Chelsea holt Frank Lampard zurück:Mit der Strahlkraft der Klublegende

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Kann in der aktuellen Lage fast nur gewinnen: Frank Lampard übernimmt Chelsea auf Tabellenplatz elf. (Foto: Lee Smith/Action Images via Reuters)

Der arg kriselnde Klub präsentiert Frank Lampard als Trainer bis zum Saisonende. Er soll den neuen Besitzern Zeit verschaffen und die Gemüter beruhigen - doch manchen Spielern dürfte er nicht nur positiv in Erinnerung geblieben sein.

Von Sven Haist, London

Der Chelsea Football Club ist kaum mehr wiederzuerkennen. Erst vor einem Jahr wurde der Verein von einem von Todd Boehly und Behdad Eghbali angeführten Konsortium, hinter dem die Milliarden verwaltende Investmentfirma Clearlake steckt, übernommen. Und in dieser Zeit haben die neuen Chefs nicht nur alle Führungskräfte und die halbe Profimannschaft ausgetauscht, darunter mit dem Deutschen Thomas Tuchel im September 2022 und dem Engländer Graham Potter zu Wochenbeginn auch zwei Trainer. Sondern auch die von Voreigentümer Roman Abramowitsch über knapp zwei Jahrzehnte etablierte Vereinskultur der Verschwiegenheit und Diskretion.

Stattdessen hat sich das erfolgsverwöhnte Chelsea analog zum umtriebigen Auftreten des US-Amerikaners Boehly zu einem auffälligen, fast prahlenden Fußballbetrieb entwickelt. Die Neuausrichtung fällt so markant aus, dass sogar das Zugehörigkeitsgefühl der eigenen Fans nachzulassen scheint. Verstärkt wird der Zustand durch den Absturz auf den elften Tabellenplatz der Premier League. Nur 29 Tore hat Chelsea in 29 Ligaspielen erzielt, weniger gab es zum selben Zeitpunkt bloß 1922 und 1924. Die gefährliche Entfremdung scheint jetzt selbst dem ziemlich von sich überzeugten Boehly aufgefallen zu sein. Um sie aufzuhalten, benannte er nun die der Anhängerschaft sehr vertraute Vereinslegende Frank Lampard zum Interimstrainer.

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Drei Tage nach der Potter-Absetzung bestätigte Chelsea am Donnerstag, dass Lampard die Mannschaft bis zum Saisonende übernehmen wird. Das Liga-Nachholspiel am Dienstag (0:0 gegen Liverpool) hatte noch der Spanier Bruno Saltor gecoacht, Potters langjähriger Assistent in Brighton, der zuvor nie ein Fußballspiel verantwortet hatte. Diesem Match wohnte überraschend auch Lampard bei. Er saß auf der Tribüne bei den Eigentümern und verfolgte das Spiel so konzentriert, dass fast klar war, er würde bei Chelsea einsteigen. Angeblich darf Lampard drei Assistenten für die zweimonatige Tätigkeit mitbringen, darunter sein früherer Chelsea-Teamkollege Ashley Cole.

In einer eilig anberaumten Pressekonferenz erklärte Frank Lampard, 44, dass ihm die Zusage "leicht" gefallen sei, weil Chelsea sein Klub sei und er für ihn "viele Emotionen und Gefühle" empfinde. Der frühere Mittelfeldspieler gewann mit den Blues einst in 13 Spielerjahren alle relevanten Titel, mit 211 Treffern in 648 Pflichtspielen ist er Rekordschütze des Klubs. Nach seiner einjährigen Station beim Zweitligisten Derby County zu Beginn seiner Trainertätigkeit kehrte Lampard im Sommer 2019 als Novize in diesem Beruf zu Chelsea zurück.

Für Lampard ist das Engagement eine unverhoffte Chance

Nach anderthalb Jahren entließ ihn der Verein dann allerdings wegen Erfolglosigkeit und ersetzte ihn durch Tuchel (der dann das Team direkt zum Champions-League-Titel führte). Im Zuge einer Transfersperre sollte Lampard eine Mannschaft mit vielen jungen Spielern aufbauen. Dies gelang ihm, aber sein bisweilen schroffer Umgang mit den Spielern, sein augenscheinlich nicht ausgereiftes Detailwissen als Trainer sowie seine offensichtlich falsche Selbstwahrnehmung führten zum Aus. Ein ähnliches Zeugnis wurde ihm kürzlich nach weniger als einem Jahr beim FC Everton ausgestellt

Daher stellt das Kurz-Engagement bei Chelsea für Lampard eine unverhoffte Chance da, seine Reputation als Trainer zu verbessern. Aufgrund von Chelseas ohnehin trüben Saisonaussichten hält sich das Risiko für ihn in Grenzen. Er muss gerade bei Personalentscheidungen im aufgeblähten Kader keine Rücksicht nehmen. Vielmehr könnte er positiv überraschen, wenn es seiner Mannschaft gelingt, sich im Champions-League-Viertelfinale gegen Real Madrid zu behaupten. Chelseas Königsklassentriumphen 2012 und 2021 gingen jeweils Trainerwechsel voraus, 2012 holte der Klub sogar mit dem früheren Chelsea-Spieler Roberto Di Matteo den Henkelpott.

Nagelsmann und Luis Enrique werden langfristig als mögliche Trainer gehandelt

Dem Verein bringt die Übergangslösung vor allem Zeit ein, um den "gründlichen und vollständigen Prozess" zur Suche eines neuen Trainers für die nächste Saison fortzusetzen, wie es im Statement heißt. Angeblich klopft Chelsea momentan das Interesse mehrerer Kandidaten ab, zu denen der frisch beim FC Bayern abgesetzte Julian Nagelsmann ebenso gehört wie der frühere Barcelona-Coach Luis Enrique.

Die Fans haben die Lampard-Rückkehr erwartungsgemäß wohlwollend aufgenommen. Anders als Vorgänger Potter verfügt er durch seine Spielerkarriere über Strahlkraft, nach der sich das anspruchsvolle Publikum an der Stamford Bridge immerzu sehnt. Auch die Medien kommentierten die Entscheidung weitgehend wohlwollend, als einziger Weltverein wird Chelsea nun erstmal weiter von einem Engländer betreut.

Für Kai Havertz fand Lampard einst keine geeignete Position

Doch was ist mit den Spielern? Einerseits hat Lampard in seiner ersten Chelsea-Zeit mehrere Nachwuchsspieler bei den Profis etabliert, darunter Reece James und der zuletzt unter Potter wenig berücksichtigte Mason Mount. Sie dürften ihm gütig gestimmt sein wie Linksverteidiger Ben Chilwell, dessen Verpflichtung er maßgeblich vorangetrieben hatte. Gleichzeitig ist ein nicht unerheblicher Kaderteil wohl nicht ganz so gut auf ihn zu sprechen. So setzte Lampard seinerzeit den jetzigen Stammtorwart Kepa Arrizabalaga ab und fand auch keine geeignete Position für DFB-Offensivallrounder Kai Havertz. Und er degradierte den im Verein angesehenen Verteidiger Antonio Rüdiger, der jetzt für Real Madrid spielt, weil ihm dessen Einfluss in der Mannschaft offenkundig suspekt war. So kommt Frank Lampard der Kaderumbruch in dieser Saison sicher nicht ungelegen, um einigermaßen unbelastet zu starten.

Seine Hauptaufgabe wird jedoch sein, den gespaltenen und der Vergangenheit nachhängenden Verein zu einen - und dabei Fans und Eigentümer einander näherzubringen.

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