Bundesliga vs. Premier League:Beim Gott des Geldes

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Leroy Sané. (Foto: Shaun Botterill/Getty Images)

Die Handelsbeziehungen zwischen der Bundesliga und der Premier League sind so intensiv wie nie zuvor. Es kommt zu klugen Transfers, geheimen Funden - und völlig überteuerten Spielern.

Von SZ-Autoren

"Unbedingt" wolle der FC Bayern Callum Hudson-Odoi, 18, verpflichten, hat Sportdirektor Hasan Salihamidzic in dieser Woche erzählt. 40 Millionen Euro fordert der FC Chelsea angeblich, der Flügelstürmer könnte der teuerste Teenager der Bundesligageschichte werden. Und er könnte beispielhaft dafür stehen, wie sich die Transferbeziehungen zwischen der Premier League und der Bundesliga entwickelt haben. Eine Chronologie in fünf Kapiteln.

1. Der Klassiker

Die beste Bundesliga-Mannschaft in England ist der FC Arsenal: im Tor Leno; in der Abwehr Sokratis und Kolasinac; im Mittelfeld Xhaka, Özil und Mkhitaryan; im Angriff Aubameyang; zur Not hilft Mertesacker. Kein englischer Klub vereint so viel Bundesligaerfahrung wie die Gunners, aber jener Ex-Bundesliga-Profi, über den auf der Insel alle reden, spielt bei Manchester City und heißt Leroy Sané, 23. Erstmals soll er den City-Spähern aufgefallen sein, als er mit Schalkes A-Jugend in der Uefa Youth League in Manchester vorspielte, anderthalb Jahre später - im Sommer 2016 - wechselte er für eine Ablöse von rund 50 Millionen Euro die Seiten. Dass sie ihren schnellsten und besten Spieler nicht würden halten können, hatten die Schalker schon lange vorher gewusst, die Frage war bloß, wohin er wechseln würde. Auch die Bayern gehörten zu den Interessenten, 50 Millionen wollten sie allerdings nicht ausgeben, sie wähnten sich ausreichend besetzt auf den Flügelpositionen.

Aber ob das Sané-Geschäft wirklich nur ein klassischer Transferfall war, der vom Bedarf und vom Preis bestimmt wurde, ein Beispiel also dafür, dass Bundesligaklubs chancenlos sind, wenn ein Verein aus der Premier League mitbietet? Pikanterweise war es der bis Juni 2016 amtierende Bayern-Trainer Pep Guardiola, der Sané in einem Telefongespräch für City begeisterte. Sané berichtete, er sei "sehr glücklich" gewesen, als ihm Guardiola den Wunsch übermittelt habe, ihn bei City zu trainieren, und habe "eine sehr schnelle Entscheidung getroffen". Allerdings hat er nicht verraten, wann ihn der charmante Spanier kontaktiert hatte. Der Guardian hatte schon zur Jahreswende 15/16 über eine verbindliche Verabredung zwischen Sané und City berichtet - zu einem Zeitpunkt, als Guardiola gerade erst verkündet hatte, im nächsten Sommer in München aufzuhören.

Jadon Sancho. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

2. Der Abstauber

Dass Jadon Sancho im August 2017 von Manchester City zu Borussia Dortmund wechselte, lag an der Spürnase von Sven Mislintat. Der damalige Chefscout des BVB hatte früh mitbekommen, dass Sancho unzufrieden in Manchester war. Völlig unterm Radar, selbst unter dem des eigenen Klubs. Mit der Star-Politik von Trainer Guardiola sah er die Chancen schwinden, auch nur einen Platz im Kader zu ergattern. Mislintat, der einige Monate später als Chefscout zum FC Arsenal wechseln sollte, baute schnell ein Vertrauensverhältnis zu Sancho auf. Der 17-Jährige hatte im Sommer 2017 bei City lediglich einen sofort kündbaren Ausbildungsvertrag, der zudem auslief. Deshalb konnte er jederzeit wechseln. An sich sogar ablösefrei. Bei den anderen großen Klubs der Premier League erwartete sich Sancho ähnlich geringe Chancen zu spielen. Dortmund erschien ihm dagegen als Startrampe.

