Zur Melodie von "Pippi Langstrumpf" wurden bereits allerlei Fußball-Fangesänge gedichtet. Am Samstag stellten die Anhänger von Borussia Dortmund in der Gästekurve der Sinsheimer Arena mit dieser bestens bekannten Tonfolge eine Schlüsselfrage - und sie beantworteten die Frage praktischerweise gleich selbst: "Wer wird Deutscher Meister? BVB, Borussia!"
Natürlich hatten kurz darauf auch die Reporter ähnliche Fragen an die Dortmunder Spieler und deren Trainer Edin Terzic. Denn der BVB hatte mit dem hart umkämpften, aber auch beeindruckenden 1:0 (1:0) bei der TSG Hoffenheim den neunten Pflichtspielsieg in Serie aneinandergereiht - noch nie in der Klubgeschichte startete Dortmund so gut in ein neues Kalenderjahr.
Sebastian Kehl im Interview:"Wir müssen raus aus diesem Muster"
Im Sommer wird Sebastian Kehl Sportchef bei Borussia Dortmund. Er erklärt, welche Schwierigkeiten der BVB auf dem Transfermarkt bewältigen muss - und warum er es für unfair hält, am FC Bayern gemessen zu werden.
In 22 Ligaspielen blieb der BVB neun Mal ohne Gegentor. Und er trat zuletzt durchgehend so stark auf wie gegen die deutlich verbesserten Hoffenheimer, die mit ihrer Leistung gegen die meisten anderen Ligakonkurrenten wohl gewonnen hätten. In der harten Realität haben sie aber weiterhin null Punkte unter dem neuen Trainer Pellegrino Matarazzo und stecken daher tief im Tabellenkeller fest.
Ganz anders der BVB, er hat nun 46 Punkte eingesammelt. Da muss man keine schwarz-gelbe Brille aufhaben, um sich vorstellen zu können, dass Dortmund erstmals seit 2012 wieder Meister werden könnte. Die Erinnerungen an damals hatte Sportdirektor Sebastian Kehl im Kopf, als er spätabends im ZDF Vergleiche zog. In der Double-Saison 2011/12, als Kehl noch Kapitän war und die Schale hochstemmte, habe man in der Rückrunde kein einziges Spiel verloren: "Wenn uns das jetzt in dieser Serie auch gelingen sollte, dann könnten solche Bilder wiederkommen", weiß Kehl.
Beim BVB ist aktuell vieles erstaunlich in der Bundesliga
Das ist umso erstaunlicher, weil Dortmund in der Anfangsphase der Saison sechs Spiele verloren hatte, unter anderem gegen Bremen, Köln und Wolfsburg. Angesichts der offensiven Wucht, die der BVB seit Wochen auf den Platz bringt, wirken die Erinnerungen an den mauen Saisonbeginn fast schon surreal. Und ein mindestens ebenso wichtiger Faktor bei den vormals so wankelmütigen Borussen: Die Defensive kommt seit Wochen ohne Konzentrationsmängel aus und überzeugte auch im Kraichgau. Erneut schaffte der konstant starke Torwart Gregor Kobel, ein Garant des Aufschwungs, einen Zu-Null-Tag.
Verklungen sind derzeit jene Mentalitätsdebatten, die jahrelang ein lästiger Begleiter des BVB waren. Stattdessen werden nun andere M-Fragen gestellt. Doch auf rhetorische Kraftmeiereien verzichteten die Dortmunder nach dem knappen Sieg. Natürlich dürften die Fans optimistische Prognosen treffen, fand Trainer Terzic: "Allerdings werden weder ich noch die Mannschaft fürs Träumen bezahlt." Auch Torschütze Julian Brandt (0:1/43.) blieb in seinem Optimismus vage: "Insgesamt passt gerade vieles. Wir nehmen den Wind mit und versuchen weiter auf der Welle zu reiten."
Eine Entscheidung bei den beiden Routiniers, so Kehl, solle nicht erst im April oder Mai fallen
Tatsächlich war die Welle ein gutes Bild, um zu illustrieren, wie sich Hoffenheims Defensive in einigen Situationen gefühlt haben muss. Dortmunds Flügelspiel war auf beiden Bahnen überragend, die rechte Seite mit Marius Wolf und Brandt harmonierte sogar noch ein bisschen besser als die linke, wo der 18-jährige Jamie Bynoe-Gittens den verletzten Karim Adeyemi hervorragend ersetzte. Satte 25 Torschüsse waren die logische Folge des Dortmunder Elans, darunter sieben, acht Chancen, die gut und gerne zu einem höheren Ergebnis hätten führen können - wenn im TSG-Tor ein schlechterer Keeper als Oliver Baumann gestanden hätte. "Wir haben heute einfach das zweite Tor vergessen, das müssen wir uns ankreiden", sagte Wolf, der über das Stimmungsbild in der Kabine dennoch berichten konnte: "Es weint keiner."
Etwas grotesk war, dass dieses tolle Spiel nicht 6:4 oder 5:3 für Dortmund endete, sondern mit einem nüchternen 1:0, bei dem Brandt einen Marco-Reus-Freistoß mit dem Rücken kurios ins Tor verlängert hatte. Die nähere Zukunft des Vorbereiters und Kapitäns Reus war eines der Themen, die am Abend noch erörtert wurden. Nach dieser Saison enden ja die Verträge der langjährigen Führungsspieler Reus und Mats Hummels. Beide werden im Sommer 34 Jahre alt sein, beide fehlen inzwischen öfter mal in der Startelf - in Hoffenheim kam Verteidiger Hummels erst in der 88. Minute aufs Feld.
Sportchef Kehl will sich zeitnah festlegen, ob mit diesen beiden höchst geschätzten Routiniers verlängert wird. Genauer gesagt, so Kehl im ZDF-Sportstudio: "Das heißt, dass wir nicht im April oder Mai Entscheidungen treffen, sondern wir werden sie früher treffen." Abzuwägen gilt es wohl vor allem zwischen den vergangenen und gegenwärtigen Verdiensten der beiden - und deren gewiss nicht niedrigen Gehältern.