Champions League:Josko Gvardiol macht Dingdong

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Imposanter Auftritt: Josko Gvardiol, sonst eher fürs Verteidigen zuständig, trifft gegen ManCity per Kopfball und setzt sich auch am Boden durch. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Pep Guardiola gibt sich ehrfürchtig, Leipzig glaubt ans Weiterkommen: Nach dem 1:1 gegen ManCity dreht sich bei RB alles um einen umschwärmten Verteidiger - die Frage ist, ob der Bundesligist künftig seinen Kader beisammenhalten kann.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Die Pressekonferenz von Pep Guardiola war fortgeschritten, Wortmeldung um Wortmeldung wurde zurückgezogen. Und so beendete der 52-Jährige den Auftritt mit einem nicht ganz ernst gemeinten Rüffel, indem er die Einfallslosigkeit der aus England mitgereisten Reporter beklagte: "Ihr seid heute nicht sehr kreativ ...", sagte er, als er sich von seinem Stuhl erhob und süffisant lächelte.

Ein Reporter nach dem anderen hatte seine Frage storniert, weil die Erkundigung bereits eingeholt worden war. Die Frage lautete: Was Guardiola seiner Mannschaft von Manchester City gesagt habe, als er sie nach dem Schlusspfiff vor aller Augen auf dem Rasen zusammenrief - ein Prozedere, das alles andere als Usus ist.

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Die Niederlage in Madrid scheint Vorurteile über den Trainer Pep Guardiola zu bestätigen - auch wenn er diesmal nicht an den eigenen Ideen scheitert. Dafür wird eine andere Schwachstelle seiner Mannschaften langsam deutlich erkennbar.

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"Kopf hoch!", das sei die Botschaft gewesen. Denn das 1:1 bei RB Leipzig sei alles andere als ein schlechtes Resultat, berichtete Guardiola. Zumal er ohne größere Erwartungen nach Leipzig gereist sei: "Ich kenne dieses Land", sagte der frühere Bayern-Trainer (von 2013 bis 2016), und er meinte vor allem: die deutschen Mannschaften, die niemals, unter keinen Umständen, ein Spiel aufgeben.

Man muss nicht 1991 auf dem Betzenberg gewesen sein, um Guardiolas mitunter traumatische Beziehung zu deutschen Gegnern in Europas Königswettbewerb zu verstehen. Doch jenes Jahr war prägend. Seinerzeit rettete sich der FC Barcelona mit dem jungen "Sechser" Guardiola gegen den 1. FC Kaiserslautern in die Gruppenphase des Meisterwettbewerbs - in der Nachspielzeit, durch ein legendäres Kopfballtor von José Mari Bakero, das den Weg zum Finale von Wembley 1992 offenhielt. Warum sich aber nun am Mittwochabend die City-Angestellten in Grund und Boden darüber ärgerten, dass in Leipzig nur ein Remis herausgesprungen war, für diese Frage genügte lediglich ein einigermaßen funktionstüchtiges Kurzzeitgedächtnis. Denn in der ersten Halbzeit hatten die Engländer ihren Gastgeber in einer Weise vorgeführt, wie es auf diesem Niveau dann doch eher selten vorkommt.

Schädliche Phasen ohne Ballberührung

"26 Prozent Ballbesitz zur Pause, das ist natürlich unterirdisch", räumte Leipzigs Trainer Marco Rose ein. Auch Xaver Schlager, österreichischer Mittelfeldspieler, wies darauf hin, wie schädlich die einschläfernden Phasen ohne jede Ballberührung gewesen waren. Er erklärte den Prozess minutiös: "City hat immer wieder verlagert, verlagert, verlagert, und wir sind nicht in die Zweikämpfe gekommen. Und je mehr du läufst gegen die, umso schwieriger wird's auch bei eigenem Ballbesitz, weil der Puls extrem hoch ist." Und dann, folgerte Schlager, "triffst du die falschen Entscheidungen". So wie er selbst vor dem 0:1.

Zwei Trainer, zwei Richtungen: Pep Guardiola und Marco Rose glauben beide ans Weiterkommen ihres Teams in der Champions League. (Foto: Martin Rose/Getty)

Er habe dem Kollegen Laimer den Ball in den Vorderfuß spielen wollen, damit er gleich nach vorne attackieren kann. "Ich glaub', bei ihm war der Puls auch hoch: Er hat mir gesagt, dass er sich in dem Moment orientierte", sprich: "kurz geschaut hat, ob einer bei ihm ist". Er selbst habe gemerkt, dass sich in seinem Rücken "der Erling" näherte - also eine Art schnaufender Bison namens Haaland. Deshalb wirkte die RB-Defensive nachvollziehbar nervös - "und dann kommt das Missverständnis dabei raus".

