Champions League:Dortmunder Spaßkick mit Makel

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Auch Mario Götze (li.) scheint sich langsam einzufinden bei der Borussia. (Foto: REUTERS)

Beim 6:0 in Warschau führt der neue BVB sein riesiges Potenzial vor. Das Niveau des Gegners und Entgleisungen polnischer Fans lösen Debatten aus.

Von Felix Meininghaus, Warschau

Thomas Tuchel war diesmal blendend gelaunt. Mit kindlicher Freude lief Dortmunds Trainer nach dem Schlusspfiff auf den Platz, lachte, scherzte, nahm seine Spiele in der Arm und tätschelte Mario Götze zärtlich das Hinterteil. Das Hochgefühl war durchaus verständlich, schließlich gewinnt man in der Champions League nicht alle Tage mit 6:0 - und nimmt dabei seinen Gegner dermaßen auseinander, dass die psychische Unversehrtheit des bedauernswerten Opfers Legia Warschau zu bezweifeln ist.

Solche Spiele sind im Leben eines Trainers Highlights, die noch dazu aufgewertet werden, wenn es sich um das erste Mal handelt: Tuchels erstes Mal als Coach in der Königsklasse. "Es war ein besonderes Erlebnis, schließlich gibt es eine Premiere nur ein Mal", berichtete der 43-Jährige nach dem Abpfiff einer frappierend einseitigen Begegnung.

Tuchel hatte vor Spielbeginn verkündet, dieses Erlebnis sei für ihn wie Weihnachten und Geburtstag am gleichen Tag. Eine Stunde nach dem Abpfiff berichtete er, es habe sich "tatsächlich so angefühlt". Er habe schon am Nachmittag "wahnsinnig viele Nachrichten von meiner Familie und engen Freunden bekommen, die meinen Weg begleitet haben".

Was Tuchel zu sehen bekam, wird ihn verzückt haben, auch wenn es alles andere als aufregend war. Bereits nach 17 Minuten stand es nach Toren von Götze, Sokratis und Bartra 3:0, schneller ist in der Geschichte der Champions League noch nie ein Verein so hoch in Führung gegangen. Sportdirektor Michael Zorc sprach von einer "extrem guten ersten halben Stunde, in der wir unsere Klasse und unsere Geschwindigkeit optimal auf den Platz bekommen haben". Allerdings bremste Mario Götze die Euphorie sogleich, denn die Polen waren kaum ein richtiger Gegner: "Dieses Spiel müssen wir richtig einordnen. Das war nicht Real Madrid."

Legia trat so desolat auf, dass wahrscheinlich sogar die F-Jugend der Königlichen ein härterer Widersacher gewesen wäre. Der BVB hätte das Resultat in den zweistelligen Bereich treiben können, wäre er mit seinen üppig vorhandenen Möglichkeiten nicht so fahrlässig umgegangen. Allein Pierre-Emerick Aubameyang hatte fünf bis sechs Treffer auf dem Fuß, am Ende freute er sich über das eine Tor, das ihm kurz vor dem Abpfiff zum 6:0-Endstand gelang.

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Der BVB schlägt überforderte Warschauer mit 6:0 und ist nach dem Dämpfer in der Bundesliga gegen Leipzig wieder gut gelaunt. Thomas Tuchel spricht von einer besonderen Gier.

Auf Dortmunder Seite waren beim Spaßkick an der Weichsel viele Positivelemente zu sehen, vor allem Raphaël Guerreiro brillierte. Der portugiesische Europameister hat bei Tuchel noch nicht viel Einsatzzeit bekommen, in Warschau zeigte er, wie enorm sein Potenzial ist. Der Linksfuß hatte viele tolle Szenen, erzielte das 4:0, sein Zusammenspiel mit Götze klappte bestens. "Gute Fußballer verstehen sich in der Regel", sagte Sportchef Zorc, "da ist es egal, wenn sie nicht die gleiche Sprache sprechen."

Nach dem Abpfiff wurde jedoch nicht in erster Linie über die Klasse der Dortmunder debattiert, sondern über den Gegner aus der polnischen Hauptstadt. Irgendwann sollte man die Sinnfrage stellen, wenn Teams wie Bayern-Gegner Rostow, Celtic Glasgow oder Legia Warschau nicht einmal unterstes Bundesliga-Niveau präsentieren.

Da mutet es beinahe grotesk an, wenn Bayerns Aufsichtsratsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge eine Champions-League-Reform preist, die den Einfluss der führenden Klubs weiter zementiert, anstatt den Rest Europas näher an die ohnehin schon um Lichtjahre entfernte Spitze zu bringen.

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Der 1,76-Meter-Mann macht das 1:0 per Kopf. Raphaël Guerreiro empfiehlt sich für weitere Einsätze in der Startelf. Der BVB in der Einzelkritik.

Von Felix Meininghaus, Warschau

Warschaus Trainer Besnik Hasi nimmt die exorbitante Leistungsdifferenz mit fatalistischer Attitüde zur Kenntnis: "Dieses Ergebnis ist eine Katastrophe, aber auch ein realistisches Abbild der Kräfteverhältnisse", sagt der Kosovo-Albaner: "Borussia Dortmund musste nicht einmal 100 Prozent geben, um uns so klar zu besiegen."

Sein Dortmunder Pendant übte sich in diplomatischer Zurückhaltung, als er auf das erschreckend schwache Niveau des Gegners angesprochen wurde: "Es lohnt sich nicht, über die Qualität des Gegners zu philosophieren. Wir setzen unsere Maßstäbe nur für uns. Das war ein Champions-League-Gruppenspiel, da ziemt es sich nicht, dem Gegner die Qualität abzusprechen."

Das mangelhafte Niveau war allerdings nicht nur auf dem Rasen, sondern auch auf den Rängen zu beobachten. Fans von Legia benahmen sich komplett daneben, als sie den Dortmunder Fanblock mit Pfefferspray attackierten und noch dazu fürchterliche Sprechchöre skandierten. Wie polnische Reporter bestätigten, tönten aus dem Warschauer Fanblock die Rufe "Jude, Jude, Borussia". Auf Seiten von Legia will man anderes gehört haben: Laut einem offiziellen Statement, das kaum ernst zu nehmen ist, hätten Stadionbesucher "Nutte, Nutte, BVB" gesungen. Es wird interessant, wie die Uefa, die während Champions-League-Begegnungen mehrmals ihren Anti-Rassismus-Spot ausstrahlt, auf solche Entgleisungen reagiert.

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