Bundesliga:HSV schlecht wie nie: "Wir lassen uns da abschlachten"

Lesezeit: 3 min

Verzweifelt: Torwart René Adler. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Der Hamburger SV zeigt beim ersten Heimspiel unter Trainer Gisdol eine desaströse Leistung. Die Mannschaft schießt gar nicht mehr auf das Tor - zumindest nicht auf das des Gegners.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Nach ungefähr 70 Minuten hatten auch treue Freunde des Hamburger SV genug. Sie verließen das Volksparkstadion, das sie trotz der regelmäßigen Blamagen immer wieder erstaunlich füllen, und flohen lange vor Schlusspfiff hinaus in die feuchtkalte Freitagnacht. Mit angemessenem Zynismus verkündete der Stadionsprecher, dass es "zu Beginn des Spiels" 52 258 Zuschauer gewesen seien.

Am Ende des Spiels waren es weniger, denn ihre Mannschaft verlor 0:3 gegen Eintracht Frankfurt und bereitete dem neuesten Trainer Markus Gisdol ein Debüt, das selbst für hanseatische Verhältnisse ein Debakel war. "Der schlechteste HSV aller Zeiten", findet das Hamburger Abendblatt und übertreibt wohl kaum.

"Immer einen Schritt zu spät, fast ängstlich"

Anschließend waren die übrig gebliebenen Fans dermaßen in Rage, dass sich die Verlierer auf ihrem Weg zur Nordtribüne im Schallgebiet der Pfiffe nur noch bis an die Strafraumgrenze trauten. Sollte nicht alles anders werden mit dem Schwaben Gisdol, dem achten Versuch des einst so ruhmreichen Klubs in drei Jahren? "Wir hatten uns viel vorgenommen, wollten mutig nach vorne spielen und den Gegner unter Druck zu setzen", erläuterte der vormalige Hoffenheimer. "Gutes Pressing ist uns aber nicht gelungen. Wir waren immer einen Schritt zu spät, fast ängstlich."

Seit drei, vier Wochen, so lange ist der 47-jährige Gisdol nun Trainer des HSV, mache man im Training eigentlich nichts anderes, "als nach Ballgewinnen nach vorne zu spielen. Aber unter Druck gelingt es der Mannschaft einfach nicht, den Ball so nach vorne zu bringen, dass wir den Gegner auch anständig bedrohen." Ein "wirklich schlechter Tag" sei das gewesen, mit einem "Ergebnis, das uns weh tut". Der HSV ist Vorletzter, die nächsten Gegner sind obendrein Köln und Dortmund.

Gisdols Bilanz? 0:3-Tore, ein Punkt

Auch unter dem Probanden Gisdol hat es der ehemalige Europapokalsieger noch nicht geschafft, wenigstens mal wieder ins gegnerische Tor zu treffen. Gisdols Bilanz in zwei Bundesligaspielen: 0:3 Tore, ein Punkt, und dieser eine Punkt war der Tatsache zu verdanken, dass Borussia Mönchengladbach bei Gisdols HSV-Premiere vor einer Woche zwei Elfmeter verschenkte. Seit sagenhaften sechs Spielen oder 572 Minuten hat der HSV kein Tor mehr geschossen - letzter Torschütze war Bobby Wood am 10. September beim 1:3 in Leverkusen, unter Bruno Labbadia. Nachfolger Gisdol gibt zu, dass es seiner Elf nicht mal gelinge, zumindest aufs Tor zu schießen - jedenfalls nicht auf das des Rivalen.

In der 35. Minute verlor Lewis Holtby im Mittelfeld den Ball, die Flanke des Frankfurters Branimir Hrgota drückte er dann selbst ins Hamburger Netz. Eigentor, 0:1. Das 0:2 ließ nach 60 Minuten der Schweizer Shani Tarashaj folgen, nach ausgezeichneter Vorarbeit des Mexikaners Marco Fabian. Das 0:3 legte neun Minuten später Landsmann Haris Seferovic nach, erneut nach Zauberpass von Fabian durch eine verwirrte Hamburger Deckung.

Fußballgötter
:Neues aus der Wohlfühlzone

Tiefstehende Gegner geben Jérôme Boateng und Mats Hummels höchstens noch Anlass zu tiefschürfenden Gedanken.

Brachialfoul von Diekmeier

Für seine Treffer brauchte die Eintracht nicht mal ihren übrigens im Großraum Hamburg geborenen Torjäger Alex Meier. Der wurde nur eingewechselt, die Partie hätte trotzdem ohne weiteres auch 0:5 enden können. Ab der 57. Minute waren die Gastgeber nur noch zu Zehnt, denn der unbeholfene Außenverteidiger Dennis Diekmeier wurde nach einem Brachialfoul vom Platz gestellt. Vorher hatte Diekmeier die Lachnummer des Abends geliefert und einen Ball verstolpert, weil er eine Papierkugel wegkickte.

Selbst dem Frankfurter Trainer und ehemaligen HSV-Mittelfeldstrategen Niko Kovac tut sein früherer Verein leid. "Ich wünsche meinem HSV das Allerbeste", sprach der Kroate, nachdem er erklärt hatte, wie souverän seine Elf diesen HSV im Griff gehabt hatte. Fürs Erste ist die kompakte, geeinte Eintracht sogar Tabellenvierter. Kovac berichtete, wie schön es sei, sich nach so einem Freitagabendspiel am Wochenende in Ruhe die Bundesliga anzusehen. Beim HSV ist es eindeutig weniger gemütlich, nicht zuletzt für den offenbar überforderten Präsidenten/Sportchef Dietmar Beiersdorfer.

"Das kotzt mich an!"

Es half auch nichts, dass Gisdol in der ersten Halbzeit das von vielen so sehnsüchtig geforderte Talent Alen Halilovic, 20, aufbot: Der Kroate zeigte, dass er begabt ist, aber keineswegs regelmäßig spielen muss. Bei seiner auffälligsten Szene ließ er sich beim Sprint mit Ball Richtung Tor abdrängen. Landsmann Filip Kostic blieb als Regisseur blass, andere wirken für Liga eins unbrauchbar. Obendrein fällt nun Emir Spahic aus, der erfahrenste Innenverteidiger.

"Ich habe keinen Bock, mich nach jedem Spiel auspfeifen zu lassen, das kotzt mich an. Wir haben alles vermissen lassen, was man braucht, um in der Bundesliga zu gewinnen", fauchte Adler. "Wir lassen uns da abschlachten." Das Volk auf den Rängen pfiff und sang, dass man die Nase jetzt voll habe. Schiedsrichter Günter Perl aus Pullach pfiff nach exakt 90 Minuten zum Glück sehr pünktlich ab.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: