Champions League:Klopps verhaltene Freude

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Hat noch eine Menge vor in der Restsaison: Liverpools Trainer Jürgen Klopp. (Foto: Paul Ellis/AFP)

Der FC Liverpool erreicht zwar das Halbfinale der Champions League - doch ausgelassen jubelt nur der unterlegene Gegner. Trainer Klopp verlangt sogar nach einer Ohrfeige.

Von Sven Haist, Liverpool

Weit mehr als das Ergebnis dürfte Benfica Lissabon am Mittwochabend das Erlebnis in Erinnerung behalten. Obwohl der portugiesische Rekordmeister erwartungsgemäß im Viertelfinale der Champions League dem Liverpool Football Club unterlegen war, würdigten die Fans ihre Mannschaft, als hätte diese soeben den Favoriten sensationell be­siegt. In einem rührenden Ehrerweis an den eigenen Klub, einen der weltweit mitgliedsstärksten Sportvereine, drückten die Anhänger ihren Stolz darüber aus, dass sich Benfica bis zu diesem Mittwoch, im Gegensatz zum bereits in der Vorrunde gescheiterten Erzrivalen FC Porto, im Wettbe­werb gehalten hatte - als einziger Verein aus Portugal.

Der rund 5000 Menschen umfassen­de Reisetross aus Lissabon hatte nach 90 Spielminuten nicht genug, er verlängerte den Stadionaufenthalt an der Anfield Road noch einmal freiwillig um eine Dreiviertelstunde. Fast in Dauerschleife erklärten die Leute dabei dem Klub ihre Zuneigung ("Eu amo o Benfica" - Ich liebe dich, Benfica), so laut, dass die Sprechgesänge selbst im Kabinengang deutlich zu hören waren. Spontan überkam das Team um Trainer Nélson Veríssimo das Bedürfnis, erneut in Mannschaftsstärke auf den Platz zurückzukehren, um sich für die Unterstützung zu bedanken.

Hatten auch lange nach dem Spiel noch nicht genug: die Fans von Benfica Lissabon. (Foto: Darren Staples/dpa)

Minutenlang applaudierten die Spieler ihren Anhängern, sichtlich berührt, aber auch verlegen und ein bisschen wehmütig aufgrund der vertanen historischen Chance, den Klub erstmals seit 1990 wieder ins Semifinale der Königsklasse zu führen. Damals scheiterte Benfica am AC Mailand. Immerhin musste sich niemand der Profis grämen, weil jeder sein letztes Hemd für den Klub gegeben hatte - sowohl in Bezug auf den Einsatz im Spiel als auch in Form der an die Anhänger als Souvenir überreichten Trikots.

Benfica feiert, bei Liverpool sind die Spieler und Trainer Klopp dagegen kurz angebunden

Einige Fanutensilien gingen in einer der sicher schönsten Gesten dieser Champions-League-Saison sogar weiter an die vor dem Gästeblock aufgereihten Ordnungs­hüter. Einer der Sicherheitsleute zog sich sichtbar stolz eines der Benfica-Shirts über seine Uniform. Die Ausgelassenheit der Gästefans, die ihren Anfield-Besuch so lange wie mög­lich und letztlich bis zur Sperrstunde auskosteten, stand im Widerspruch zum Verhalten der Heimfans, die trotz des Weiterkommens relativ unverzüglich das Stadion verließen. Ähnlich kurz angebunden waren auch alle Liverpool-Spieler und ihr Trainer Jürgen Klopp. Die verhaltene Freude musste Klopp sogar auf der Pressekonferenz relativieren, indem er witzelte, man solle ihm eine "Ohrfeige" verpassen, wenn er sich nach einem Halbfinal-Einzug nicht mehr "im siebten Himmel" wähne.

