Champions-League-Achtelfinale:Barça auf der Couch

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Lionel Messi steht mit dem FC Barcelona in der Champions League vor dem Aus. (Foto: dpa)

Kein Titel ist dem FC Barcelona derzeit so wichtig wie die Gesundheit seines an Krebs erkrankten Trainers Tito Vilanova. Doch nun droht das Champions-League-Aus - und das Bekenntnis wird von der Frage überlagert, ob die Jahre der Dominanz vorbei sind.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Und es kam der Tag, da sich der große, mächtige FC Barcelona in Selbsthypnose, ja in Selbstüberlistung übte: "la remontada". Kein Wort konnte man in Barcelona vor dem Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen den AC Mailand an diesem Dienstag im Camp Nou öfter hören als dieses, wie ein Mantra: "la remontada" - die Aufholjagd, die Wiederbesteigung des Olymps. Es ist ein steiles Unternehmen nach dem 0:2 im Hinspiel. Fürs Weiterkommen bräuchte es ein 3:0, ein 4:1, ein 5:2 - ein großes Spiel gegen einen großen Gegner. Doch ist Barça dazu fähig? Sind die Selbstzweifel nicht zu drückend?

Allein schon in der Frage hallt der Beginn einer Zeitenwende wider. Drei Niederlagen in zwei Wochen, zwei davon gegen Real Madrid, und schon hängen die Köpfe. Auch jener von Lionel Messi. Daran ändert auch die Tabellenführung in der Meisterschaft nichts. Dem Spiel gegen Milan kommt eine übergeordnete Bedeutung zu, fast eine historische. Denn in den Zeitungen wird die Dämmerung eines Modells verhandelt, als wär's düstere Nacht. Des Modells von Pep Guardiola, der derzeit in New York auf seinen Arbeitsbeginn im Juli beim FC Bayern wartet. Die Zeitenwende beim FC Barcelona kommt nun scheinbar plötzlich über die Stadt und den Weltfußball. Aber nur scheinbar.

Schon 2012 hat man immer wieder Gegner gesehen, die das System Barça wirkungsvoll kontern konnten, die mit Mauern und Gegenpressing den Würgegriff der Katalanen lockerten, deren ständigen Ballbesitz entkräfteten und die bescheidene Abwehr ausspielten. Das gelingt zusehends auch den kleineren spanischen Teams. Wenn Barça es dennoch schafft, ein Spiel zu entscheiden, liegt das meist am herausragenden Talent einzelner Spieler, aber nur noch selten am ganzen System. Stark ist man höchstens noch gegen die Schwachen. Gegen die Starken aber ist man nun öfter recht schwach. Und ideenlos. Unfähig, den Modus zu variieren.

Das Hinspiel in Mailand galt als Paradebeispiel. Es wurde zum schlechtesten Spiel Barças in den letzten Jahren erkoren. Am meisten schmerzte die Barcelonistas der Eindruck, dass die Lieblinge ohnmächtig vor ihrer Wirkungslosigkeit standen, mechanisch die immer gleichen Aktionen versuchten. Denkwürdig langsam, vorhersehbar, resigniert fast. Alle Trümpfe der langsam zusammengewachsenen Mannschaft, in der jeder jeden seit vielen Jahren kennt und auf dem Platz blind findet, scheinen nun Hemmnisse zu sein. Die Frische ist weg. Nicht nur die körperliche, auch die mentale. Dani Alves, der brasilianische Rechtsverteidiger, sagte jüngst: "Unseren Zauber haben wir nicht verloren, aber unsere Intensität schon, unseren Hunger."

