Bundesliga: Wolfsburg - Gladbach:Er kann Abstiegskampf

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Der brasilianische Dribbler Diego verschießt erst den zweiten Elfmeter in Folge - und führt den VfL Wolfsburg anschließend zu einem überzeugenden Erfolg gegen Gladbach.

Jürgen Schmieder

Er schnappte sich tatsächlich wieder den Ball. Als der VfL Wolfsburg in der 28. Minute der Partie gegen Borussia Mönchengladbach einen Elfmeter zugesprochen bekam, da nahm Diego das Spielgerät und legte es behutsam auf die Markierung. Jener Diego, der vor drei Wochen seinem Kollegen Patrick Helmes den Ball stibitzt und den Elfmeter dann verschossen hatte.

Zuerst der Schock: Diego verschießt einen Elfmeter gegen Gladbach. (Foto: dpa)

Als "Diegoist" war er verspottet und von seinem Verein gar für ein Spiel suspendiert worden. Nun also gab es wieder Elfmeter, Diego trat erneut an - und schubste den Ball gefühlvoll über die Latte. Zu diesem Zeitpunkt zweifelte wohl jeder der 23.000 Zuschauer an der Entscheidung von Trainer Pierre Littbarski, den Brasilianer zur prägenden Wolfsburger Figur für den Verbleib in der Liga auszurufen. Diesen Dribbler, der es gewohnt ist, um Titel zu spielen. Kann der überhaupt Abstiegskampf?

Exakt acht Minuten später änderten 23.000 Menschen ihre Meinung, und weitere acht Minuten später waren sich 23.000 Menschen einig, dass Littbarski die beste Entscheidung seines Lebens getroffen hatte. Diego erzielte beide Treffer zum 2:1 (2:0) und unterstützte damit die Bewerbung seines Vereins für einen Verbleib in der Bundesliga.

Wer sich heutzutage bewirbt, der sollte darauf achten, dass er auf einen Auslandsaufenthalt verweisen kann, weil es laut Karriereberatern mächtig Eindruck macht auf künftige Arbeitgeber. Der Fußballtrainer Pierre Littbarski kann auf zahlreiche solcher Aufenthalte verweisen - unter anderem in Japan und Australien -, und diese Erfahrungen hat er in die Vorbereitung auf die Partie gegen Gladbach einfließen lassen. "Wir haben uns ein paar Dinge einfallen lassen", sagte Littbarski vor dieser wichtigen Partie.

Unter der Woche hatte er jedem seiner Spieler eine DVD mit den Stärken und Schwächen des Gegners überreicht - besprochen in der Muttersprache des jeweiligen Akteurs. Dazu beorderte er den verletzten Josué auf die Tribüne dorthin, wo die treuesten der Wolfsburger Fans ein Spiel verfolgen - also jene, die beim Abschlusstraining die Mannschaft begeistert gefeiert hatte. Bei jeder Übungseinheit predigte er Gelassenheit inmitten des hektischen Abstiegstrubels.

Zu Beginn des Spiels hatte man den Eindruck, als hätten die Wolfsburger Akteure die DVDs intensiv studiert. Schnell und mit wenigen Ballkontakten kombinierte sich Wolfsburg durchs Mittelfeld, hatte gefühlte 103 Prozent Ballbesitz und kam auch zu einigen Torgelegenheiten. Dieumerci Mbokani köpfte zuerst an den Pfosten (9.), schoss dann ans Außennetz (17.) und verpasste dann eine Flanke nur knapp (19.). Jan Polák scheiterte an Bailly (23.), nachdem er von Diego fein freigespielt worden war.

Überhaupt schien Diego nur auf die Ernennung zur prägenden Figur gewartet zu haben. Der brasilianische Dribbler berührte in den ersten 30 Minuten jeden Grashalm auf dem Spielfeld mindestens ein Mal, agierte auffällig mannschaftsdienlich und untermauerte seine Bereitschaft dadurch, dass er auch gegen jede Person auf dem Spielfeld mindestens ein Mal motzte.

