Deutsche Nationalmannschaft:Gesucht: Siegerselbstvertrauen

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Die Indizien sprechen für den Bundestrainer Hansi Flick - jetzt müssen es nur noch die Ergebnisse tun. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Ist Hansi Flick als Bundestrainer bisher ungeschlagen oder doch eher sieglos? Die Reaktionen der deutschen Nationalspieler auf das 1:1 gegen England geben interessante Einblicke in die Psychologie eines Fußballspiels.

Kommentar von Christof Kneer, München

Hansi Flicks Nationalmannschaft ist das Beste, was der deutschen Öffentlichkeit zurzeit passieren kann. Würde sie immer gewinnen, wäre die Sache ja irgendwann langweilig; man würde ausführlich den Trainer Flick würdigen und seine Verdienste gegen die Versäumnisse des überschätzten Jogi Löw schneiden. Würde Flicks Elf hingegen ein paar Niederlagen sammeln, würde man die Fehler des Trainers suchen, und womöglich käme manch einer sogar auf die Idee, dem unterschätzten Trainer Löw nachzutrauern. Aber die Stoßrichtung der Debatte wäre bekannt und würde niemanden überraschen.

In diesem Sinne tut die Nationalelf nun allen Diskutanten einen großen Gefallen. In der alles entscheidenden Frage "Wie geht's aus?" lassen sich diese Elf und ihr Trainer wunderbar kontrovers interpretieren: Ist Hansi Flick seit Amtsbeginn ungeschlagen? Oder ist er sieglos?

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Für die Engländer ist das 1:1 ein gutes Ergebnis. Und für die Deutschen? Der Bundestrainer hat mit dem Tausch von sieben Spielern die Kaderdynamik in Gang gebracht und den Konkurrenzkampf befeuert - doch ein paar altbekannte Probleme bleiben.

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Die Antwortet lautet: beides. Seit Flick im September 2021 die Amtsgeschäfte übernahm, hat er noch keine Niederlage erklären müssen. Aber gegen einen der sogenannten großen Gegner - die Niederlande, Italien, England - hat er auch noch nie gewonnen. Die Spiele endeten 1:1, 1:1 und 1:1, und je nach Geschmacksrichtung darf sich jeder Rezensent aussuchen, was das bedeutet.

Die Nachricht des Tages ergibt sich nun aus einer Umfrage bei einer Interessengruppe, der man in ihrem Urteil mehr Wohlwollen unterstellt hätte. Unabhängig vom Ergebnis hat sich ja in zwei dieser drei Spiele die Erkenntnis aufgedrängt, dass Flick eine hochattraktive Momente-Mannschaft unterhält, die ihre sehr vielen sehr guten Momente noch nicht über 90 Minuten abrufbar hat. "Eine bittere Note" schmeckte Thomas Müller nun aber aus dem 1:1 gegen England heraus, und der Torschütze Jonas Hofmann fand das Ergebnis "extrem blöd" und meinte: "Wir hadern damit."

Spieler wollen keine Indizien, sie brauchen einen konkreten Tatbestand

In einem ersten Reflex ließe sich nun die Ambition der Mannschaft loben, die sich den hohen Anspruch des Trainers Flick offenkundig bereits zu eigen gemacht hat. Interessanter ist aber der Einblick in die Spezialpsychologie dieser Sportart: So wie man zuletzt lernen durfte, wie sehr "Wertschätzung" in einer Spielerkabine über den Gehaltsvergleich mit dem Nebensitzer funktioniert, so sehr begreift man nun, wie stark das bloße Spielresultat das komplexe Selbstverständnis einer ganzen Gruppe beeinflusst. Man brauche wieder das "Siegerselbstvertrauen" - auf diesen Begriff hat Thomas Müller die Magie des Ergebnisses gebracht. Natürlich sehen die Spieler ihre Fortschritte, sie spüren ja auf dem Rasen, dass sie auf Höchstniveau wettbewerbsfähig sind. Aber die Spieler wollen keine Indizien, sie brauchen einen konkreten Tatbestand. Richtig glauben können sie das alles erst, wenn ihnen auch das Ergebnis die nötige Wertschätzung erweist.

Diese Selbstbestätigung steht nun in den nächsten Tagen auf dem Spiel, sie bedeutet den Spielern noch mehr als taktische Erkenntnisse. Für das Gefühl, mit dem diese Elf im November zur WM reist, wäre ein Sieg gegen Italien am Dienstag wichtiger als irgendein Tabellenplatz in irgendeiner Nations League.

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