Fußball-Bundesliga:Wundertütiges Werder Bremen

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Max, Maximilian, maximaler Erfolg: Kapitän Max Kruse und Werder-Aufsteiger Maximilian Eggestein (3. und 2. von links, beim 2:0 auf Schalke) sind Säulen des Bremer Aufschwungs. (Foto: Kurth/nordphoto)
  • Werder Bremen, zuletzt noch Abstuegskandidat, hat sich wieder in die Spitzengruppe der Bundesliga gespielt.
  • Der Plan des Vereins geht früher auf als gedacht, Werder verletzt auch ganz bewusst ein paar Gesetze der Branche.
  • Am Sonntag spielt Bremen zu Hause gegen Leverkusen (Liveticker auf SZ.de).

Von Ralf Wiegand, Bremen

Es ist schon interessant, was neuerdings wieder alles möglich ist bei diesem wundertütigen Werder Bremen. Dass die Norddeutschen, die in den letzten Jahren von der Tabellenspitze der Fußball-Bundesliga so weit entfernt waren wie die Merkur-Sonde BepiColombo von ihrem Ziel, also irgendwas um die 200 Millionen Kilometer, aktuell Tabellendritter sind, das konnte man ja noch erwarten angesichts einiger kluger Einkäufe, eines schlauen Trainers, der sehr forschen Zielsetzung und dieses im ersten Saisonviertel endlich einmal gnädigen Spielplans. Aber dass Dieter Eilts, einst Mensch gewordenes ostfriesisches Schweigegelübde, heute als eine Art Journalist den Aufstieg seines Ex-Vereins begleitet? Damit dürfte kein Experte jemals gerechnet haben.

Ist aber so. Eilts, heute 53 Jahre alt, lief bis zum Ende der Saison 2001/2002 insgesamt 390 Mal für die Bremer in der Bundesliga auf, machte 31 Länderspiele und sprach mit Journalisten früher gerne im Stile seiner rauen Heimat: Bloß kein Wort zu viel. "Und?" - "Muss ja. Selbst?" - "Hm." Solche Spieler wie der aus der Nähe von Aurich stammende Ostfriesen-Alemão waren es, mit denen erst Otto Rehhagel und später auch Thomas Schaaf als Trainer ihre Wagenburg-Strategie perfektionieren konnten. Titel gewannen sie nicht nur gegen andere Mannschaften, sondern auch gerne mal gegen die Medien. Nicht quatschen, machen. Eine Art plattdeutsches Gallien.

Aber Zeiten ändern sich, auf allen Seiten. Inzwischen sind Medien und Verein auch in Bremen mitunter schwer voneinander zu unterscheiden. Die erste Zeitung am Ort, der Weser-Kurier, beglückt seine Leserinnen und Leser täglich mit einer ganzen Seite "grün-weißer Berichterstattung", wie das in der Selbstdarstellung dann heißt. Drüber steht nicht mehr wie über anderen Sportteilen "Sport", sondern "Mein Werder" - so heißt die Redaktion, so heißt auch die gleichnamige App des Hauses. Ein gutes Dutzend von Reportern, Analytikern, Produzenten und Social-Media-Spezialisten begleitet die Geschicke des wichtigsten Sportvereins am Ort, in Wort, Bild und Emojis.

Sammer sagt, Kohfeldt sei ein "wunderbarer Trainer"

Einer von ihnen ist seit ein paar Wochen eben auch Dieter Eilts, bis zum Sommer noch Leiter der Werder-Fußballschule, Ehrenspielführer und Vereinslegende. Als fester freier Mitarbeiter nimmt er an Redaktionskonferenzen teil, kommt zwei Tagen die Woche ins Büro und hinterlässt dort seine "Analysen und Einschätzungen", wie der Weser-Kurier anlässlich des spektakulären Transfers Mitte Oktober "ein wenig stolz" mitteilte.

Es ist wirklich nicht wiederzuerkennen, dieses Bremen. Jener Klub, der bis in die späten Nullerjahre noch ein echter Bayern-Jäger gewesen war, also lange bevor dieser Titel wie heute spöttisch von Spieltag zu Spieltag weitergereicht werden musste, steht jetzt wieder einmal nicht nur vor den Münchnern, sondern auch in allen Schlagzeilen. Sämtliche Fachpublikationen haben sich daran abgearbeitet, wie nachhaltig der Aufschwung an der Weser sein könnte, woher er kommt und wohin er führen wird. TV-Experten erliegen reihenweise dem Spiel der Bremer Mannschaft und vor allem deren jungem Trainer Florian Kohfeldt.

"Er ist ein wunderbarer Trainer", schwärmt etwa Matthias Sammer für Eurosport, Lothar Matthäus empfahl sogar schon dem karrieregeknickten Weltmeister Mario Götze einen Winterwechsel nach Bremen, während Sky-Fachmann Dietmar Hamann bereits vergangene Saison staunte: "Ich weiß nicht, ob es das überhaupt schon einmal gegeben hat. Da sagt einer: Ich mache jetzt nicht hinten die Schotten dicht, sondern habe das Vertrauen in die Spieler, dass wir spielerische Lösungen finden. Das ist etwas Außergewöhnliches. Es macht einfach Spaß, Werder zuzuschauen."

