Leverkusen trennt sich von Bosz:Scheidung im Eilverfahren

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Peter Bosz ist nicht mehr Trainer von Bayer 04 Leverkusen. (Foto: AFP)

Die Entlassung von Trainer Peter Bosz tut den Verantwortlichen von Bayer Leverkusen weh - doch sie sprechen ein vernichtendes Zeugnis über die späte Amtszeit des Niederländers aus.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

In Zeiten, in denen körperliche Züchtigung noch ein gängiges Mittel der Pädagogik war, pflegten Eltern ihre Kinder mit einer Redensart zu beruhigen: "Glaub' mir: Mir tut das hier viel mehr weh als dir." Ähnlich wie jene armen Kinder dürfte sich am Montag der Trainer Peter Bosz gefühlt haben, als ihm im Haus des Sportchefs Rudi Völler in Düsseldorf die Verantwortlichen von Bayer Leverkusen die Entlassung erklärten und ihm dabei versicherten, sie selbst bedauerten die Trennung am meisten. Völler hat die abschließende Begegnung mit dem Cheftrainer nochmal aufleben lassen, als er am Dienstag die wesentlichen Beweggründe für die Entscheidung erläuterte. Man hätte ja gern weitergemacht mit Peter Bosz, sagte er, "aber wir wollen natürlich auch gewinnen". Beides zusammen hielt man nicht mehr für möglich. Die Schlussfolgerung war dann unumgänglich: "Es ist schade und tut mir auch ein bisschen weh - aber das ist Profifußball."

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Zweieinhalb Jahre hatte der aus Apeldoorn stammende Bosz, 57, die Aufsicht über die Werkself geführt, man wird ihm zumindest einen ehrenvollen Platz in der Ahnengalerie zuteilen. Die gehobenen Ansprüche, die das Haus an einen Fußball-Lehrer stellt, hatte Bosz lange Zeit nicht nur mit brauchbaren Ergebnissen, sondern auch mit sehenswertem Fußball erfüllen können. Und bis vor zwei, drei Monaten schien den Bayer-Chefs, so Völler, eine solche Scheidung im Eilverfahren "noch unvorstellbar". Doch nach dem 0:3 bei Hertha BSC am Sonntag, das an das vorausgegangene 1:2 gegen Arminia Bielefeld anschloss, musste es auf einmal sehr schnell gehen, und wie dringend das Bedürfnis nach einem neuen Gesicht war, das ist auch an der Bestellung des Nachfolgers zu erkennen.

Hannes Wolf, 39, hatte am Sonntagnachmittag noch seine Woche als Trainer des U18-Nationalteams geplant. "Wenn mich jemand vor drei Tagen gefragt hätte, was ich heute mache, hätte ich wohl gesagt: Ich arbeite strukturell oder habe vielleicht ein Trainermeeting beim DFB." Stattdessen soll er jetzt den Tabellensechsten in die Schlussphase der Saison führen. Sein Auftrag lautet, den aktuellen Platz mindestens zu sichern. Von der Qualifikation für die Champions League hat man sich in Leverkusen gedanklich bereits verabschiedet.

Beim HSV dirigierte Wolf eine sehr gelungene Hin- und eine missratene Rückrunde

Wolf geht somit als Modernisierer in die Geschichte der Bundesliga ein: Er ist der erste Cheftrainer, der im Rang einer Leihgabe sein Amt versieht. Völler hat zwar betont, eine längerfristige Festanstellung sei möglich ("ausgeschlossen ist nichts"), doch auf beiden Seiten herrscht die Erwartung, dass sich die Tätigkeit auf die restlichen acht Saisonspiele beschränkt und Wolf dann wieder die Seiten wechselt.

Der Job beim DFB ist eine Sicherheit, die er nach jahrelang unstetem Arbeitsleben nicht aufgeben möchte: "Deswegen ist das Konstrukt eine sehr gute Konstellation." Auch Peter Hermann, 69, ist Teil der einfallsreichen Transaktion. Seinen DFB-Dienst als Assistent des U19-Nationaltrainers Christian Wörns unterbricht er für zwei Monate, um an Wolfs Seite in seiner alten sportlichen Heimat auszuhelfen. Hier begann seine Spieler- und seine lange Co-Trainer-Karriere, die ihn in späten Jahren zu einem nicht nur begehrten, sondern auch kostspieligen Spezialisten werden ließ. Der FC Bayern bezahlte für Hermann einst spektakuläre zwei Millionen Euro Ablöse an Fortuna Düsseldorf, weil Jupp Heynckes keinen anderen Adjutanten akzeptieren wollte.

Bis zu ihrer Rückkehr werden die beiden DFB-Männer nicht viel verpassen. Wolf ist zwar schon seit einem halben Jahr im Dienst, hat aber noch kein U18-Spiel betreut, und es steht auch noch kein Termin für den ersten Einsatz in Aussicht. Zuletzt hatte er sich die Zeit mit "ganz viel struktureller Arbeit" und der Analyse von Spielen vertrieben - bis sich am Sonntagabend plötzlich Simon Rolfes meldete. Man habe Wolf "immer im Blick" gehabt, berichtete Leverkusens Sportdirektor.

Offenbar hat er dabei mehr gesehen, als die oberflächlich informierten Beobachter mitbekommen haben. Als Hannes Wolf beim zuvor abgestiegenen VfB Stuttgart die Cheftrainer-Laufbahn startete, begleiteten ihn die Lobeshymnen seines früheren Arbeitgebers Borussia Dortmund. Mit dem Aufstieg bestätigte er die Erwartungen, nach einem weiteren halben Jahr aber musste er erschöpft aufgeben. Danach das nächste Abenteuer, eines der größten im Weltfußball: Beim neuen Zweitligisten Hamburger SV dirigierte er eine sehr gelungene Hin- und eine missratene Rückrunde. Das war's! Mit Wolfs Ausflug nach Belgien zum KRC Genk folgte eine weitere verwegene Expedition, die rasch endete.

Wolf bringe "viel Energie mit" und sei "ein absoluter Fußballfachmann", betonte Rolfes. Zunächst besteht der Vorzug des neuen Trainers aber wohl darin, ein anderer Mensch als sein Vorgänger zu sein. Bei aller Sympathie zu Peter Bosz versäumten es dessen Vorgesetzte nicht, ein vernichtendes Zeugnis seiner späten Amtszeit auszusprechen: "Es war ja immer das gleiche Muster", meinte Völler, "Ballbesitz, Ballbesitz, Ballbesitz - und dann bist du beim ersten Torschuss des Gegners in Rückstand und hast kein Konzept." Weder Rolfes noch Völler bemühten die vielen Verletzungen und Abwesenheiten im Kader, um den unvermittelt eingetretenen und dann auch gleich unaufhörlichen Misserfolg zu erklären, der Bayer 04 seit Jahresbeginn heimgesucht hat. Bei den Leverkusener Verantwortlichen entstand der Eindruck, Bosz habe entweder seinen Zauberstab verloren oder keine Krisen-Lösungen in seinem Repertoire. Sie sahen sich zum Handeln genötigt, auch wenn sie es bedauerten.

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