Dortmund zahlte die 7,8 Millionen für Sancho nicht aus rechtlicher Verpflichtung, sondern um ein drohendes, langwieriges Gezerre mit City zu vermeiden. An sich wären nur geringe Ausbildungssummen fällig gewesen, vor allem für Watford, den Heimatklub. Wenige Tage vor der Vertragsunterzeichnung versuchten Guardiola und der Legende nach auch der FC Bayern, noch aufzuspringen, die Münchner angeblich mit einer verdoppelten Gehaltssumme. Guardiola bot 1,5 Millionen Pfund Einstiegsgehalt. Vergeblich. Bei Sancho ging es nicht um das Geld, mit seiner Verpflichtung demonstrierte Dortmund, dass Gespür sich auszahlt, Gespür für die Nische, Gespür für die Wünsche des Spielers. Mislintat sagte: "Für junge Spieler spielt Vertrauen eine viel größere Rolle als das nackte Gehalt. Wenn wir einen Spieler holen, dann verbünden wir uns mit ihm." Jadon Sancho hat beim BVB inzwischen verlängert, er verdient angeblich 3,5 Millionen Euro im Jahr. In der laufenden Saison liegt der 18-Jährige mit sechs Toren und neun Assists auf Platz fünf der Scorer-Wertung.

Reiss Nelson. (Foto: Joosep Martinson/Getty Images)

3. Das Leasing-Modell

Im Sommer hatte Reiss Nelson drei Optionen: Er konnte weiter auf Einsätze beim FC Arsenal warten. Er konnte sich ausleihen lassen an einen namhaften Verein, mit ähnlich geringen Einsatzchancen. Oder er konnte auf seinen Freund aus Kindheitstagen hören, auf Jadon Sancho.

Nelson entschied sich für: Option drei. Sancho empfahl: die Bundesliga.

Bei der TSG Hoffenheim hatten sich kurzfristig vier Spieler auf der Achterposition im Mittelfeldzentrum verletzt; das war das erste Argument, mit dem die TSG Nelson ködern konnte: sichere Einsätze. Das zweite: Einsätze in der Champions League. Das dritte: die Erfahrungen von anderen Profis, die aus England nach Deutschland verliehen wurden. Gute Erfahrungen übrigens, die beidseitig gemacht wurden. Mönchengladbach hat es das Modell besonders angetan, dort machte den Anfang einst Thorgan Hazard, später folgte Andreas Christensen.

Als Nelson vom Hoffenheimer Interesse hörte, verlängerte er seinen 2019 auslaufenden Vertrag bei Arsenal bis 2022, um sich dann verleihen zu lassen. Für ihn ist die Bundesliga das Sprungbrett, um sich langfristig in London durchzusetzen. Und für Hoffenheim war es ein finanziell wenig riskantes Geschäft, die Gebühr beträgt 500 000 Euro. Der einzige Haken: Hoffenheim besitzt keine Kaufoption.

Ein deutscher Champions-League-Klub als Ausbildungsklub für einen Europa-League-Teilnehmer aus England? "Wir leihen Spieler nicht aus, um sie auszubilden, sondern weil wir glauben, dass ihre Qualität uns weiterhilft. Dass die Spieler dann bei uns einen Entwicklungsschritt machen, hilft allen Beteiligten", sagt Alexander Rosen, Direktor Profifußball bei der TSG. Nelson ist mit sechs Toren und einer Vorlage in nur 490 Minuten (13 Einsätze) einer der effizientesten Spieler der Saison. Die Fans von Arsenal forderten seine Rückkehr schon im Winter.

4. Das Übertarif-Geschäft

Beim SC Freiburg hatten sie genau verfolgt, wie das Geld die Fußballwelt verändert. "Der Gott des Geldes", sagte Trainer Christian Streich 2017, "wird immer größer." Irgendwann schaute der Gott des Geldes auch im Breisgau vorbei. Im Frühjahr 2018 häuften sich Berichte, englische Klubs interessierten sich für den SC-Abwehrchef Caglar Söyüncü. In Freiburg lasen sie die Meldungen, konkrete Angebote trafen auf der Geschäftsstelle lange nicht ein. Bis Leicester City kurz vor Ende der Transferperiode erkannte, dass im Kader ein guter Verteidiger fehlte. Dann ging es ganz fix, nicht zum Nachteil der Freiburger.