Damals hatte Kohfeldt, 36, die Mannschaft nach dem zehnten Spieltag mit fünf Punkten übernommen und für Bremer Verhältnisse früh ins gesicherte Mittelfeld geführt. Heute hat Werder nach acht Spielen 17 Punkte. In der jungen Kohfeldt-Ära, saisonübergreifend seit November 2017, weisen nur der FC Bayern und Borussia Dortmund mehr Punkte auf als die Bremer, die zudem seit 16 Heimspielen unbesiegt sind, länger als alle anderen Teams.

Gemessen an den allermeisten Bundesligavereinen, die ihre Zielsetzung am liebsten am untersten Ende der Erwartung andocken, sie möglichst unverbindlich formulieren und stets auf die Stärke der anderen verweisen, sind die Bremer fast unverschämt selbstbewusst. Ohne überhaupt zu wissen, wie sie in die erste komplette Saison unter Kohfeldt starten würde, hatte sich die Mannschaft schon auf das Ziel Europapokal geeinigt - und der Verein ließ sie gewähren. "Hilfe, wir haben Werder Bremen geschrumpft": Diese Jahre der Miniaturisierung des viermaligen Meisters sollen vorbei sein, und das soll auch jeder wissen dürfen. So etwas traut sich in der ängstlichen Branche außer den genetisch gierigen Bayern und Hoffenheims Ich-will-verlieren-niemals-lernen-Trainer Julian Nagelsmann kaum jemand.

Die Rechnung der Bremer, den Verein ruhig und gelassen umzubauen, während die Mannschaft Jahr für Jahr ums sportliche Überleben kämpfte, scheint nun früher aufzugehen als gedacht. Die Köpfe dahinter sind Marco Bode, seit Oktober 2014 Vorsitzender des Aufsichtsrats bei Werder, und Frank Baumann, Sportdirektor seit Mai 2016. Die beiden vor allem haben sich die moderne Version des alten SV Werder ausgedacht, für den sie selbst gespielt haben. Eines Vereins also, der stets ein Nischenprodukt war: Er stand für Kontinuität, kreative Transfers, Jugend, aber auch für attraktiven Fußball, politische Haltung, gepflegte Fankultur. All das ist nach mageren Jahren wieder so - was noch fehlt zum Werder reloaded, ist der Erfolg.

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Pizarro verändert jedes Spiel durch schiere Präsenz

Wie der zu erreichen ist? Als hätte er einen der im Internet verfügbaren Tabellenrechner bemüht, kalkulierte Kapitän Max Kruse nach dem jüngsten 2:0 auf Schalke die nahe Zukunft: Den gerade geschlagenen Gegner habe man elf Punkte auf Abstand gebracht, "wenn wir gegen Leverkusen gewinnen, wären es zwölf Punkte auf Bayer" - zwei Teams also, die Werder nun zu den Konkurrenten zählt, und nicht mehr Augsburg, Mainz oder Freiburg.

Kruse selbst, der einst wegen ein paar Egoismen außerhalb des Platzes aus der Nationalmannschaft eliminiert worden war, empfiehlt sich längst wieder als absoluter Teamspieler für den Kader von Jogi Löw. Um den Bremer Schlüsselspieler herum ist in nicht einmal einem Jahr eine Elf entstanden, die keinen Gesetzen der Liga folgt - eben wieder ein echtes Nischenprodukt. Die x-te Heimkehr des 40-jährigen Angreifers Claudio Pizarro etwa, als PR-Gag belächelt, hat sich spätestens in dem Moment in ein Fußball-Märchen verwandelt, als der Peruaner beim 2:0 gegen Wolfsburg die Vorlage zum ersten Bundesligatreffer des exakt halb so alten Johannes Eggestein gab. Pizarro verändert jedes Spiel durch schiere Präsenz. Den 30-jährigen Dortmunder Nouri Sahin als Backup für die verletzungsanfällige Mannschaftsstütze Philipp Bargfrede zu verpflichten: ein Wagnis. Werder holte Osako und Rashica, Harnik und US-Talent Sargent, sammelte also Offensivspieler wie andere Panini-Bildchen. Riskant.

Aber offenbar folgte das alles einem großen Plan. Veredelt durch den Königstransfer, den Niederländer Davy Klaassen vom FC Everton, an dessen Seite das klubeigene Talent Maximilian Eggestein, 21, bereits jetzt eine Traumsaison spielt, verfügt Werder heute über den Kader mit der zweitgrößten Bundesligaerfahrung und dem zweithöchsten Durchschnittsalter hinter Bayern. Kaum jemand vermisst noch die Personality, die durch die Abgänge von Zlatko Junuzović und Thomas Delaney im Sommer verloren ging.

Und Trainer Kohfeldt? Gelingt bisher perfekt die Moderation dieses ungewöhnlichen Ensembles, das einem schon zu Rehhagels Zeiten geprägten Motto zu folgen scheint: Es gibt keine alten oder jungen Spieler, nur gute und schlechte. Dieter Eilts wird das bei Gelegenheit seinen Bremer Lesern bestimmt erläutern.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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