Champions-League-Sieger Real Madrid:Küsschen für Sergio Ramos

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Entschied das Champions-League-Finale: Sergio Ramos erhält Dankeschön von Marcelo (Foto: AP)

Das Madrider Nachbarschaftsduell ist ein denkwürdiges Champions-League-Finale: Atlético hat bereits eineinhalb Hände am Pokal, doch Real rettet sich in der Nachspielzeit in die Verlängerung und schießt ein 4:1 heraus. Besonders groß ist die Freude bei Reals Torwart Iker Casillas.

Von Johannes Knuth

Iker Casillas wusste, wem er zu danken hatte. Er rief Sergio Ramos zu sich, seinen Vorarbeiter in der Defensivzentrale von Real Madrid, legte beide Arme um ihn, brüllte ihm sekundenlang ins Ohr. Dann küsste er Ramos auf die Backe.

Es war ein denkwürdiges Champions-League-Finale, dieses Madrider Nachbarschaftsduell zwischen Atlético und Real, und das war in nicht unerheblichem Maße den Herren Casillas und Ramos geschuldet. Casillas hatte Atlético den Führungstreffer mit einem Stellungsfehler ermöglicht (36.), Ramos hatte seinen Torwart mit einem Treffer in der Nachspielzeit rehabilitiert. Gareth Bale (110., nach Solo von Angel di María), Marcelo (118.) und Cristiano Ronaldo (120.) schossen in der Verlängerung ein 4:1 heraus. Es war der dritte Triumph für Reals Trainer Carlo Ancelotti, Rekord, und Reals zehnter Gesamstieg in der Königsklasse, "la Décima", ebenfalls Rekord.

2002 hatte Real Madrid zuletzt den Wettbewerb gewonnen, damals stand der 21 Jahre alte Casillas im Tor. Vor dem Finale in Lissabon hatte Casillas gesagt: "Die Erinnerung daran verschwindet schon fast." Die Erinnerungen an das Spiel gegen Atlético dürften wohl für die kommenden Jahrzehnte reichen. "Wir waren tot, Sergio hat uns wieder mal gerettet", sagte Sami Khedira, der nun als Champions-League-Sieger zur Nationalmannschaft reist.

Wettbewerb der Wunderheiler

Dem Wettstreit um Europas Fußballkrone war zunächst ein Wettbewerb der (Wunder-)Heiler vorangegangen. Bei Real vertrat Khedira den gesperrten Xabi Alonso. Khedira hatte sich im vergangenen November das Kreuzband gerissen, nun lief der deutsche Nationalspieler im Mittelfeld als Bodyguard des feinfüßigen Luka Modric auf. Auch Reals größte Attraktionen, die zuletzt kränkelnden Cristiano Ronaldo und Gareth Bale, waren in der Startelf vertreten. Allein Pepe hatte es nicht geschafft, ihn ersetzte Raphael Varane.

Bei Atlético war tatsächlich ein kleines Wunder geschehen: Auf dem Aufstellungsbogen stand der Name Diego Costa. Costa hatte sich kurz vor dem Finale den Oberschenkel gezerrt, spanische Medien raunten, er sei zu einer sog. Wunderärztin nach Belgrad gereist. Die gute Frau würde ihm Pferdeplazenta auf den Oberschenkel reiben, hieß es, so habe die sog. Wunderheilerin schon diversen lahmen Fußballspielern wieder zum Gehen verholfen. Atléticos bulliger Stürmer stand am Samstagabend dann tatsächlich auf dem Feld, als die Hymne ertönte, er spielte.

Aber er war nicht fit.

Costa bewegte sich wie ein Spaziergänger, der sich in einem 100-Meter-Sprintfinale verirrt hatte. Einmal verwickelte er Khedira in einen Zweikampf an der Seitenauslinie, Khedira gewann. Dann schleppte sich Costa durchs Mittelfeld, als trage er eine Bleiweste unter dem Trikot. Nach neun Minuten hatte sein Trainer Diego Simeone genug, Adrián kam, Costa ging.

Es passierte erst einmal: nichts. Beide Finalteilnehmer hatten ihre Heldentaten in der Champions League vornehmlich mit Konterfußball vollbracht, nun waren sowohl Real als auch Atlético darauf bedacht, ihr eigenes Revier zu sichern. Verlor Real den Ball, stürzten sich sofort mehrere Weiße auf den Gegner. Hatte Real den Ball wieder vereinnahmt, zog sich Atlético wieder zurück, orchestrierte sein berühmt-berüchtigtes 4-4-2-Pressing. Bis zur 30. Minute braute sich genau eine gefährliche Situation zusammen: Reals Sergio Ramos klärte eine Flanke aus Versehen ins eigene Toraus.

Nach einer halben Stunde wagten sich beide Seiten zum ersten Mal aus der Defensive, allerdings nur bei einem Handgemenge. Atléticos Raul Garcia hatte di María umgesäbelt, Reals Ramos und Coentrao wurden beim Übeltäter vorstellig, Atléticos Gabi maßregelte Coentrao per Backpfeife - unbemerkt vom Schiedsgericht.

Real revanchierte sich beinahe mit dem Führungstor. Tiago verübte einen schlimmen Fehlpass, Bale sprintete unbedrängt gen Tor, plötzlich stand er unbewacht am Elfmeterpunkt, ein Elfmeter mit viel Anlauf war das - Bale verschoss, links vorbei (32.).

Khedira springt hoch, Godin springt höher

Atlético hatte bis dato noch keine einzige Torchance erschaffen, Atlético tat sich schwer. Aber Atlético besaß noch immer Vorteile im Luftraum. Juanfran köpfelte den Ball in Reals Strafraum. Diego Godín, 1,86 Meter groß, und Khedira, 1,89 Meter, bewarben sich um den Ball. Khedira sprang hoch, seine Haare wehten wild im Wind, Godín sprang höher. Der Ball trudelte Richtung Tor, über den Kopf von Reals Torwart Casillas, der ohne Angabe von Gründen seinen Arbeitsplatz verlassen und Richtung Gefahrenstelle gestürmt war - 1:0 Atlético (36.). Es war Godíns achtes Pflichtspieltor der Saison, zum achten Mal hatte er per Kopf getroffen.

Das Resultat war wie gemalt für Atlético. Nach der Halbzeit beschäftigten sie Real zunächst mit ausgiebigem Pressing. Als die Vorhut müde war, zog sich Atlético zurück. Und wenn sich Bale, Ronaldo oder di María doch einmal freischwommen, riss sie ein Rot-Weißer eben zu Boden.

Real hatte sich seinen Finalplatz mit einer furchterregend präzisen Vorstellung gegen den FC Bayern verdient, in München waren sie nach jedem Ballbesitz wie eine Lawine auf das gegnerische Tor zugerollt, aber jetzt waren die Wege versperrt. Atléticos Keeper Courtois boxte einen Freistoß von Ronaldo über das Tor (54.). Isco, eingewechselt für den müden Khedira, schoss aus der Distanz, vorbei. Einmal bracht Gareth Bale noch durch (78.), Godin zupfte und zog, Bale spitzelte den Ball neben das Tor. Atlético hatte eineinhalb Hände am Pokal. Schiedsrichter Björn Kuipers rief fünf Minuten Nachspielzeit aus, warum auch immer.

Dann wuchtete Sergio Ramos den Ball in der dritten Minute der Nachspielzeit ins Tor. Atléticos Spieler sackten zusammen, als hätten sie das Spiel bereits verloren, sie waren müde. Zu müde, um "la Décima" zu verhindern.

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