Claudio Pizarro watscht Gegenspieler:Unsichtbare Kräfte steuern die Bremer Unschuld

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Es war die eindeutigste Tätlichkeit des Spieltags: Claudio Pizarro verpasste Emanuel Pogatetz von Hannover 96 eine ordentliche Watschn. Der Bremer Stürmer meint, seine Hand sei rein zufällig ausgerutscht und lächelt dabei wunderbar unschuldig. Dennoch ermittelt nun der DFB.

Boris Herrmann

Von der gesunden Watschen hieß es früher, sie habe noch keinem geschadet. Die Gegenwart steht diesem Erziehungsinstrument deutlich kritischer gegenüber. In Klassenzimmern ist die Watschen - unabhängig von ihrem Gesundheitszustand - zum Glück so selten geworden wie der Overhead-Projektor. Ungeachtet der Tatsache, dass es Beate Klarsfeld, die dem Kanzler Kiesinger die wohl berühmteste Ohrfeige des 20. Jahrhunderts verpasste, gerade noch einmal zu ungeahnten Ehren als Bundespräsidentschaftskandidatin bringt, lässt sich konstatieren: Die Watschen schadet heutzutage vor allem jenem, der sie öffentlich austeilt.

Kann man diesem Schläger böse sein? Claudio Pizarro (rechts) versöhnt sich nach dem Spiel mit seinem Watschenopfer Emanuel Pogatetz. (Foto: imago sportfotodienst)

Das gilt für nahezu alle Lebensbereiche und nahezu ohne Ausnahme. Es sei denn, dieser jemand kann zufällig so wunderbar unschuldig lächeln wie Claudio Pizarro.

Es ist echt schwer, diesem Mann böse zu sein. Seit Jahr und Tag trägt er mit seinen Toren zum Erhalt der netten Marke Werder Bremen bei. Nach dem 3:0 vom Sonntag gegen Hannover 96 sind es auch in dieser Saison schon wieder 16 Stück. Und wenn man beobachtet, mit welch kindischer Freude der 33-Jährige seine Treffer bejubelt, wie sich von den Stirnfalten bis zur Kinnspitze immer noch alle Gesichtsmuskeln mitfreuen, dann ist es nicht mehr weit bis zu der Einsicht: Dieser Claudio Pizarro muss ein guter Mensch sein.

Ist Pogatetz ein guter Mensch?

Es lässt sich nur spekulieren, ob Schiedsrichter Christian Dingert ähnlich dachte, als er sich kurz nach der Halbzeit dazu entschied, nichts zu entscheiden, respektive Pizarro weiterspielen zu lassen. Die Rangelei zwischen dem Peruaner und seinem Gegenspieler Emanuel Pogatetz kann ihm nicht vollends entgangen sein, denn Dingert eilte umgehend zum Tatort, um die Gemüter zu beruhigen. Fraglich ist indes, ob er den entscheidenden Schlag dieser Auseinandersetzung mitbekommen hat, ein Schlag, der "nicht so gut aussah", wie der Sünder höchstpersönlich nach dem Studium der Fernsehbilder eingestehen musste.

Sie ließen ihren Betrachtern auch wirklich keinen Interpretationsspielraum: Pizarro hat Pogatetz eine veritable Backpfeife verpasst. An einem Wochenende, an dem es auch in Wolfsburg (gegen Leverkusen) und Köln (gegen Hertha BSC) mit Haken, Ösen und Ellenbogen zur Sache ging, war das die mit Abstand eindeutigste Tätlichkeit, ein linker Schwungschlag mit der flachen Hand auf das rechte Ohr des Österreichers. Der wiederum war offenbar so überrascht, dass er ganz vergaß, branchenüblich ins Gras zu sinken, um sich zwei Minuten tot zu stellen. Vielleicht ist Pogatetz aber auch einfach nur ein guter Mensch.

Das sollte man auch Pizarro nicht grundlegend absprechen. Wobei die Treuherzigkeit, mit der er seine Tat hinwegzulächeln versuchte, diesmal durchaus ins Würdelose changierte. "Ich wollte seine Hand wegmachen und auf einmal gebe ich ihm ein kleine Klatsche", sagte er zu seiner Verteidigung.

Rein zufällig ausrutschende Hände, die wie von unsichtbaren Kräften gesteuert im Gesicht eines anderen landen - das klang dann doch ein wenig nach Kindeserziehung vor der Reform des Züchtigungsrechts. Zumal belastend hinzukommt, dass Pizarro vor seiner Tätlichkeit allenfalls von Hannovers Karim Haggui kurz gehalten wurde, während sich Pogatetz eher dezent im Hintergrund aufhielt.

Wenn der Peruaner nun also behauptet: "Ich wollte das nicht", dann kann sich das im Abgleich mit den vorliegenden Beweisvideos lediglich darauf beziehen, dass er sich in seinem Opfer vertan hat.

Der DFB ermittelt

Ob dem Täter seine Watschen im Nachhinein doch noch schadet, hängt nun davon ab, wie der Schiedsrichter Dingert sie interpretierte. Der DFB-Kontrollausschuss nahm am Montag Ermittlungen auf. Nachträglich sperren kann er den Wiederholungstäter Pizarro aber nur dann, wenn er zu den Schluss kommt, dass der Schiedsrichter die schlagenden Tatsachen nicht gesehen und demnach auch nicht bewertet hat. Im Spielberichtsbogen ist angeblich nichts notiert - das spräche gegen Pizarro.

Der wiederum behauptete: "Der Schiedsrichter hat das gesehen, aber er hat einfach nicht gepfiffen. Ich glaube, er hat verstanden, dass ich das nicht wollte."

Ab und an wird berichtet, dass es auch sogenannte verbale Ohrfeigen gäbe. Wenn das stimmt, dann hat sich Claudio Pizarro mit seinen bizarren Ausreden ein prächtiges Exemplar an die eigene Wange gesetzt.

© SZ vom 13.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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