BVB im Pokalfinale:Viel Euphorie - und ein kleiner Seitenhieb gegen Tuchel

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Pokalfinale erreicht: Trainer Thomas Tuchel (l.) freut sich über den Sieg des BVB in München. (Foto: dpa)
  • Nach dem Sieg gegen den FC Bayern im Halbfinale des DFB-Pokals feiern die Dortmunder ihren Verteidiger Sven Bender.
  • Der Triumph soll nun am 27. Mai mit einem Sieg gegen den Außenseiter Eintracht Frankfurt her.
  • Doch eine Aussage von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke deutet an, dass das Verhältnis zu Trainer Thomas Tuchel noch immer angespannt ist.

Von Freddie Röckenhaus

Sven Bender hat selten die Gelegenheit, sich für eigene Tore feiern zu lassen. An diesem Abend aber, klitschnass vom eisigen Regen in Münchens Arena, durfte sich "Manni", wie ihn alle Welt ruft, als Matchwinner fühlen. Wegen einer Grätsche, die das 3:1 durch Arjen Robben verhinderte. Eine Rettungsszene wie ein eigener Torschuss, der Anfang vom Ende für den FC Bayern. Fünf Minuten später köpfelte Benders Kollege Pierre-Emerick Aubameyang Dortmunds Ausgleich zum 2:2. Das Spiel kippte, das Spiel drehte sich. Und gefeiert wurde hinterher Sven Bender.

"Wenn er keine Lust hat, den Ball zu halten, dann bin ich halt mal da", flachste Dortmunds bayerischer Abräumer in Richtung des Torwarts Roman Bürki, der neben ihm stand - und der die Szene mit einem Harakiri-Pass auf David Alaba erst heraufbeschworen hatte. "Da nehm' ich auch in Kauf, dass ich meinen Fuß mal länger machen muss, als er ist", scherzte Bender, von dem es wegen seiner häufigen Verletzungen heißt, dass er auf jeden Rücksicht nehme, außer auf den eigenen Körper.

Aber dann gab Bender doch zu: "Ich muss mir die Szene, ehrlich gesagt, selber noch mal anschauen. Ich hab' den Überblick verloren, ich wusste gar nicht, wo der Ball hingegangen ist. Dann hab' ich das Geräusch vom Pfosten gehört und dachte: Gut, dann ist der Ball wohl nicht drin." Tatsächlich, da waren sich alle Schwarz-Gelben einig, hing Dortmunds vierter Einzug in Serie ins Pokalfinale an dieser Szene mit Benders Teleskop-Fuß. Selbst die Tore von Marco Reus, Aubameyang und Ousmane Dembélé wurden weniger gewürdigt.

Die sechste Saison in Folge, die mit einem Finale endet

In den Minuten nach dem Sieg, nachdem eilig Bier in die Kabine geschafft worden war, nicht nur für die Bayern und Westfalen im Dortmunder Team, schien für eine Weile fast jeder Gedanke an den Bombenanschlag auf den BVB-Teambus verdrängt zu sein. Auch Manager Michael Zorc mochte nur indirekt daran erinnern: "Wenn eine Mannschaft mal ein bisschen Glück verdient hat, dann ist es sicher unsere, nach dem, was sie die letzten beiden Wochen erlebt und durchgemacht hat." Den vereitelten Robben-Schuss nannte Zorc im Überschwang eine "tausendprozentige Chance". Dortmund rannte allerdings auch kollektiv beeindruckende 123 Kilometer und setzte damit unter anderem die eigene Physis und Jugend gegen die Klasse der Bayern. Die ersten 20 und die letzten 25 Minuten gingen an Dortmund, und dies sah fast so wild und aufbegehrend aus wie in den besten Jahren der Jürgen-Klopp-Ära.

