Champions League:Atlético schiebt Mourinhos Busse weg

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Bärtiger Sieger: Torschütze Arda Turan für Atlético. (Foto: REUTERS)

Im Halbfinal-Rückspiel der Champions-League scheitert die Defensivstrategie des FC Chelsea. Trotz Führung verlieren die Londoner zu Hause klar gegen Atlético Madrid. Für Trainer José Mourinho ist ausnahmsweise nicht der Schiedsrichter verantwortlich, sondern eine Schlüsselszene nach der Pause.

Von Johannes Knuth

Der Großmeister stand regungslos an der Seitenlinie. Er hatte beide Hände in den Hosentaschen vergraben, ein paar Minuten waren noch zu spielen. Aber José Mourinho, der Trainer des FC Chelsea, hatte seiner Mannschaft nichts mehr zu sagen. Sein Konzept war gescheitert.

Der FC Chelsea und Atlético Madrid stritten sich am Mittwochabend um den Platz im Finale der Champions League, den sich Atlético mit einem fabelhaft herausgespielten 3:1 (1:1) sicherte. Damit kommt es am 24. Mai in Lissabon zum ersten Europapokal-Finale, das ein Stadtderby ist. Der zweite Finalist heißt bekanntlich Real Madrid. "Verdient", wie Mourinho später zugeben sollte.

Dabei war es mehr als ein sportlicher Wettstreit gewesen, der dieses Halbfinale prägte. Es war vor allem eine Glaubensfrage, die die Fußballgemeinde vor dem Rückspiel in Aufruhr versetzt hatte: Ist die Betontaktik, die José Mourinho unter anderem beim 0:0 im Hinspiel seiner Mannschaft verordnete, clever oder einfach nur eine Frechheit? Am vergangenen Wochenende hatte sich Chelsea mal wieder ein Sieg ermauert, 2:0 hatte es den FC Liverpool besiegt, und Brendan Rodgers, der unterlegene Trainer, hatte gepoltert: "Sie haben zwei Busse vor dem Tor geparkt. So würde ich nie arbeiten."

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Der Kritisierte sah sich vor dem Rückspiel am Mittwochabend noch einmal zu einer Regierungserklärung genötigt: "Im Fußball gibt es zurzeit viele Philosophen. Menschen mit fantastischen Theorien und Philosophien", sagte Mourinho, dann führte er seine eigene Philosophie aus: "Die Realität ist die Realität. Eine Mannschaft, die schlecht verteidigt, hat keine Chance, zu gewinnen." Und wer den Rennpferden von Atlético, wer diesen Konterkünstlern zu viel Gestaltungsraum lässt, so Mourinhos Credo, der sei vor allem eines: "Dämlich".

Mourinho wich im eigenen Stadion zunächst kaum von seiner Spiel-Philosophie ab. Er hatte das Personal getauscht, Ramires vertrat den gesperrten Kapitän Frank Lampard, Mark Schwarzer den maladen Torwart Petr Cech, John Terry war nach seiner Knöchelverletzung noch überraschend fit geworden fürs Rückspiel, der flinke Eden Hazard, zuletzt geplagt von einer Wadenverletzung, rückte in die Startaufstellung - aber sonst? Wenn Atlético den Ball hatte, parkte Chelsea wie gewohnt seinen blauen Bus, wenn auch nicht so tief wie im Hinspiel. Ivanovic, Cahill, Terry, Cole formierten die hintere Kette, davor positionierten sich Ramires und David Luiz, ab und zu half Willian, der Zehner, im defensiven Mittelfeld aus. Das war kein Bus, eher ein Schwertransporter.

Eines machten die Londoner allerdings anders als im Hinspiel: Sobald sie Atlético den Ball abluchsten, behielten sie ihn. Trieben ihn sogar nach vorne, in die gegnerische (!) Hälfte. Dann schickten sie ihr eigenes Rennpferd los, den flinken Hazard, der immer wieder auf Atléticos linkem Flügel davongaloppierte. Atlético war zunächst gut beschäftigt, im Vorwärts- und Rückwärtsgang, die Spanier kamen kaum dazu, eigene Chancen zu kreieren - die vierte Spielminute ausgenommen.

