Lazio Rom in der Champions League:Italiens schlecht gelaunte kleine Schwester

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Der Trainer und sein wichtigster Stürmer: Maurizio Sarri (rechts) mit Ciro Immobile. (Foto: Tom Bode/Box to Box Pictures/Imago)

Lazio Rom hat unter Besitzer Claudio Lotito an Einfluss gewonnen, war einem Meistertitel nahe. Doch in dieser Saison hat die Mannschaft von Trainer Maurizio Sarri Probleme, die nur das Abschneiden im Europapokal kaschiert.

Von Oliver Meiler

Wenn man sich die Machthierarchie des italienischen Fußballs ein bisschen pauschal anschaut, steht Lazio Rom nicht sehr weit oben. Von den "sechs Schwestern" der Serie A, wie man die größten Vereine im Land nennt, ist die S.S. Lazio eine eher kleine, wenn auch eine alte: geboren 1900, zunächst als Laufverein, 27 Jahre vor dem ewigen Rivalen in der Stadt, der populäreren AS Roma. Aus diesem Umstand beziehen die Laziali einen schönen Teil ihres Stolzes. "Nati prima", sagt man in Rom, "früher geboren". Immerhin das.

Schaut man aber etwas genauer hin, hat Lazio ihren Machtfaktor zumindest politisch deutlich ausgebaut. Claudio Lotito, der Vereinsbesitzer und Reinigungsunternehmer, eine Figur wie aus der Commedia dell'arte, sitzt seit 2022 für die bürgerliche Partei Forza Italia im Senat, der kleineren Kammer des italienischen Parlaments. Gewählt wurde er in der Region Molise, wohlgemerkt, nachdem er allen mitgeteilt hatte, dass er in seinem ganzen Leben noch nie da war. Im Senat interessiert er sich vor allem für die Geschäfte mit dem Fußball, eigentlich nur dafür. Es kam schon vor, dass sie ihn im Saal wecken mussten, als man zur Abstimmung schritt. Wird er von Parlamentsmedien befragt, dann nur zum Fußball.

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Neulich, als es um die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes für 2024 ging, versuchte Lotito mit einem abenteuerlichen Manöver, einen Passus unterzubringen: Die Fußballstars sollten fiskalisch gleich behandelt werden wie rückkehrwillige Italienerinnen und Italiener, die verzweifelt ins Ausland gezogen waren, um dort einen Job zu finden, weil sie daheim keinen fanden. Lotito fiel damit durch, das war dann doch zu frivol. Aber sonst: Er hält Hof.

Lotito ist natürlich kein Silvio Berlusconi und schon gar kein Gianni Agnelli, die ihre großen Vereine, Milan und Juve, zu ihrer Zeit mit einer gewissen Majestät verkörperten. Aber Lotito passt mit seinem römischen Slang nun mal gut zum Provinzialismus von Lazio. Und wenn er zuweilen auch angefeindet wird wegen seiner Preispolitik bei den Eintrittskarten, ist er seit seiner Vereinsübernahme vor zwanzig Jahren eben doch recht erfolgreich. Erfolgreicher jedenfalls, als es die relativ dürftigen Mittel vermuten ließen, die er dem Klub zuführt. Oft auch erfolgreicher als die Roma. Mit Simone Inzaghi als Trainer war man sogar nahe dran, den Meistertitel wieder mal zu gewinnen, der bisher letzte liegt eine Generation zurück. Inzaghi verließ Lazio vor eineinhalb Jahren und brach Lotito das Herz. Offenbar war man sich einig gewesen, dann wechselte Inzaghi zu Inter Mailand, rauf in die oberste Hierarchiestufe des Calcio, zu einer wirklich großen Schwester. Für Lotito war er wie ein Sohn.

Lazio ist nur Achter, weit unter den Ambitionen von Sarri und Lotito

Mit Maurizio Sarri, dem aktuellen Trainer, ist es mit der Harmonie nicht so weit her, was mindestens genauso stark am eigensinnigen, gerne auch mal undiplomatischen Toskaner liegt. Treccani, die italienische Enzyklopädie, führt dessen Fußballphilosophie unter dem Eintrag "Sarrismo": Man versteht darunter in Italien einen offensiven, schnellen Fußball, 4-3-3. Viel Ballbesitz, mit möglichst wenig horizontalem Geschiebe. Er verzückte damit Neapel, das war "Sarrismo" nahe an der Symphonie, auch wenn es dann nicht zum Titel reichte. Mit dem FC Chelsea und mit Juventus Turin war es etwas weniger glorreich.

So kam er zu Lazio. Zum "Sarrismo" gehört auch die knorrige Sturheit des perfektionistischen Protagonisten. Nie denkt man mal beim Zuschauen: Jetzt freut er sich, jetzt gefällt ihm die Leistung. Sarri, der ein Dreiviertelleben lang in unteren Ligen gecoacht hatte, steht unrasiert am Spielfeldrand, im Trainingsanzug, mit einem Zigarettenfilter im Mund, rauchen soll er ja nicht, und schaut kritisch auf den Platz.

Sein Spiel braucht einen Regisseur, der den Rhythmus bestimmt, die Tempi moderiert, beschleunigt und bremst, je nach Bedarf. Der Spanier Luis Alberto wäre dieser Spieler, der aufregendste Akteur im Team. Doch in dieser Saison ist er das Abbild der Mannschaft: sehr unstet, launisch auch im Auftritt. Lazio ist nur Achter der Serie A, weit unter den Ambitionen von Sarri und Lotito. Wäre da nicht die Champions League, müsste man vielleicht schon mal reden. Seit dem Weggang des langjährigen Sportdirektors Igli Tare kümmert sich Lotito auch um die Transfers. Und auch da ist er nicht immer ganz wach. Oder tut es ihm leid ums Geld? Man weiß es nicht genau.

Zur neuen Saison hat er unter anderem den Japaner Daichi Kamada von der Eintracht geholt, der in Frankfurt eine Leuchte war. Bei Lazio spielt er fast nie von Beginn an. Damit Ciro Immobile zu alter Effektivität zurückfindet, holte Lotito Taty Castellanos, für etwas Konkurrenz auf der Neun. Und erzählte den Fans, die noch nie von diesem Argentinier gehört hatten, der sei eine "wahre Erscheinung". Nun, zwei Tore gelangen dem fenomeno bisher bei 25 Einsätzen in der Meisterschaft und Champions League. Und Immobile? Hat gerade sein 200. Tor in der Serie A erzielt. Er ist jetzt schon eine Legende der Laziali, mag er anderswo auch belächelt worden sein, der große Bruder der kleinen Schwester.

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