Fall Peng Shuai:Nachricht mit Knalleffekt

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Die Vereinigung der professionellen Tennisspielerinnen ist weiter zutiefst um das Wohl von Peng Shuai besorgt und wagt den Machtkampf: Ab sofort setzt die WTA alle Turniere in China aus. Der Schritt dürfte für den Weltsport gewaltige Folgen haben.

Von Javier Cáceres, Gerald Kleffmann und Johannes Knuth, München

Die Nachricht, die nicht nur den Tennissport, sondern auch die globale Sportgemeinde nachhaltig erschüttern dürfte, trudelte am Mittwochabend im Kleid des Gewöhnlichen ein. Per E-Mail, um 20.06 Uhr deutscher Zeit erreichte sie die Redaktionen, versehen mit der trockenen Überschrift: "Statement by Steve Simon, WTA Chairman & CEO".

Die folgenden Zeilen hatten es allerdings in sich. Simon, der oberste Funktionär der Vereinigung aller Berufstennisspielerinnen (WTA), erklärte darin Bahnbrechendes: "Ich gebe hiermit bekannt, dass wir ab sofort alle WTA-Turniere in China aussetzen." Er, Simon, könne von den Athletinnen "nicht guten Gewissens verlangen, dort anzutreten, wenn Peng Shuai nicht frei sprechen darf und anscheinend unter Druck gesetzt wurde, ihren Vorwurf der sexuellen Übergriffe zurückzunehmen".

Die 35-jährige Peng, eine frühere Nummer eins der Welt im Doppel und Nummer 14 im Einzel, hatte Anfang November in einem Beitrag in einem chinesischen Internetforum einen hochrangigen Politiker der Volksrepublik bezichtigt, sich an ihr psychisch und physisch vergangen zu haben. Der Beitrag wurde rasch gelöscht, Peng war in der Folge wochenlang verschollen. Vergangene Woche tauchten dann Fotos von ihr auf, ein paar kurze Videos aus einem Restaurant und bei einem Tennisturnier für Kinder in Peking. Aber frei, das konnte jeder an den gestelzten Bildern und Formulierungen erkennen, sprach sie offenkundig nie. Auch eine Video-Schalte, die Peng mit Thomas Bach hielt, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), beruhigte WTA-Boss Simon kein bisschen.

Vor allem das IOC und Thomas Bach sind bloßgestellt - wenige Wochen vor Beginn der Winterspiele in Peking

Der Schritt der WTA ist nun so radikal, wie ihn zuvor wohl noch keine Sportorganisation gewagt hat. Neun Turniere richtet die Profiserie in China aus, allein die renommierten WTA Finals in Shenzhen, das große, millionenschwere Saisonfinalevent, sollten bis 2028 dort stattfinden, auch das Turnier in Hongkong ist nun betroffen. Die WTA schüttet in China Millionen Euro an Preisgeldern aus - und erzielt im größten Land der Erde massive Marketing- und TV-Rechteerlöse. Simon machte nun erneut klar, dass das Wohl Pengs über allem stehe - und die Sorgen um sie eher zugenommen haben, trotz aller Aufforderungen, die man an die chinesischen Behörden gerichtet hatte. "Wir wissen zwar nun, wo Peng ist", teilte er mit, aber "ich habe ernste Zweifel, dass sie frei und sicher ist und nicht einem Zensurzwang und Einschüchterung unterliegt." Simon betonte: "Wir wiederholen unseren Aufruf nach einer vollständigen und transparenten Untersuchung - ohne Zensur - bezüglicher aller Vorwürfe der sexualisierten Gewalt, die Peng Shuai geäußert hat."

Der Schritt der WTA stellt auch den mächtigsten Sportfunktionär der Welt bloß: Thomas Bach, der Präsident des IOC. Der hatte sich zunächst erst gar nicht in der Sache geäußert, dann, nachdem der Chor der Kritiker angeschwollen war, sich mit Peng zusammenschalten lassen, unter anderem mit dem IOC-Mitglied Li Lingwei aus China (die übrigens auch im Nationalen Volkskongress sitzt, dem formellen Parlaments Chinas). Das IOC gab später keine Aufzeichnungen des Gesprächs heraus, das schriftliche Destillat rief jedenfalls erst recht Erschütterung hervor.