Die Folge: Jack Grealish fing den Ball ab und steckte ihn auf Riyad Mahrez durch, der an einer Torwartstatue namens Janis Blaswich vorbei einschoss. Zuvor hatte Manchesters Kapitän Ilkay Gündogan den Ball durch die Beine laufen lassen und seinen Bewacher Josko Gvardiol damit aus dem Gefecht genommen. Das Leipziger Team konnte von Glück reden, dass City sich darin gefiel, die Kugel kreisen zu lassen, ohne das Tempo oder die Tiefe der eigenen Aktionen zu variieren. Denn das sorgte dafür, dass die spektakuläre Steigerung nach der Pause Ertrag abwarf. Leipzig rettete ein Remis und die Hoffnung fürs Rückspiel in drei Wochen. "Die zweite Halbzeit war wirklich gut", fand Trainer Rose.

Kurios war dabei, dass den Ausgleichstreffer Innenverteidiger Gvardiol besorgte. Nicht nur wegen des unvermeidlichen Wortspiels ("Gvardiol 1 - Guardiola 1", freute sich etwa The Daily Telegraph), sondern auch, weil der Kroate in der ersten Halbzeit zu den wenigen Spielern bei RB Leipzig zählte, die an ihre Normalform heranreichten. Sein Treffer war ein Kopfstoß, der um einiges imposanter und wuchtiger war als der von Guardiola einst bejubelte Treffer von Bakero. Gvardiol schraubte sich in die Höhe, als wollte er mit der Stirn nicht einen Ball, sondern die Glocke eines Kirchturms treffen, und traf nach einer kurz ausgeführten Ecke. Dingdong.

Gvardiol bewies damit, dass ihn die Aufregung um seine Person nicht berührt, wie auch Trainer Rose feststellte. Zu Beginn der Woche war er in den Schlagzeilen gewesen wegen eines Interviews mit der Times, das nach Darstellung der Leipziger nicht in allen Nuancen den Ton des Gesprächs wiedergab. "Mein Ziel ist es, in der Premier League zu spielen", war Gvardiol dort zitiert worden; die Bemerkung, er wolle Christopher Nkunku zum FC Chelsea folgen, sei eher im Scherz geäußert worden. "Leider sieht man in der Zeitung das Lachen nicht", sagte Trainer Rose (ohne dabei zu lachen, übrigens).

In Leipzig sind sie sich sicher, Gvardiol halten zu können

In Leipzig weiß man, dass Gvardiol einer der aufregendsten Spieler im Kader ist. Schon im vergangenen Jahr soll Chelsea 90 Millionen Euro für den Kroaten geboten haben. Am Ende verlängerte Gvardiol den Kontrakt; dass er in besagtem Interview auch betonte, sich ein weiteres Jahr in Leipzig vorstellen zu können, ging ein wenig unter. Es gibt den Verantwortlichen bei RB perspektivisch so viel Hoffnung wie Gvardiols Treffer fürs mögliche Viertelfinale.

"Ich als Trainer möchte mit den besten Spielern zusammenarbeiten, weil wir Dinge weiterentwickeln wollen. Josko ist unser Spieler, und er bleibt unser Spieler", sagte Rose. Was, wenn doch eine dreistellige Millionensumme geboten wird? Manager Max Eberl betonte, dass Leipzig "definitiv kein Verkaufsverein" und außerdem ambitioniert sei: "Wir wollen Titel sammeln und dafür brauchen wir gute Spieler."

Denn auch in dieser Saison ist die Chance gegeben, weitere Titel zu sammeln: In der Bundesliga liegt Leipzig vier Punkte hinter Spitzenreiter Bayern München, die Titelverteidigung im DFB-Pokal führt im Viertelfinale daheim über Borussia Dortmund. Ein Platz unter den letzten acht der Champions League ist nach dem Mittwochabend ebenfalls nicht ausgeschlossen. Und auch wenn das nach der ersten Halbzeit wie ein Wunder anmutet, so gab es in der Geschichte doch schon größere. Zum Beispiel das Tor des kleinen Bakero auf dem Betzenberg.

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