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In dieser Drangperiode ereignete sich der Elfmeter, den Diego verschoss. Nach einer kurzen Schockstarre inszenierten die Wolfsburger wieder ansehnliche Angriffe, einen verwertete Diego nach feinem Zuspiel von Sascha Riether. Einen anderen konnten die Gladbacher nur durch ein Foulspiel an der Strafraumgrenze unterbinden, Diego schnappte sich den Ball und schoss ihn in physikalisch interessantem Bogen über die Mauer ins Tor.

Nach dem Schock die Erlösung: Diego nach seinem zweiten Treffer gegen Gladbach. (Foto: dpa)

Der erste auffällige Gladbacher in dieser Partie war übrigens Max Eberl. Der Sportdirektor sagte in der Halbzeit über die mut- und ideenlose Vorstellung der aktiven Vereinsmitglieder. "Man darf den Wolfsburgern eines nicht geben, das ist Spielfreude. Doch genau das haben wir ihnen gegeben", sagte Eberl. "Wir haben uns nicht selbst aufgestellt, sondern uns vom Gegner aufstellen lassen." Eberls Worte waren deutlich - und dennoch eine Untertreibung, weil Gladbach in der ersten Halbzeit eine eindrucksvolle Bewerbung für eine Versetzung in die 2. Liga präsentierte.

Das Problem an Eberls Worten war auch, dass er sie in eine Fernsehkamera sprach und nicht in der Kabine der Gladbacher. Vielmehr gestaltete sich die zweite Halbzeit zunächst so, als hätte jemand eine Aufzeichnung der ersten Spielhälfte in den DVD-Player gesteckt. Trainer Lucien Favre, der mit seinen euphorischen Aussagen nach dem Sieg gegen Schalke vor einer Woche noch eine Bewerbung als goldigster Trainer dieser Spielzeit abgegeben hatte, schien keine Lösung zu haben, den Wolfsburgern die Spielfreude zu nehmen.

Die Akteure des VfL Wolfsburg behielten die Kontrolle über Ball und Gegner, sie inszenierten ansehnliche Angriffe und bisweilen sah die Partie aus wie ein Duell zwischen Vätern und zehnjährigen Söhnen, bei dem die Erwachsenen sich einen Spaß daraus machen, den Nachwuchs ein wenig herumzuhetzen - es hätte nur gefehlt, dass Diego bei einem seiner Dribblings den Fans nebenbei fröhlich zugewunken hätte.

So waren es auch nicht die Gladbacher Akteure, die diese Partie spannend gestalteten, sondern ein arg optimistischer Einsatz von Riether im eigenen Strafraum. Ein Gladbacher Spieler hatte in der 73. Spielminute den Ball dorthin gebolzt, Riether stützte sich auf seinem Gegenspieler auf, was Schiedsrichter Jochen Drees als elfmeterwürdiges Eingreifen interpretierte. Filip Daems verwandelte sicher.

Tatsächlich nahm Gladbach nun teil an dieser Partie, wenn auch nur wenige Minuten lang. Marco Reus (79.) und Harvard Nordveit (82.) scheiterten mit Fernschüssen an Torwart Marwin Hitz, Martin Stranzl (84.) köpfte über das Tor.

"Es war ein besonderes Spiel für mich, eine Achterbahnfahrt", sagte Diego nach der Partie. "Zuerst habe ich einen Elfmeter verschossen und dann doch noch zwei Tore erzielt." Seine beiden Treffer widme er seinen Kollegen: "Nach dem Elfmeter haben sie mich aufgemuntert und immer wieder gesucht." Er vergaß auch nicht, seinen Trainer als "wichtigen Teil des Projekts" zu loben.

Durch den ersten Sieg für Pierre Littbarski gewinnen die Verantwortlichen in Wolfsburg wichtige Erkenntnisse: Auslandserfahrung eines Trainers schadet wirklich nicht, das Erstellen von DVDs auch nicht - und Diego kann Abstiegskampf.

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