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Die große Stärke von Guardiolas Barça (2008 bis 2012), mit 14 Titeln das erfolgreichste Barcelona der Historie, war, dass die Mannschaft mit schier diabolischer Obsession jedem Ball nachjagte, den sie verloren hatte, und so dem Gegner die Luft zum Atmen nahm. Drei Sekunden: Länger sollte der Gegner den Ball nie am Stück haben dürfen. Dafür brauchte es eine perfekte Form, einen ständigen Biss. Nun sind es nicht mehr drei, sondern eher mal fünf, sechs Sekunden. Und diese Zeit reicht Real oder Milan, um Barça zu kontern. Früher standen die katalanischen Linien näher beieinander, bildeten ein Netz im Mittelfeld. Nun fehlt die Kraft, was ja verständlich ist nach einer so langen Dominanz. Es fehlt aber auch der Glaube an sich. Und vor allem fehlt es an einem Leader, der in der Baisse den Glauben stärken, die Köpfe aufrichten könnte.

Der Verein liegt auf der Couch. In den Zeitungen werden Psychoanalytiker dazu befragt, wie schwer die Absenz des krebskranken Trainers Tito Vilanova auf der Mannschaft lastet, dieses Machtvakuum an der Spitze. Seit dem 21. Januar ist Vilanova in New York zur Therapie, der Verein will auf seine Rückkehr warten, koste es, was es wolle. Wenn alles gut geht, sollte Vilanova im April zurück in Barcelona sein, vielleicht sogar bei der Arbeit. Nichts sei wichtiger als Titos Gesundheit, sagt Präsident Sandro Rosell, kein Titel, keine Trophäe. Es war ein schönes, emotionales Bekenntnis. Doch es gibt auch Kritiker dieser Strategie in der Not, solche, die sagen, dieses Team brauche einen starken und präsenten Coach, einen Hoffnungsstifter.

Interimstrainer Jordi Roura steht in einem Machtvakuum. (Foto: AFP)

Übernommen hat Vilanovas Vize und Freund Jordi Roura. Er leitet für ihn das Training, sitzt für ihn auf der Bank, redet für ihn. Die beiden telefonieren ständig, auch während der Spiele läutet das Handy. Eine Standleitung nach New York. Roura sagt, er entscheide nichts, alles liege beim Cheftrainer. Doch kann das funktionieren: das Telefonmanagement einer Fußballmannschaft? Wie motiviert man ein Team, wenn man es nicht vor sich hat, wenn man die Gesichter der Spieler nicht sieht?

Roura hat keine Autorität über die Mannschaft. Bis vor kurzem war er noch zuständig dafür, die Spiele der künftigen Gegner auf Video aufzunehmen und dann vorzuführen. Zu Zeiten Guardiolas, als Vilanova die Nummer zwei war, war er die Nummer drei oder vier. Nun muss er die Nummer eins geben und tut dies aus Rücksicht eher widerwillig, wie ein wandelndes Understatement. Motivation geht anders.

Von Guardiola ist bekannt, dass er seine Spieler unter Dauerstrom setzte, damit ihre Intensität nicht schwand. Gerade vor wichtigen Spielen. Er ging dabei sehr weit, kritisierte hart, scheute auch den Clash mit den Stars nicht, um sie aus der Lethargie der Erfolgsverwöhntheit zu wecken. Unter Vilanova wurde alles viel harmonischer, menschlich jedenfalls. Man hört, Tito habe nie je Streit mit seinen Spielern, werde nie laut. Seine Autorität bezieht er aus seiner taktischen Expertise. Vilanova war schon als Nummer zwei die eigentliche, spielakademische Referenz, schon unter Guardiola also. Roura dagegen ist weder ein Manipulator der Köpfe wie Pep noch ein Professor des Spiels wie Tito.

Und auch das Team hat keinen wahren Leader hervorgebracht, der die Absenz von Vilanova kompensieren könnte. Weder Puyol, noch Xavi, noch Iniesta, noch Messi. Sie sind es gewohnt, dass man sie führt. Die Spannung ist weg, der Drive, der Hunger. Es bräuchte jetzt eine "remontada" gegen Milan, einen epischen Sieg, um die Zweifler zum Schweigen zu bringen und die Dämmerung des Modells zu verzögern.

© SZ vom 12.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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