hätte er damals schon gespielt, noch erbarmungsloser übersehen worden. Manchmal spielte Philipp Lahm Linksverteidiger, aber meistens spielte er rechts. Als Deutschland 2014 Weltmeister wurde, verteidigte links hinten der Vorstopper Benedikt Höwedes.

Flick könnte nun auch mit Dreier-Abwehrkette spielen - und David Raum links davor

David Raum ist also gewarnt, er weiß: Es ist nicht leicht, ein deutscher Linksverteidiger zu sein. Allerdings scheint es eine Art Alleinstellungsmerkmal des Hoffenheimers zu sein, dass er schwere Aufgaben auf die leichteste Art löst. "David hat heute gezeigt, dass er die linke Seite auf sehr, sehr gute Weise bespielen kann", lobte Hansi Flick nach dem 1:1 gegen England. Mit Schneid und Finesse stieß Raum in die offensiven Räume vor, und die defensiven Räume kontrollierte er seriös. Mit solchen Auftritten erweitert er auch die taktischen Optionen des Bundestrainers, der bereits mit einer Dreier-Abwehrkette Süle/Rüdiger/Schlotterbeck kokettiert, weil er weiß, dass er jetzt über zwei konkurrenzfähige Schienenspieler verfügt. Jonas Hofmann (rechts) und David Raum (links) könnten den Abwehrriegel bei Bedarf verbreitern und bei Nicht-Bedarf nach vorne stürmen. Flick dürfte es nun schwer fallen, Argumente für Konkurrenten wie Thilo Kehrer oder Benjamin Henrichs zu finden; die verstehen sich besser aufs reine Verteidigen, wobei die Frage ist: wie lange noch?

Das ist es, was Flick an David Raum imponiert: wie schnell er lernt, wie mühelos er Niveaustufe um Niveaustufe erklimmt. Vom Aufsteiger Fürth nach Hoffenheim, das schien ein großer Schritt zu sein, den Raum in wenigen Wochen so selbstverständlich erscheinen ließ wie den Schritt von Hoffenheim ins Nationalteam. Wenn sich David Raum weiterhin so schnell an jedes neue Level anpasst, kommt ihm die WM im Winter gerade recht.

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