Das Montagstraining von Borussia Dortmund dürfte die Anwesenden an eine Casting-Show erinnert haben. Oder ältere Beobachter an ein Scrabble: auf der Suche nach einem sinnvollen Wort, aber mit zu wenig Buchstaben. Vor dem Champions-League-Gruppenendspiel bei Olympique Marseille am Mittwoch (20.45 Uhr) ließ Trainer Jürgen Klopp bislang unbekannte Formationen durchprobieren, zum Teil von bisher wenig bekannten Spielern, mal in dieser, mal in jener Leibchen-Farbe.
"Ich brauche mir nicht zu überlegen, was wir besser machen können", hatte Klopp am Samstag, nach der frustrierenden 0:1-Niederlage gegen Bayer Leverkusen, das Wochenmotto schon ausgegeben, "bevor ich nicht weiß, mit wem ich etwas besser machen kann."
Immerhin ist das Ziel der Mission an die Mittelmeer-Küste klar: Jeder Sieg reicht. Im parallelen Gruppenspiel des SSC Neapel gegen den FC Arsenal nehmen sich die Konkurrenten um die beiden Achtelfinal-Plätze gegenseitig die Punkte weg. Natürlich hat Marseille bisher in fünf Spielen keinen einzigen Punkt geholt, natürlich sind die Franzosen im Hinspiel in Dortmund beim 3:0 regelrecht zerpflückt worden. Aber das war noch in einer anderen Saisonphase.
FC Bayern in der Einzelkritik:Viel Gedribbel um nichts
Ribéry tanzt Demichelis mit seinen Freestyle-Dribblings selten aus. Dante hämmert mit den Fäusten, dass die Locken beben. Und Neuer stellt fest, dass er als Torwart angestellt ist. Der FC Bayern beim 2:3 gegen Manchester City in der Einzelkritik.
Am 1. Oktober hatte Dortmund einen übersichtlichen Krankenstand: Gündogan, Piszczek und Kehl fehlten zwar - aber der damit verbundene Verlust von Rotation in der Knochenmühle des Spielbetriebs machte sich noch nicht so bemerkbar.
Fast zweieinhalb Monate später geht der größere Teil der Mannschaft mehr oder weniger am Stock. Und so probiert Klopp nun die letzten Möglichkeiten aus. Subotic (Kreuzbandriss), Hummels (Fersenverletzung), Schmelzer (Muskelfaserriss) fehlen in der Abwehrreihe. Auch Not-Verteidiger Sven Bender, der im letzten Champions-League-Spiel gegen Neapel (3:1) in der Innenverteidigung aushalf, fehlt mit einer Sprunggelenksverletzung. Ad-hoc-Zugang Manuel Friedrich darf aufgrund der Uefa-Regularien in der Champions-League nicht eingesetzt werden, Spielmacher Ilkay Gündogan trainiert inzwischen wieder, ist aber von einer Einsatzmöglichkeit weit entfernt.
Hoffnungen kann Klopp sich machen, dass zumindest sein anderer kreativer Sechser, Nuri Sahin, mit einem speziellen Tape am Sprunggelenk spielen kann, obwohl er sich am Samstag gegen Leverkusen das Außenband im rechten Sprunggelenk angerissen hat. Entschieden wird das aber wohl erst zwei Stunden vor Anpfiff im Stade Velodrom.
Das Herumprobieren betrifft mehrere Positionen. Die von vielen im Klub favorisierte Lösung wäre: Der 18-jährige Marian Sarr, U19-Nationalspieler und im Januar von Bayer Leverkusen mit heftigen Nebengeräuschen losgeeist, übernimmt die vakante Innenverteidiger-Position neben Sokratis. Eine Variante, die Klopp durchprobierte, ebenso wie die ganz ähnliche mit Koray Günter, 19, U20-Nationalspieler. Sarr wird als Supertalent eingeschätzt, mit ähnlichem Potenzial im Spielaufbau, wie es Mats Hummels im gleichen Alter schon demonstrierte.
Aber die Zeiten, in denen Klopp sich traute, mit 18-Jährigen eine ganze Saison zu bestreiten, scheinen vorbei zu sein. Klopp hat nicht umsonst den Veteranen Friedrich als Notnagel für die Abwehr geholt und auch eingesetzt, obwohl er sichtlich noch außer Form ist.
Deshalb könnte es gut sein, dass Klopp seine beiden Jungtalente Sarr und Günter, die sonst in der Drittliga-Mannschaft spielen, in Marseille erst mal warten lässt und stattdessen die bekannte Allzweckwaffe Kevin Großkreutz in die Innenverteidigung beordert. Großkreutz kann auch das, hat aber Schwächen im Kopfballspiel. Außerdem könnte Großkreutz dringend als Sechser benötigt werden, als Ersatzmann für Sahin, neben dem praktisch gesetzten Kehl. Denkbar wäre aber auch, dass Oliver Kirch auf der offensiven Sechs eine Chance bekommt. Seine exzellente Leistung im Pokal gegen Saarbrücken wurde viel gelobt, allerdings machte es der Drittligist den Dortmundern leicht und ließ vor allem Kirch fast widerstandslos gewähren. Marseille ist ein anderes Kaliber.
Nachwuchsmann Jonas Hofmann, der zu Saisonbeginn einige auffällige Spiele machen durfte, wäre ein anderer Kandidat, dem man spieleröffnende Pässe zutrauen kann. Er ist schnell und technisch einer der Hochbegabten beim BVB. Doch auch ihm fehlt es an Spielpraxis. Unter Sicherheitsaspekten wäre Großkreutz im Aufstellungs-Puzzle deshalb wohl Favorit. Auf der Außenposition könnte ihn der wieder einsatzfähige Piszczek vertreten.
Wenigstens im offensiven Bereich wird Klopp nicht experimentieren müssen. Auch dort macht sich allerdings die Überlastung bemerkbar. Aus Spielkombinationen heraus trifft Dortmund kaum noch, am ehesten durch Freistöße, Elfmeter oder mal nach einem Eckball.
Robert Lewandowski klagte auch am Samstag wieder, dass er von Gegenspieler Spahic eine deftige Prellung verpasst bekommen habe. Marco Reus wurde gegen Leverkusen weitgehend geschont, weil man sich von ihm entscheidende Impulse im wichtigsten Spiel der bisherigen Saison erhoffen kann. Um zu gewinnen, muss man mindestens ein Tor schießen. Nicht einmal darauf kann sich der BVB derzeit noch verlassen.
Wobei: Olympique Marseille hat am Wochenende Trainer Elie Baup beurlaubt. Und den Franzosen fehlen Spielmacher Valbuena und Stürmer Ayew. Verletzte gibt es also nicht nur in Dortmund.