Bundesliga: Krise des VfB Stuttgart:Mr. Murphys grausames Programm

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Die Lage des vom Pech gebeutelten Tabellenletzten VfB Stuttgart erinnert beängstigend an die von Hertha BSC Berlin im Vorjahr. Noch steht der Verein zu seinem Trainer Christian Gross.

Christof Kneer

Verschwitzt, aber strahlend stapfte der gute, alte Pal Dardai nach dem 3:1 gegen Bröndby Kopenhagen vor die Fernsehkamera und sagte diesen Satz, der der Hauptstadt neue Hoffnung verlieh: "Wir wollen die Euphorie jetzt in die Liga mitnehmen." Die Euphorie sah dann so aus, dass Hertha BSC drei Tage später im Heimspiel 2:3 gegen Werder Bremen unterlag.

Hoffnungsloses Unterfangen: Schiedsrichter Felix Brych versucht, Cacau und Matthieu Delpierre (rechts) zu erklären, warum er einem (regulären) Tor der Stuttgarter die Anerkennung verweigerte. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Wie man inzwischen vielleicht sogar bei Bröndby Kopenhagen weiß, muss man zurzeit auf den Montag warten, wenn man den Hauptstadtklub noch im frei empfangbaren Fernsehen erwischen will. Immerhin darf Hertha in der zweiten Liga das sogenannte Topspiel austragen, aber das war eher nicht die Euphorie, die Dardai damals meinte. Eines der zahlreichen Probleme von Hertha BSC war ja, dass sich die Berliner im vergangenen Jahr von Europa den Kopf verdrehen ließen. Wer im Europacup mithält, kann doch nicht zu schlecht für die Bundesliga sein, dachten sie in Berlin so lange, bis sie irgendwann doch ausschieden in der Europa League, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sie in der Bundesliga schon abgehängt waren. Und damit jetzt zu Christian Gentner.

Die Sache mit dem Schwung

Es war der Donnerstagabend in dieser Woche, als Christian Gentner nach dem 2:1-Sieg des VfB Stuttgart in Odense sagte, man wolle den Schwung jetzt mitnehmen in die Bundesliga. In diesem Fall wurde der Schwung zielsicher in eine 1:2-Heimniederlage gegen Eintracht Frankfurt verwandelt, der VfB Stuttgart ist Letzter in der Fußball-Bundesliga. Und Erster in der Gruppe H der Europa League, mit zwei Siegen in zwei Spielen.

"Eine sehr, sehr schwierige Situation" sei das jetzt, sagte Stuttgarts Trainer Christian Gross nach diesem fast schon bedauernswerten 1:2 und betonte, er sei "sicher, dass ich die Mannschaft noch erreiche". Trainer, die solche Sätze sagen müssen, gehen meist nicht davon aus, dass sie im Verein noch ein Ära prägen werden. Der Fall Gross ist womöglich besonders dramatisch, weil der VfB zurzeit einen Trainer braucht, der neben seinen Spielern auch noch die unbekannten Mächte im Fußball-Himmel erreicht. "Die Fußballgötter haben zurzeit was gegen uns", sagte Gross und probierte es mit einem ironischen Lächeln, das ihm am Ende etwas müde geriet.

Alles, was schiefgehen kann, geht schief - wer eine Bebilderung für Murphys Gesetz sucht, dem sei das VfB-Spiel gegen Frankfurt empfohlen. In diesem Spiel kamen viele schöne Varianten von Murphys Gesetz vor, zum Beispiel jener Schuss von Christian Träsch, der nach drei Minuten von der Latte nach unten prallte und die Torlinie dabei um etwa 78,3 Prozent überschritt. Für ein Tor hätten es hundertkommanull sein müssen. Auch empfehlenswert für die Murphy-Gemeinde wären die Lattenschüsse von Boka und Harnik, der Platzverweis für Kapitän Delpierre nach übler Frustgrätsche und natürlich das nicht direkt einstudierte Führungstor der Frankfurter nach einem simplen Einwurf, als vermutlich Mr. Murphy höchstpersönlich die Stuttgarter Abwehrspieler per Fernbedienung abschaltete.

Es war ein absurdes Bild, wie Frankfurts Gekas plötzlich als einzig bewegtes Wesen aus dem Standbild hervortrat und den Ball ohne zu lachen ins Tor köpfelte. Alles, was schiefgehen kann, geht noch schiefer - in der Schlussminute übertrieb es Murphy ein bisschen, als er Cacau beim Stand von 1:2 ein Tor spendierte und es zurücknahm, ohne dem Schützen Bescheid zu sagen. Auch das war ein absurdes Bild: Wie Cacau hemmungslos jubelte, obwohl der Assistent den Treffer per Fahnensignal schon annulliert hatte. Es war der Moment, in dem die Stuttgarter Krise eine neue Eskalationsstufe erreicht hatte: Man hatte jetzt Mitleid mit ihnen.

Stuttgarts Trainer Christian Gross ist sich sicher, dass er seine  Spieler noch erreicht. An der Umsetzung seiner Anweisungen hapert es aber noch. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Gerüchte um Christoph Daum

Es war bereits das zweite Mal in dieser Saison, dass Manager Fredi Bobic beim Gang in die Schiedsrichterkabine einen zerknirschten Referee antraf. Schon in Nürnberg war Pogrebnjak wegen eines angeblichen Zupferchens ein Tor aberkannt worden, diesmal soll ein Zupferchen von Marica im Spiel gewesen sein, das nur dem 40 Meter entfernten Assistenten aufgefallen war. Und damit zurück zu Hertha BSC, die Murphys grausames Programm ja schon aus dem Vorjahr kennen.

Auch in Stuttgart erkennen sie inzwischen die beängstigenden Parallelen: die Schiedsrichterentscheidungen und die Verletztenmisere; die nackten Zahlen (sieben Spieltage, drei Punkte); die Entwicklung des Trainers (Gross - Favre), der das Team nach oben führt und mit ihm abstürzt; markante Profis, die nicht ersetzt wurden (Lehmann, Khedira - Pantelic, Simunic); den Managerwechsel im Sommer (Heldt/Bobic - Hoeneß/Preetz); und natürlich die begabten, aber ungeordneten Teams, die am Ende vieler Notentscheidungen verwirrt auf dem Platz standen.

Man könne die Hertha-Parallele ruhig ziehen, heißt es in Stuttgart, dann begreife auch der Letzte den Ernst der Lage. Nur gegen eine Parallele wehren sie sich noch beim VfB: Berlin entließ den Trainer Favre nach dem siebten Spieltag, und auch durch Stuttgart geistern längst Gerüchte um Christoph Daum, den Aufsichtsratschef Hundt ebenso schätzt wie Eduardo Garcia, Chef des VfB-Hauptsponsors und Daum seit langem geschäftlich verbunden. Aber einstweilen kämpft der VfB noch um seinen Coach. Es heißt, er solle am nächsten Spieltag wieder auf der Bank sitzen, wenn es zum Vorletzten nach Schalke geht, zum vorgezogenen Montagsspiel.

© SZ vom 05.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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