Peng habe "entspannt" gewirkt, ließ das IOC verlautbaren. Sie habe versichert, dass es ihr gut gehe, vor allem: dass man ihre Privatsphäre respektieren möge. Irgendwann wolle sie wieder im Tennis involviert sein, dem Sport, den sie so liebe. Und natürlich treffe sie sich gerne mit dem IOC-Präsidenten zum Abendessen, wenn dieser im Januar in Peking weile. Man wusste nicht, welche Details peinlicher waren: die Kulisse an Plüschtieren, vor der Peng hockte, wie auf Bildern zu sehen war, oder der sorglose Ton des IOC, als hätten sich da zwei Bekannte zum Wiedersehen verabredet und erörtert, ob man sich lieber bei Peking-Ente oder Szechuan-Küche treffen solle.

"Das ist ein konsequentes und vorbildliches Handeln", sagt Barbara Rittner zum Schritt der WTA

Die drängenden Fragen hatten Bach und das IOC leider irgendwie vergessen: Was machte sie so sicher, dass die Sportlerin frei reden konnte? Und natürlich: Was ist mit Pengs Vorwürfen der sexualisierten Gewalt? Wurden diese überhaupt besprochen? Wieso forderte Bach, der selbsternannte Anwalt der Athleten, keine Aufklärung, bis heute nicht? So machte er sich zum Kronzeugen des Regimes, das über die Staatsmedien zuvor krampfhaft die immergleiche Botschaft verbreitet hatte: Seht her, es geht ihr gut - und jetzt lasst sie in Ruhe!

Dass Bach diese Botschaft nun durchgekaut hatte, konnte man auch als Signal an den organisierten Sport lesen, dessen Einheit Bach wichtiger ist als vieles andere: Keine weiteren Nachfragen! Kein Druck auf Peking! Keine Aufklärung, wie es viele Verbände - auch der Deutsche Olympische Sportbund -, prominente Profis, sogar die Vereinten Nationen, die USA, Großbritannien und die EU gefordert hatten. Anfang Februar sollen in Peking die Winterspiele des IOC beginnen, der Ringe-Zirkel steht seit Jahren ohnehin massiv unter Druck, weil er China wegen Menschenrechtsverletzungen nicht kritisiert, zumindest nicht öffentlich: weder im Fall der Uiguren, noch in Sachen Hongkong, Taiwan und Tibet. Welch Fügung, dass es nun eine bis zuletzt außerhalb der Szene unbekannte Tennisspielerin ist, die dem Weltsport ein rares Signal abringt: Wenn Menschenrechte missachtet werden, hat das Konsequenzen.

Die Vorwürfe, die Peng am 2. November im Internet gegen den einstigen Vizepremier Zhang Gaoli vorgebracht hatte, wiegen freilich schwer. Und WTA-Chef Simon bezog sich in seinem Statement nun auch darauf, indem er den früheren chinesischen Politiker zwar nicht beim Namen nannte - wohl aber den Beitrag zitierte, den Peng im chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo abgesetzt hatte. Darin hatte sie auch erklärt, dass sie sich völlig darüber bewusst sei, dass sie ihre - im Wortsinn - Existenz riskiere.

Dass Peng die Anwürfe öffentlich gemacht hatte, rang Simon größten Respekt ab. "Ich bewundere ihre Stärke und ihre Courage", schrieb er. Dann fügte er einen beeindruckenden Satz an: "Wenn mächtige Menschen die Stimmen von Frauen unterdrücken und Vorwürfe über sexuelle Übergriffe unter den Teppich kehren können, würde die Basis, auf der die WTA gegründet wurde - die Gleichbehandlung von Frauen -, einen schweren Rückschlag erleiden. Ich werde und kann nicht zulassen, dass dies der WTA und ihren Spielerinnen widerfährt."

Welche Reaktion das wohl vom IOC provoziert? Von China?

Barbara Rittner, Head of Women's Tennis beim Deutschen Tennis Bund (DTB), begrüßte noch am Mittwochabend die Entscheidung der WTA. "Das ist ein konsequentes und vorbildliches Handeln", sagte die 48-Jährige der SZ. "Es muss alles getan werden, um das Wohl der Spielerinnen zu garantieren. Das ist auch ein Zeichen an die junge Generation, dass die WTA Verantwortung übernimmt." Sie sei "stolz" auf die Frauen-Tour.

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