Julian Weigl, der zweite Oberbayer beim Sieger, 21 Jahre jung, beschrieb die Partystimmung so: "Die Musik ist laut, in der Kabine ging es richtig ab. Der Vorfall mit dem Bus hat uns zusammengeschweißt." Die beste Therapie für alle, die tatsächlich dabei waren, als der Sprengstoff-Anschlag die Mannschaft erschütterte, sei das Miteinander gewesen: "Wir konnten am besten untereinander darüber reden." Trainer Thomas Tuchel, der selbst zu den Betroffenen gehörte, goss es später in diese Metapher: "Solche Erlebnisse, auf die wir gerne verzichtet hätten, können auch für einen besonderen Klebstoff sorgen und schaffen mehr Vertrauen untereinander."

Ob die Euphorie des Augenblicks den Pegelstand der Trauma-Bewältigung beim BVB nicht doch ein wenig verklärte - man weiß es nicht. Fest steht, dass Borussia nun schon zum sechsten Mal nacheinander die Saison mit einer Final-Teilnahme beenden darf. Seit 2012, als Dortmund den Pokal gewann - und zugleich erstmals das Double mit der Bundesliga-Meisterschaft - haben die Borussen allerdings kein Endspiel mehr gewonnen.

2013 nicht, im Champions-League-Finale von Wembley gegen die Bayern; 2014 und 2016 nicht, als sie in Berlin jeweils gegen die Bayern verloren, beim letzten Mal erst im Elfmeterschießen. Und auch 2015 nicht, als der BVB zwar im Halbfinale in München triumphierte, dann aber das Finale gegen den VfL Wolfsburg verschenkte. Vier große Vereinsfeiern - einmal in London, dreimal in Berlin, aber seit fünf Jahren keine Siegesfeier mehr, sondern tristere Veranstaltungen.

Der Triumph soll nun am 27. Mai mit einem Sieg gegen den Außenseiter Eintracht Frankfurt her. Danach lechzt die ganze Stadt. Das gedrehte Spiel in München brachte an den Fernsehern aber offenkundig auch die halbe Fußball-Nation aus dem Häuschen. "Ich glaube, die Welt hat gesehen", meinte BVB-Chef Hans-Joachim Watzke, "was für eine Qualität der deutsche Fußball hat. Eine unglaublich starke Vorstellung von beiden Mannschaften."

Nur wenige Minuten nach dem unerwarteten Finaleinzug, um 23.33 Uhr, alarmierte der Klub seine rund 150 000 Mitglieder und 55 000 Dauerkarten-Inhaber darüber, dass die "Verlosung" der Tickets für das Olympiastadion Berlin umgehend beginne. In den vergangenen Jahren waren zum Teil mehr als zehnmal so viele Karten beim BVB nachgefragt worden, als es das Dortmunder Kontingent offiziell zulässt.

Als sich die Adrenalinspiegel wieder normalisiert hatten, kamen aber auch andere Themen wieder auf. Siegertrainer Tuchel sollte Fragen danach beantworten, ob sein Vertrag beim BVB im Falle eines Pokalsieges verlängert werde. Tuchel wich aus. "Von einem Pokalsieg sollte man so etwas nicht abhängig machen - das würde ich ablehnen." Sein Vorgesetzter, Sportchef Michael Zorc, ging der Gretchenfrage ebenfalls aus dem Weg: "Wir fahren jetzt erst einmal nach Dortmund und spielen am Samstag gegen Köln. Und dann spielen wir das Pokalfinale." Und Watzke gab die verklausulierte Antwort: "Michael und ich fühlen uns bestätigt, welches Potenzial in dieser Mannschaft steckt."

Das war offenbar als kleiner Seitenhieb gedacht. Tuchel hatte im Verlauf der bisweilen holperigen Saison nach Niederlagen, zum Beispiel in Frankfurt oder Darmstadt, seinem Kader in bisweilen harscher Diktion abgesprochen, schon für höhere Ziele tauglich zu sein. In der Beziehungskiste rumpelt es offenbar noch immer.

© SZ vom 28.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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