Koke, wenige Meter von Chelseas Eckfahne entfernt, drosch den Ball in den Strafraum, Schwarzer streckte sich, der Ball senkte sich, aber er senkte sich nicht genug - Latte. Auf der anderen Seite jonglierte David Luiz den Ball auf seiner Fußspitze, einmal, zweimal, Fallrückzieher, der Ball strich wenige Zentimeter am Pfosten vorbei (23.). Schon jetzt hatten beide Mannschaften mehr Offensivkunststücke aufgeführt als im gesamten Hinspiel. Es sollte nur das Vorprogramm sein.

Nach rund einer halben Stunde spurtete Willian vom Zentrum auf den rechten Flügel, zog drei Gegner auf sich. Zwischen Eckfahne und Strafraum klaffte nun ein großes Loch, man hätte einen Schwertransporter darin parken können. Azpilicueta schlich sich in den freien Raum, passte zu Torres - 1:0 (36.). Der Torschütze hatte zwölf Jahre für Atlético gedient, er hob nur entschuldigend die Arme.

Chelsea rührte bereits den Beton an, da meldete sich Atlético zurück. Tiago flankte, er fand tatsächlich eine Leerstelle in Chelseas Strafraum: kurz vor der Torauslinie. Juanfran erreichte die Flanke in letzter Sekunde, sein Querpass kullerte irgendwie zwischen drei Blauen hindurch zu Adrián Lopez (44.) - zur Halbzeit stand Atlético schon im Finale. "Wir haben immer an uns geglaubt, auch nach dem Tor von Chelsea", sagte Atléticos Tiago, sein Trainer Diego Simeone ergänzte: "Nach dem 1:1 haben wir das Spiel beherrscht."

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Chelsea kam angeschlagen aus der Kabine. Chelsea brauchte ein Tor. Aber Terry köpfelte aus kurzer Distanz auf den Torwart Courtois. Mourinho beorderte Ashley Cole vom Feld, einen Verteidiger (!), Samuel Eto'o betrat die Bühne, ein Angreifer (!). Seine erste Aktion: Er trat Diego Costa auf den Fuß, im eigenen Strafraum - Strafstoß Atlético. Der Gefoulte schnappte sich den Ball, rupfte am Elfmeterpunkt etwas Gras aus dem Boden, lieferte sich einen kurzen Ringkampf mit Ramires, sah Gelb. Dann traf Costa und Atlético führte, 2:1 (60.). Erst Terrys Chance, dann der Gegentreffer, "das war für mich der Knackpunkt", sagte Mourinho später.

Chelsea brauchte nun zwei Tore. David Luiz köpfelte an den Pfosten. Mourinho brachte Demba Ba für Torres. Das Tor erzielten wieder die anderen, wenige Minuten später. Wieder war es Juanfran, der sich im Rücken von Chelseas Abwehr davonstahl, diesmal wählte er Turan als Passempfänger aus. Der traf erst den Pfosten, dann schob er den Abpraller ins Tor (70.).

Chelsea brauchte nun drei Tore. Aber Chelsea war müde, sie pressten, aber sie wirkten dabei so begeistert wie eine Schulklasse im Heimatkundemuseum. Mourinho beglückwünschte Kollege Simeone - zehn Minuten vor Schluss. Atlético erntete nun den Lohn dafür, dass es Chelsea meisterhaft zerlegt hatte, die Gäste pressten und kombinierten durch die immer größer werdenden Räume. Es war ein Tanz in den Mai, ein Tanz ins Finale von Lissabon. Dort kann Atlético 40 Jahre nach dem verlorenen Endspiel gegen den FC Bayern endlich die wertvollste Trophäe im europäischen Fußball gewinnen.

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