Neues Stadion in Freiburg:Willkommen im Freizeitpark!

Lesezeit: 4 min

Stammplatz Strandkorb: 16 Jahre lang war das Dreisamstadion die Heimat von Trainer Volker Finke (links, mit Assistent Achim Sarstedt). (Foto: Ulmer/Imago)

Tabellenvierter sind die Freiburger schon - wie soll das erst werden, wenn sie sich künftig auch noch vernünftig umziehen können? Am Wochenende spielt der SC Freiburg erstmals in seinem neuen Stadion - und vermisst das alte schon jetzt.

Von Ron Ulrich, Freiburg

Christian Streich sieht endlich wieder Licht. Der Trainer des SC Freiburg nannte seinen alten Arbeitsplatz im Dreisamstadion liebevoll "Höhle". "Wir hatten 365 Tage die Lampe brennen, weil kein Licht reinkam", hat er kürzlich erzählt. Mit Streichs Höhle ist es nun vorbei, nach 67 Jahren hat der SC das Dreisamstadion verlassen. An diesem Samstag beziehen die Freiburger im Heimspiel gegen RB Leipzig ihre neue Arena. 76 Millionen Euro hat sie gekostet, drei Jahre dauerte der Bau. Besondere Merkmale sind die diagonalen Zugstützen rundherum und die stattliche Anzahl von immerhin einem Drittel Stehplätzen. So viel Platz wird den Fankurven in den hochmodernen Arenen selten zugestanden, im wörtlichsten Sinne.

Leise war er nie: Christian Streich, rechts, im Mai 1988 in einem Zweitliga-Spiel gegen die Stuttgarter Kickers (links Demir Hotic) im Dreisamstadion. Seit bald zehn Jahren ist Streich, 56, Cheftrainer beim SC. (Foto: Herbert Rudel/Sportfoto Rudel/Imago)

Insgesamt passen 34 700 Zuschauer ins neue Stadion, gut 10 000 mehr als bisher. Es kommt also auch mehr Geld in die Kassen, vor allem durch die neuen Logen stützt der SC seine finanzielle Wettbewerbsfähigkeit. Aber so ganz können sich viele Freiburger noch nicht von ihrer bisherigen Heimat lösen. Streich sagt, er freue sich zwar, aber vermisse das alte Stadion schon jetzt. Und er teilt mit vielen die Befürchtung, dass das neue Licht zu grell sein könnte. Als wäre Freiburg dann weniger Big Lebowski, jene kiffende Filmfigur, dem die Fans 2015 in einer Choreografie huldigten, dafür mehr Big Business.

Die Freiburger hoffen, dass sie in den Umzugskartons auch eine besonders fragile Fracht mit hinüber retten: ihre Demut und Bescheidenheit. Denn diese Tugenden lehrte allein schon die Beschaffenheit des alten Dreisamstadions. Der SC spielte dort schließlich mit einer Sondergenehmigung.

Unvergessen: Achim Stocker war 37 Jahre lang Präsident des SC Freiburg. 2009 starb er mit 74 Jahren. Zum Anlass seines zehnten Todestages ehrten die Fans im Dreisamstadion ihn mit einer Choreografie. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Der Platz wirkte eher quadratisch, war kürzer als erlaubt und wies ein Gefälle von 1,08 Metern auf. Das brachte so manchen großen Gegner aus der Fassung. Max Eberl, Gladbachs Manager, freut sich jedenfalls über den Auszug aus dem Dreisamstadion, konnte er doch während seiner 13-jährigen Amtszeit kein einziges Mal in Freiburg gewinnen. Selbst Lothar Matthäus wütete einst, die Bayern könnten die Punkte gleich nach Freiburg rüberschicken.

Fliegende Golfbälle und einen Trainer im Strandkorb: Das alte Stadion hinterlässt historische Bilder

Wie das putzige Freiburg zum Schreckensort für die übermächtigen Bayern wurde, kann Martin Spanring erklären. Der Verteidiger lief Anfang der Neunziger drei Mal über die volle Distanz gegen den Rekordmeister auf und gewann drei Mal hintereinander, Torverhältnis 11:3. "Wir brauchten keine Motivation mehr", sagt er rückblickend, "da ist jeder für den anderen gelaufen. Einige Jungs sind mit dem Fahrrad zum Spiel gekommen, wir waren eins mit der Stadt und dem Stadion." Wie eins sie mit der Stadt waren, zeigte sich am Vorabend des legendären 5:1-Siegs gegen die Bayern im Jahr 1994: Spanring zog mit seinem Kollegen Jens Todt um die Häuser, und Trainer Volker Finke gesellte sich sogar noch dazu. Finke ließ ihnen zusammen mit dem damaligen Keeper Jörg Schmadtke auch ihr spezielles Regenerationsprogramm nach dem Spiel: eine Kippenrunde im Raum des Zeugwarts.

