Champions League:Vidal rackert, Guardiola fuchtelt

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Ein Herz für die Raserei: Arturo Vidal bescherte dem FC Bayern das 1:0 gegen Benfica. (Foto: AFP)

Dass die Bayern beim 1:0 gegen Benfica nicht mehr Schaden nehmen, liegt auch an Arturo Vidal. Trotzdem hadert Guardiola mit dem Chilenen.

Von Jonas Beckenkamp

Der bemalteste Mensch des Abends - Kenner werden es erahnen - das war wieder einmal Arturo Vidal. Bayerns Chilene mit dem Tattoo-Körper und der Pfeilrasur verließ seinen Arbeitsplatz in schwarze Sportlerklamotten gekleidet, fast hätte er es unbemerkt Richtung Ausgang der Münchner Arena geschafft. Doch die Reporter kommen ja mittlerweile aus aller Welt - Chilenen, Spanier, Brasilianer, sie alle riefen nach "Aartuuuuuuuro", um ihm ein paar Worte zu entlocken.

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Zu diesem Zeitpunkt war der entscheidende Moment des Münchner 1:0-Erfolges gegen Benfica Lissabon schon eine ganze Weile her - da konnte man schon mal vergessen, dass es tatsächlich Vidal war, der in der zweiten Minute mit seinem Kahlschädel den Siegtreffer geköpfelt hatte. Ein paar Fragen an ihn machten also durchaus Sinn. Arturo, was sagst du zum Spiel? "Nach den Länderspielen in Chile war ich ein bisschen müde. Aber heute habe ich mich sehr gut gefühlt und bin natürlich sehr glücklich, weil ich getroffen habe und wir gewonnen haben." Arturo, reicht euch das 1:0 in Lissabon? "Das ist doch ein gutes Ergebnis."

Da stand der Matchwinner, dessen Radius wieder einmal enorm war. Der von "Box-to-Box" gepflügt war, wie die Engländer sagen. Der sich mit seinem empfindlichsten Körperteil in ein Geschoss des Lissaboners Gaitan geworfen und so vor der Pause das 1:1 verhindert hatte. Dessen Zuspiele bis auf wenige Ausnahmen (93 Prozent Passquote) alle die Kollegen erreichten. Es war wahrlich kein schlechter Auftritt des 28-jährigen Energizers, dessen Wucht Trainer Guardiola kürzlich noch als "ansteckend fürs ganze Team" gelobt hatte.

Und trotzdem blieben auch diese Szenen in Erinnerung: In der kritischen Viertelstunde vor dem Halbzeitpfiff erlebte Vidal, wie Guardiola minutenlang in seine Richtung fuchtelte. Dem Katalanen passte die Abstimmung zwischen ihm und seinem zentralen Nebenmann Thiago überhaupt nicht. Es ging um Details. Um Rückpässe im Aufbauspiel, um Balance beim Verlagern, um den richtigen Blick für die Angriffseröffnung. Für Guardiola: Um die Essenz seiner Spielidee.

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Doch statt einer klaren Umsetzung seiner Vorgaben, musste der Coach erleben, wie in der Zentrale die Chaostheorie um sich griff. Guardiola zitierte Vidal bis auf wenige Meter Entfernung vor sich, um ihm strategische Anweisungen mitzugeben. Es ergab sich ein aufgeregtes Handgewische, ein paar deftige Worte zischten über den Rasen, dann konnte es endlich weitergehen. Wie bei Guardiola üblich war hinterher alles super, statt Kritik entsandte er ein überschwängliches Lob. "Arturo ist sehr wichtig, er hat eine große Persönlichkeit, große Erfahrung. Die letzten Monate hat er es sehr gut gemacht."

Doch es wird noch immer deutlich, dass der Chilene eigentlich nicht der Spielertyp ist, von dem der Coach gerne sein Mittelfeld dirigieren lässt. Vidal ist zwar nach einer unscheinbaren ersten Saisonhälfte zum Vorkämpfer aufgestiegen, aber genau da liegt das Problem: Je mehr Vidal mit seiner Raserei, seiner Kampfkraft, seiner Aggressivität glänzt, desto weniger spielt der FC Bayern nach Guardiolas Gusto. Er will Kontrolle, Vidal bringt Kampf.

Der Katalane hat sich dem Pragmatismus unterworfen, er arrangiert sich damit, dass er einen Höllenhund wie Vidal in der Rückwärtsbewegung braucht, "um defensiv stabil zu sein". Aber lieber wären ihm noch mehr Thiagos oder Kimmichs, die bei aller Schnixerei den Kopf oben behalten und sich als Strukturalisten verdient machen. Vidal ist das naturgemäß egal, sein Spiel blüht im offenen Feld auf. Er freut sich, dass seine Fähigkeiten derzeit zum Tragen kommen. Die defensive Position als Roadrunner gefalle ihm, sagte der Chilene. "Ich habe oft den Ball, ich kann angreifen, kann verteidigen. Ich mag es, dort zu sein, wo die Gefahr ist."

Auch die Kollegen schätzen seine Allgegenwärtigkeit. "Man weiß, was man von Arturo erwarten kann. Dementsprechend hat er auch agiert", erklärte Thomas Müller. "Ballgewinne sind immer ein super Impuls für die Mannschaft", benannte der Weltmeister einen der Vorzüge seines Kollegen. Und Vidal selbst? Der wirkte beschwingt wie selten, er genießt das Gefühl, gebraucht zu werden. "Für solche Spiele haben sie mich nach München geholt", sprach er den Reportern in die Mikros. Dass sein Aufschwung eher dem allgemeinen Gerumpel der Bayern in diesen Tagen geschuldet ist, muss ihn ja nicht tangieren. Für Guardiola könnte es aber noch zum Problem werden.

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