FC Bayern:Ein Sieg wie aus alten Zeiten

Lesezeit: 3 min

Thomas Müller: Hellwach gegen Leipzig (Foto: AFP)

Der FC Bayern spielt gegen Leipzig wie das Gegenteil der Nationalmannschaft: Kalt, effizient und mit ein bisschen Glück. Besonders der Eifer von Thomas Müller erweist sich als kostbar.

Von Christof Kneer

Julian Nagelsmann ist, wie man so sagt, ein Taktikfuchs, er ist immer für Überraschungen gut. Aber dieser Trick wäre dann doch neu: einfach ein Loch ins linke Außennetz schneiden lassen und damit Manuel Neuer verwirren. Mit vierminütiger Verspätung begann das Topspiel des 27. Bundesliga-Spieltags, es musste erst ein Mann vom Heimwerker-Service kommen, um mit zwei Kabelbindern die Maschen zu flicken. Manuel Neuers Versuch, die Lücke mittels eines verknoteten Torwarthandtuchs im Do-it-yourself-Verfahren zu schließen, war von den offiziellen Stellen (Schiedsrichter-Assistent) zuvor untersagt worden. Eine erste Niederlage für den FC Bayern, schon vor dem Anpfiff?

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93 Minuten später rannte Thomas Müller brüllend auf Joshua Kimmich zu, Kimmich brüllte zurück, und beide schnitten Gesichter, bei deren Anblick man im normalen Leben die Straßenseite wechseln würde. Es waren sehr aktuelle Gesichter, man konnte ihnen die neueste Tabellensituation entnehmen, die den FC Bayern nach dem 1:0-Sieg bei RB Leipzig fast schon als neuen deutschen Meister ausweist. Sieben Punkte Vorsprung werden sich die Bayern wohl nur noch nehmen lassen, wenn man ihnen in den verbleibenden sieben Spielen die Beine mit einem Kabelbinder zusammenknotet.

Es waren aber auch sehr historische Gesichter, die Müller und Kimmich da zeigten, denn so hat man die Münchner in der Geschichte schon oft erlebt: Es war ein Bayern-Sieg, wie man ihn aus den Zeiten kennt, in denen RB Leipzig noch nicht im Entferntesten daran dachte, mal gegründet zu werden. Es war über weite Strecken nicht der dominante, scharfe, kreative Hansi-Flick-Fußball, der zuletzt zu sechs Titeln geführt hatte. In Leipzig siegten jene abgebrühte Bayern, die auf nicht messbare Weise die Gewinnerkultur des Vereins nutzbar machen und denen es überhaupt nicht peinlich ist, wenn sie dabei auch mal das Glück bemühen müssen.

Die Szene, die den Unterschied macht: Leon Goretzka (links) verwandelt eine Rücklage von Thomas Müller (rechts vorne) zum 1:0 für die Münchner. (Foto: Alexander Hassenstein/AFP)

Vor allem zu Beginn der zweiten Hälfte gaben sich die Leipziger alle Mühe, die deutsche Nationalmannschaft zu doubeln, am Ende übertrafen sie die Ineffektivität der DFB-Elf sogar: Nkunku (48.), Sabitzer (49.) und Olmo (52., 53.) vergaben großformatige Torchancen, und wenn der Ball dann doch mal Richtung Tor unterwegs war, wischte ihn Neuer unter der Latte hervor wie bei Sabitzers Versuch in der 59. Minute. Nicht umsonst habe man in dieser Saison bisher 31 Tore weniger geschossen als der FC Bayern, sagte Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann später, der seiner Mannschaft ansonsten und sehr zurecht ein gutes Spiel attestierte.

Die Bayern dagegen, obwohl zu großen Teilen mit denselben Spielern ausgestattet, spielten wie das Gegenteil der Nationalmannschaft: Ein einziger Streich reichte ihnen für das entscheidende Tor (38.). Der lange Ball von Kimmich (Nationalspieler) landete am Ende beim Torschützen Leon Goretzka (Nationalspieler), aber er landete dort nur, weil vorher Thomas Müller seine Füße im Ball hatte. Er startete in die Tiefe, schlug einen hübschen Haken und passte den Ball zu Goretzka nach innen - wer sowas macht und sowas kann, dürfte auch bald wieder Nationalspieler sein.

"Wir wollen uns das nicht mehr nehmen lassen"

Die Münchner waren passiver als gewohnt in diese Partie gestartet, aber es war wahrscheinlich nicht der Respekt vor dem Kabelbinder. Es war ein Mix aus unterschiedlichen Motiven: Es war der Versuch, Gelassenheit auszustrahlen, weil "der Druck ja auf Seiten der Leipziger" liegt, wie Bayern-Vorstandsmitglied Oliver Kahn vor Beginn der Partie freundlicherweise mitteilte; es war vielleicht auch ein bisschen Müdigkeit, weil die meisten Bayern-Spieler gerade drei Länderspiele hinter sich gebracht hatten; es war aber auch eine kleine Verunsicherung, weil das Spiel der Münchner sonst sehr auf Robert Lewandowski zugeschnitten ist, der nicht nur als Zielspieler, sondern auch als vorderster Störenfried eine zentrale Rolle einnimmt. So herausfordernd, wie er gegnerische Verteidiger anläuft, spielt Eric Maxim Choupo-Moting nicht; der Stellvertreter des verletzten Lewandowski ist ein eleganter Schlaks, der nicht zum Aggressor taugt.

Auf diese Weise sicherten sich die Leipziger früh jene Statistiken, die sonst den Bayern gehören. Nach 20 Minuten kamen die Gastgeber schon auf knapp 60 Prozent Ballbesitz, aber weil sie wie die deutsche Nationalmannschaft über keinen echten Mittestürmer verfügen, konnten sie die Bayern nur selten unter Stress setzen. Nagelsmann hatte den gebürtigen Mittelfeldspieler Forsberg in die Spitze geschickt, die Mittelstürmer Sörloth und Poulsen brachte er erst spät. Direkt nach der Pause stürzten die Leipziger die Münchner dann zwar in besagte Turbulenzen, aber beim Abschluss fehlte ihnen mindestens dreierlei: ein bisschen mehr Wettkampfroutine auf Höchstniveau, ein bisschen mehr Übersicht auf Höchstniveau - und Thomas Müller.

Zum ungefähr hunderttausendsten Mal lobte Trainer Hansi Flick später "Moral und Mentalität" seiner Elf, der er zum hunderttausendundersten Mal "ein Riesenkompliment" überreichte. "Ein Schritt in Richtung Meisterschaft" sei das gewesen, meinte derweil Kapitän Neuer, "wir wollen uns das nicht mehr nehmen lassen".

Ob die Leipziger, die im Verlauf der Saison schon einmal einen Sieben-Punkte-Rückstand verkürzen konnten, da noch etwas dagegen haben werden? Julian Nagelsmann sagte nach dem Spiel, es gehe jetzt darum, "in der Bundesliga Zweiter zu werden". Immerhin können die Leipziger noch den DFB-Pokal gewinnen, und die Chancen stehen nicht schlecht: Die abgebrühten Siegerbayern sind samt Thomas Müller schon ausgeschieden.

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