Caglar Söyüncü. (Foto: Michael Regan/Getty Images)

Am Fall Söyüncüs zeigt sich, dass das finanzielle Ungleichgewicht auch den Bundesligaklubs nützt. Ähnlich verhielt sich das bei Jannik Vestergaard, für den Gladbach 25 Millionen Euro aus Southampton erhielt oder zuletzt bei Christian Pulisic, für den Chelsea 64 Millionen Euro zahlte, obwohl sein Vertrag nur bis 2020 lief. Klubs aus der Premier League zahlen mitunter derart über dem Marktwert, dass es für die Bundesligisten die bessere Alternative ist, den Spieler zu verkaufen. So war das auch bei Söyüncü. Auch bei ihm war der Gott des Geldes großzügig.

Leicester reichte in den letzten Minuten die Unterlagen ein, dem Vernehmen nach kassierte der SC 20 Millionen Pfund, mehr als je zuvor für einen Verkauf. Einen Großteil der Einnahmen steckte der Klub in den Bau des neuen Stadions, das nicht einmal viermal so teuer ist wie Söyüncü. Außerdem verpflichtete der Verein dank einer Ausstiegsklausel für wenige Millionen den Kölner Dominique Heintz, mit dem der SC in der Defensive in dieser Saison noch stabiler geworden ist. Und Söyüncü? Hat bisher 281 Minuten in der Premier League gespielt.

Callum Hudson-Odoi. (Foto: Richard Heathcote/Getty Images)

5. Der Gegenangriff

Finanziell sind die englischen Klubs den deutschen Lichtjahre voraus, außer vielleicht dem FC Bayern. Dieser könnte im Werben um Callum Hudson-Odoi nun davon profitieren, dass all das Geld auf der Insel bewirkt hat, dass sich die Verhältnisse verfestigen: Die englischen Vereine haben sich im Wetteifern um steigende Einnahmen über Jahre nach oben getrieben - doch das viele Geld erfüllt kaum noch seinen eigentlichen Zweck: den Kauf der besten Fußballer. Die Absicherung durch Investoren und Fernsehverträge nimmt vielen Klubs die Notwendigkeit, ihre begabtesten Kicker veräußern zu müssen. Der Wert eines Klubs bemisst sich in England daher an den Spielern, die im Kader stehen - statt an den Spielern, die sich der Klub leisten könnte. Schlecht dran ist also der Verein, der seine Profis nicht selbst ausbildet oder frühzeitig abwirbt.

Auf der Insel hat der FC Chelsea als einer der ersten Klubs seine Nachwuchsakademie in eine Talentfabrik umfunktioniert. Mit üppigen Vergütungen und langfristigen Verträgen werden die Jugendlichen gebunden. Die Ausbildung - Made in England - vermittelt die Anlagen, die gerade gefragt sind: kraftvoll, explosiv, ballgewandt. Ausgebildet werden dabei auch Spieler, die sich später als Verhandlungsmasse einsetzen lassen. So wie Chelsea das nun mit Außenangreifer Hudson-Odoi exemplarisch vormacht, für den der FC Bayern bereit zu sein scheint, circa 40 Millionen Euro auszugeben. Obwohl keiner sagen kann, ob der Teenager wirklich weiterhelfen würde. Obwohl keiner sagen kann, ob Chelsea wirklich nur pokert.

"Ich finde das nicht professionell", sagte Chelseas Trainer Maurizio Sarri am Freitag. "Sie sprechen über einen Spieler, der bei Chelsea unter Vertrag steht. Sie haben unseren Klub nicht respektiert." Sollte es zu dem Transfer kommen, wäre es auch eine Ansage des FC Bayern: Für alle Welt wäre sichtbar, dass der Klub bereit ist, ins letzte verbliebene Wettbieten einzusteigen, in das um talentierte Teenager.

© SZ vom 12.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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