Der schärfste Schütze im Schwarzwald: Seit 2014 knipst Nils Petersen für den SC. Mit 30 Treffern als Einwechselspieler ist er der torgefährlichste Joker der Liga-Geschichte. (Foto: G. Hubbs/Beautiful Sports/Imago)

Nobelpreisträger Günter Grass rauchte damals auf der Tribüne lieber Pfeife, zu Zeiten, als der Butt eher als elfmeterschießender Torwart bekannt war. Und Nils Petersen erzählte kürzlich, dass er beim Aufwärmen schon mal den Geruch von Gras in der Nase gehabt hätte - und meinte damit nicht den Untergrund.

Wo Stürmer nur eine Jointwolke von den Zuschauern entfernt zum besten Joker der Bundesliga aufstiegen, kam die Bundesliga ungewohnt basisnah daher. Daran hat sich seit den Neunzigern wenig verändert. "Es gibt hier keine große Distanz zu den Spielern", sagt Martin Spanring. "Die Freiburger Spieler bewegen sich wie wir früher ganz normal in der Stadt - und genau deswegen sorgt das auch nicht mehr für Aufsehen." Er selbst begrüße in seinem neuen Job in der Geschäftsleitung eines nahe gelegenen Freizeitparks regelmäßig auch aktuelle Spieler, sagt er, die zusammen mit ihren Familien gemeinsame Ausflüge unternähmen. Dabei wollte Spanring eigentlich nichts mehr mit dem Fußball zu tun haben.

April 2001 im Freiburger Stadion: Bayern-Torwart Oliver Kahn wurde von einem Golfball am Kopf getroffen. (Foto: Pressefoto Baumann/Imago)

Als er im Jahr 2000 in der Türkei mit der Vereinsführung seines Klubs Bursaspor über die Auszahlung seines Lohns stritt, wurde er erst in der Stadt auf offener Straße zusammengeschlagen und wenig später zu Hause von Männern mit Baseballschlägern aufgesucht. Spanring raste dann im Auto über Griechenland zweieinhalb Tage lang nach Hause, ins heimelige Freiburg. Es war das Ende seiner Profi-Karriere. Über den SC hatte er aber den Chef des Freizeitparks kennengelernt, der ihm eine Stelle anbot. Nach 14 Jahren als Zuständiger im Bereich Sport, VIP-Management und Events kommt er nun auf einem Umweg doch wieder zum Fußball zurück. Denn das neue Freiburger Stadion ist nach ebenjenem Freizeitpark benannt, Spanring organisierte die Zeremonie bei der Eröffnungsfeier. "Das Stadion ist Wahnsinn", sagt er, "es ist wie eine Festung gebaut. Durch den Hall kann es wie in Dortmund eine Freiburger Wand geben."

"Wir fühlen uns jetzt wie Profis", sagt Nils Petersen

Wenn der SC nun umzieht, nimmt er aus dem alten Stadion viele berühmte Bilder mit: den Golfballwurf auf den Bayern-Torwart Kahn, den Trainer Finke im Strandkorb, die Aufstellungsbögen mit zahlreichen Spielern mit der Nachsilbe "-wili". Worüber der Trainer Streich nicht so gern spricht, ist der Tabellenplatz der Gegenwart, der SC zieht ja tatsächlich als Tabellenvierter ins neue Quartier. Selbstverständlich wird Streich jede Champions-League-Träumerei missbilligen, seine Spieler dagegen klingen durchaus selbstbewusst, der Verteidiger Nico Schlotterbeck sagt es so: "Wir wollen uns oben festbeißen." Tatsächlich haben die Freiburger die Band in diesem Jahr weitgehend zusammen gehalten, zudem rücken Talente wie U21-Nationalspieler Kevin Schade nach; auch die zweite Freiburger Mannschaft entsandte gleich zehn Spieler zu Auswahlmannschaften. In dieser Saison stellt der SC bislang das einzige ungeschlagene Team und die beste Defensive der Bundesliga.

Neue Entertainment-Welt: Zur Eröffnung des "Europa Park Stadions" spielte der SC am 7. Oktober gegen den Zweitliga-Spitzenreiter FC St. Pauli. Der Bundesligist gewann zum Einstand 3:0. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Was soll da erst werden, wenn sie sich jetzt auch noch vernünftig umziehen können? Nils Petersen sagte nach dem Eröffnungsspiel im neuen Stadion über die hochmodernen Kabinen: "Wir fühlen uns jetzt wie Profis." Nur um gleich darauf wieder ein bisschen Nostalgie über die alte Höhle zu bemühen: "Das alte Stadion war aber auch schön urig." So pendelt Freiburg noch zwischen urig und modern, zwischen Realo und Fundi. Die aktive Fanszene benennt die neue Heimat jedenfalls nicht nach dem Freizeitpark. Sie sagt einfach "Mooswaldstadion".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Freiburgs Christian Streich
:"In diesem Fall ist das ja unfassbar"

Der Trainer des SC Freiburg kritisiert die Übernahme des englischen Klubs Newcastle United durch ein Konsortium mit saudischer Beteiligung scharf - und hält ein Plädoyer für die Bundesliga.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: