Dortmunder 4:3-Sieg:Viel aufzuarbeiten nach dem Spektakel-Sieg

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Keine Erfrischung: Erling Haaland bejubelt einen seiner Treffer, Jude Bellingham fängt einen Becher, der von der Tribüne geflogen kommt. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Der BVB schlägt Bayer Leverkusen nach drei Rückständen imit 4:3. Trainer Marco Rose interpretiert den Erfolg als Beleg für die "Offensiv-Qualität" seiner Mannschaft - doch die vielen Gegentore stören die Freude.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Auf die Frage nach einem aus der Erfahrung durchaus zu erwartenden Spektakel hatte der Leverkusener Trainer Gerardo Seoane vor dem Spiel im Sky-Interview noch demonstrativ abgewinkt. Bei einem Spektakel fielen bekanntlich auch zu viele Gegentore, sagte er. Und die Frage nach einem erwartbaren Spektakel hatte auch der Dortmunder Trainer Marco Rose abschlägig beantwortet. Für Trainer sind Spektakel meist eine Häufung ärgerlicher Fehler. Aber es gibt nun mal diese Spiele, die auf ein Spektakel geradezu hinauslaufen müssen. Und Bayer Leverkusen gegen Borussia Dortmund ist so ein Duell. Am Samstag gab es dafür den nächsten Beweis.

Im Januar 2015 war dieses Duell letztmals torlos ausgegangen. Seither waren in zwölf Aufeinandertreffen 49 Tore gefallen. Am Samstag kamen sieben Tore hinzu: 98 adrenalingeladene Minuten Fußball, sieben Tore (plus ein zurückgenommenes), sieben gelbe Karten, drei Rudelbildungen und eine blutige Nase, die die Sache am Ende entschied. 17 605 Zuschauer waren froh, dass es am Ende doch wieder ein Spektakel geworden ist, die Dortmunder Fans ein bisschen mehr als die Leverkusener.

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Drei Mal (1:0, 2:1, 3:2) und insgesamt 48 Minuten lang hatten die Leverkusener geführt, ehe Dortmund in der 71. Minute durch ein spektakuläres Freistoß-Tor von Raphael Guerreiro zum dritten Mal ausglich und ehe sich in der 77. Minute jene spektakuläre Szene ereignete, die dieses für ein Unentschieden prädestinierte Spiel mit 4:3 (1:2) für Dortmund entschied.

Leverkusens Innenverteidiger Odilon Kossounou und Dortmunds Angreifer Marco Reus liefen im Strafraum einem ins Leverkusener Tor-Aus rollenden Ball hinterher. Eine Dortmunder Torchance konnte sich so nahe der Torauslinie nicht mehr ergeben. Die beiden Spieler hatten je einen Arm ineinander verhakt, als im letzten Moment Kossounous linker Unterarm nach oben schnellte und Reus im Gesicht traf.

"Er hat mich getroffen. Es tat weh. Der Schiedsrichter hat's gepfiffen, also war es ein Elfmeter", sagt Reus zur entscheidenden Szene

Das Ganze war offenbar zu schnell gegangen, als dass Schiedsrichter Daniel Siebert es hätte sehen können. Reus lag im Toraus und hielt sich das Gesicht. In Sieberts Ohr meldete sich der Video-Referee Christian Dingert, um ein Foul zu vermelden. Die Kamera, die an Reus heranzoomte, zeigte Blut an der Nase des BVB-Kapitäns. Im TV-Interview hinterher trug Reus ein Pflaster vom Nasenrücken über den Nasenflügel, unterhalb dessen getrocknetes Blut zu erahnen war.

"Er hat mich getroffen. Es tat weh. Der Schiedsrichter hat's gepfiffen, also war es ein Elfmeter", sagte Reus unaufgeregt. Der klar erkennbare Schlag und das Blut in Reus' Gesicht waren Indizien dafür. Sky-Experte Dieter Hamann im TV-Studio zeigte sich allerdings aufgebracht und nannte die Entscheidung empört falsch, "weil die Handbewegung ins Gesicht unabsichtlich war".

Den aus der Szene hervorgegangenen Elfmeter verwandelte Erling Haaland zum 4:3-Endstand. Zuvor hatte er per Kopf bereits das zwischenzeitliche 1:1 erzielt. Haaland hat in 47 Bundesligaspielen für den BVB nun 45 Tore erzielt und in 65 Pflichtspielen für Dortmund 65 Tore. Gesprächsthema Nummer eins war er diesmal nach dem Spiel allerdings nicht.

"Ein sehr, sehr wildes Spiel, ein Spektakel", beschrieb Rose an seinem 45. Geburtstag den Sieg seiner Mannschaft. Drei Gegentreffer und damit schon neun in den ersten vier Ligaspielen gefielen dem Dortmunder Trainer gar nicht. "Das ist too much", sagte er. "Wir haben über ein paar Dinge zu reden."

"Ein tolles Spiel für die Zuschauer", nannte Seoane das Ereignis. "Genau dafür lieben wir diesen Sport - aber wir Trainer haben nach so einer Partie viel aufzuarbeiten." Ärgerlich fand der Schweizer, "nach drei Führungen am Ende mit leeren Händen dazustehen." Über die Elfmeterentscheidung äußerten sich beide Trainer betont moderat. "Wir akzeptieren es", sagte Seoane. "Als Fan mag man es falsch empfinden, dass in so einer Szene auf Elfmeter entschieden wird", sagte Rose ruhig, "aber die Regeln geben es her."

Ein Tor von Jude Bellingham wird nach langer Überprüfung zurückgenommen

Begonnen hatte das Spiel aus Dortmunder Sicht eher unruhig und aus Leverkusener Perspektive typisch: Als Florian Wirtz in der 9. Minute nach einem von aggressivem Pressing erzwungenen BVB-Ballverlust die 1:0-Führung für Leverkusen erzielte hatte, war dies im vierten Saisonspiel bereits das sechste Bayer-Tor in der ersten Viertelstunde. Mit der Fußspitze drückte er den Ball ins rechte Tor-Eck.

Zwei Flanken vom aufgerückten Dortmunder Rechtsverteidiger Thomas Meunier ließen Schwarz-Gelb dann erstmals strahlen. Beim 1:1 per Kopf in der 37. Minute übersprang Haaland den mit der Schwerkraft kämpfenden Kossounou. Das nahezu identische 2:1 nur zwei Minuten später, bei dem nach Meunier und Haaland noch Jude Bellingham mit dem Kopf am Ball war, wurde nach langer Überprüfung zurückgenommen, da zuvor Dortmunds Mahmoud Dahoud Leverkusens Moussa Diaby gefoult hatte.

Die Gunst nutzte in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit Patrik Schick zur Leverkusener 2:1-Pausenführung. Nach einem Ballverlust von BVB-Zentralverwalter Julian Brandt überbrückte der Eroberer Kerem Demirbay mit einem sofortigen langen Ball das Mittelfeld und fand mit Wirtz jenen Spieler, der dann Schick auflegte.

Brandt wusste sich kurz nach der Pause mit dem 2:2 in der 49. Minute für seinen Ballverlust zeitnah zu rehabilitieren. Doch das neuerliche Remis währte nur sechs Minuten. In der 55. Minute brachte Diaby die Leverkusener wieder in Führung - zum dritten Mal. Die Dortmunder hätten nun resignieren können, "aber dass wir es noch gedreht haben", freute sich Rose, "spricht für die Offensiv-Qualität und die Mentalität meiner Mannschaft". Mit diesen Schlüsselqualifikationen haben sie das Spektakel vollendet.

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