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Doch anders als für Benfica, das mit dem Kräftemessen den Saisonhöhepunkt verband und sich entsprechend bis zum Abpfiff verausgabte, versuchte Liverpool, möglichst kraftschonend seine Pflichtaufgabe zu erledigen. Nach dem 3:1 in Lissabon schien diese an sich fast erfüllt zu sein, nur musste sie halt noch im Rückspiel formal bestätigt werden. Als die Reds dann wie vor einer Woche ein 3:1 herausgespielt hatten - nach dem Führungstreffer durch Ibrahima Konaté (1:0/21.), dem Doppelschlag des Angreifers Roberto Firmino (55./65.) sowie Benficas zwischenzeitlichem Ausgleich durch Gonçalo Ramos (1:1/32.) -, war es dem Team wohl nicht zu verdenken, dass die Aufmerksamkeit abrupt nachließ.

Die Gedanken schweiften ab - eventuell an ein noch nie da gewesenes Quartett an Saisontiteln, das nach dem Gewinn des League Cup im Februar möglich ist. Dafür müsste Liverpool am Samstag erst mal Manchester City, den großen Widersacher, im Halbfinale des FA Cup aus dem Weg räumen. Sechs Tage nach dem spektakulären Aufeinandertreffen in der Premier League (2:2), nach dem Liverpool in der Tabelle weiterhin einen Punkt hinter City steht.

Treffsicherer Stürmer an diesem Abend: Liverpools Roberto Firmino (2. v. l.) erzielt sein zweites Tor. (Foto: Jon Super/AP)

Im Wissen um die Herausforderung von momentan zwölf Pflichtspielen in 39 Tagen ließ Liverpool die Partie gegen Benfica spürbar im Ruhemodus austrudeln und kassierte prompt in einer konfusen Schlussphase noch das 3:3 - nach Anschlusstoren des Ukrainers Roman Jeremtschuk (73.) und des jungen Darwin Núñez (81.). Das Liverpool Echo, lokales Sprachrohr des LFC, schrieb anerkennend, dass sich Benfica "zu keiner Zeit" mit seinem Schicksal, dem Ausscheiden, abfinden wollte.

Für das Viertelfinale der Champions League tauscht Klopp fast seine gesamte Startelf aus

Allerdings genügte das Remis letztlich komfortabel, um im Gesamtresultat zum zwölften Mal die Vorschlussrunde des europäischen Vorzeigewettbewerbs zu erreichen (was auf der Insel bisher nur Manchester United gelang). Die Partie sei wahrlich "nicht nach Wunsch" verlaufen, gab Klopp zu, aber "alles", was zähle, sei in dieser Saisonphase allein das Resultat.

Der eigentliche Erfolg bestand für die Reds vermutlich darin, so viele Ressourcen wie möglich geschont zu haben. Mit sieben Änderungen tauschte Klopp beinahe vollständig seine viel beanspruchte Startelf aus - im Vergleich zum Liga-Gipfel bei City. Neben den Außenverteidigern Andrew Robertson und Trent Alexander-Arnold bekam auch Abwehrchef Virgil van Dijk eine Schaffenspause. Andere Stammspieler wie Fabinho, Thiago, Sadio Mané und Mohamed Salah wurden erst in der zweiten Halbzeit eingewechselt. Dadurch hat Liverpool nun in zehn Königsklassen-Partien 26 Profis vor der 70. Spielminute ausgetauscht - in der Liga waren es zu diesem Zeitpunkt bloß 36 Personalwechsel in 31 Partien (wobei dort nur drei statt fünf Wechsel erlaubt sind).

Die kuriose Statistik legt nahe, dass Liverpool aufgrund seiner Kadertiefe und eines in dieser Saison günstig zugelosten Turnierpfads den Europapokal vorrangig im Ruhemodus bestreitet. Und das könnte bis zum Finale so anhalten, weil mit dem FC Villarreal als Tabellensiebter der spanischen Liga der vermeintlich angenehmste der verbliebenen Halbfinal-Gegner wartet. Mehr als das Erlebnis wird für den FC Liverpool auch da wieder das Ergebnis zählen.

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